mit der bereits 1985 von der Europäischen Kommission im (in Rn. 425 angesprochenen) Weißbuch ausgearbeiteten Strategie, sich beim Erlass rechtsangleichender Maßnahmen weitestgehend auf die Verankerung der wesentlichen Leitlinien zu beschränken und den Mitgliedstaaten die Ausfüllung der Details zu überlassen. Freilich kann im Einzelfall die Unterscheidung zwischen rechtsangleichenden und rechtsvereinheitlichenden Maßnahmen gerade bei detailreichen Regelungen schwerfallen. Insoweit gesteht der EuGH den zuständigen EU-Organen i.R.d. Art. 114 AEUV sowohl bei der Frage des Ob als auch des Wie eines Tätigwerdens einen gewissen Beurteilungsspielraum zu.
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Eine weitere Beschränkung in Zusammenhang mit dem Erlass von Maßnahmen nach Art. 114 AEUV findet sich in dessen Abs. 3. Hiernach haben die zuständigen EU-Gesetzgebungsorgane beim Erlass rechtsangleichender Normen von einem hohen Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz auszugehen. Daraus folgt die Verpflichtung, die genannten Schutzgüter bei der inhaltlichen Gestaltung rechtsangleichender Regeln angemessen zu berücksichtigen. Die Vorschrift will verhindern, dass im Zuge der Rechtsangleichung ein in manchen Staaten existierendes höheres Schutzniveau auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eingeebnet wird. Eine Verpflichtung zum höchstmöglichen Standard besteht allerdings nicht, ein über dem EU-Mittel liegender Standard reicht aus. Den Mitgliedstaaten bleibt, sofern die jeweilige EU-rechtliche Regelung keine entsprechende Öffnungsklausel enthält oder von vornherein über eine Teilharmonisierung nicht hinausgeht, nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 114 Abs. 4–6 AEUV – z.B. aufgrund wichtiger Erfordernisse i.S.d. Art. 36 AEUV, so Art. 114 Abs. 4 AEUV – die Möglichkeit zum Erlass strengerer nationaler Vorschriften. Weil Art. 114 Abs. 3 AEUV beim Erlass von rechtsangleichenden Maßnahmen eine Orientierung an den dort genannten Schutzgütern vorgibt, mithin die entsprechenden Maßnahmen auch auf die Verwirklichung dieser Schutzgüter abzielen können, sind Abgrenzungsprobleme zu den für diese Bereiche bestehenden besonderen Befugnissen (Art. 192 AEUV für die Umweltpolitik, Art. 168 AEUV für das Gesundheitswesen und Art. 169 AEUV für den Verbraucherschutz) möglich. Im Streitfall ist das entscheidende Abgrenzungskriterium der Schwerpunkt der Maßnahme. Sofern die Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes nur als nachrangiges Ziel erscheint, scheidet hier eine Anwendung des Art. 114 Abs. 1 AEUV aus.
B › Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst)
Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst)
I.Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen444 – 447
II.Gegenstand, Voraussetzungen und Ablauf448 – 464
1.Gegenstand der Bürgerinitiative448, 449
2.Voraussetzungen der Bürgerinitiative450 – 464
b)Registrierung452 – 456
c)Umfang der Kontrolle und Ablehnungsgründe bezüglich der Registrierung457, 458
d)Sammlung von Unterstützungsbekundungen459, 460
e)Erforderliche Mindestzahl an Unterstützungsbekundungen461, 462
f)Überprüfung der Unterstützungsbekundungen463, 464
III.Weiterer Verfahrensgang und Wirkung465 – 469
1.Vorlage der erfolgreichen Bürgerinitiative bei der Europäischen Kommission465, 466
2.Reaktionsmöglichkeiten der Kommission auf eine erfolgreiche Bürgerinitiative467 – 469
IV.Rechtsschutz470, 471
V.Bürgerinitiative in der Praxis472 – 474
VI.Würdigung der Bürgerinitiative475 – 477
Lit.:
F. Castenholz, Die EU-Bürgerinitiative – Entwicklung und Konturen eines Europäischen Bürgerrechts, FS für D. H. Scheuing, 2011, 39; S. Cilo, Europäische Bürgerinitiative und demokratische Legitimität der EU, 2014; A. Guckelberger, Die Europäische Bürgerinitiative, DÖV 63 (2010), 745; R. Hrbek, Die Europäische Bürgerinitiative: Möglichkeiten und Grenzen eines neuen Elements im EU-Entscheidungssystem, Integration 35 (2012), 35; E. Petropoulos, Die Europäische Bürgerinitiative im paneuropäischen Kontext: Wo steht die direkte Demokratie in der EU im Vergleich zu ihren Mitgliedstaaten, Saar Blueprints 11/2016.
B › Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst) › I. Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen
I. Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen
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Mit dem Vertrag von Lissabon ist im → Primärrecht die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen in der Europäischen Union als Ausprägung des → Demokratieprinzips gestärkt worden. Bis zum Vertrag von Lissabon waren diese Beteiligungsrechte im Wesentlichen in Art. 21 EGV niedergelegt; sie beschränkten sich auf das Petitionsrecht zum → Europäischen Parlament und das Recht, sich an den Bürgerbeauftragten nach Art. 195 EGV oder mit Fragen an → Organe und Einrichtungen zu wenden.
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Art. 11 Abs. 4 EUV sieht nunmehr erstmals vor, dass Unionsbürgerinnen und -bürger (→