schoss in seinem Bett hoch, triefend vor Schweiß und sein Puls raste wie wild. Es dauerte immer mehrere Minuten, bis er seine Sinne wiedererlangte und merkte, dass er das Grauen nur noch einmal durchlebte. Jede Nacht war es diese Erinnerung oder die letzten Momente, in denen er noch unversehrt war. Würde es jemals wieder für ihn eine durchgehende Nachtruhe geben, frei von diesen Albträumen und Erinnerungen? Würde er jemals ein paar Stunden Tiefschlaf abseits seiner Realität haben?
Er sah sich im Schlafzimmer seines Cottages um, während sich seine Augen an das schwindende Mondlicht gewöhnten, das durch das Fenster hereinfiel. Es war sicherlich mehr, als er jemals erwartet hätte, als er an jenem Tag in Waterloo auf dem Operationstisch gelegen hatte. Er war von dort zum Sterben in ein belgisches Krankenhaus gebracht und dort vergessen worden. Monate später hatte ihn Lord Fairmont nach England zurückgebracht, in ein Haus, das ein Gentleman gebaut hatte, in dem sich verwundete Soldaten erholen und wieder leben lernen konnten. John hätte sich geweigert zu gehen und wäre in Belgien geblieben, wäre Lord Fairmont nicht gewesen. Es war für John unmöglich gewesen, ihm zu sagen, dass er sich nicht vorstellen könnte, wie es sich anfühlte, wenn seiner Lordschaft selbst eine Hand und ein Auge fehlten.
John rollte sich herum und stemmte sich in eine sitzende Position hoch. Er streckte den Arm aus und tastete auf dem kleinen Nachttisch herum, bis er sein Holzbein fand und es mit einem Riemen befestigte, den er für seine Taille angefertigt hatte. Er konnte jetzt ohne lähmende Schmerzen ohne Krücken gehen, aber es gab Tage, an denen es mehr weh tat als an anderen. Er wünschte, er hätte etwas, das er als behelfsmäßige Hand nutzen konnte. Es war schwieriger, auf Unterarm und Hand zu verzichten als auf das Bein. Er glaubte nicht, dass er sich jemals daran gewöhnen und aufhören würde, nach Dingen zu greifen, nur um sich daran zu erinnern, dass er nichts mehr zum Greifen hatte.
Er konnte frisches Brot und Speck aus dem Schloss riechen, was sein Zeichen war, den Tag zu beginnen. Er kleidete sich mit Hilfe einiger Werkzeuge an, die Lord Craig für ihn entworfen hatte. Er hatte einen Stock mit fingerartigen Vorsprüngen angefertigt, der ihm dabei half, seine Strümpfe und Stiefel anzuziehen, so dass er nicht auf fremde Hilfe angewiesen war. Er hatte wirklich großes Glück mit seiner Anstellung, denn wie viele verwundete Soldaten konnten für einen wohlhabenden, als Arzt ausgebildeten Herrn arbeiten?
John begann seine Wanderung den Weg zum Haus hinauf, wo er jeden Morgen mit der Familie frühstückte. Lord und Lady Craig waren keine typischen Aristokraten. Es gab keine Anspruchsdenken, nur Einbeziehung. Tatsächlich hatten sie versucht, ihn davon zu überzeugen, zu ihnen ins Schloss zu ziehen, aber er genoss seine Unabhängigkeit, und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass er dazu fähig war. Ihm war ein Cottage zugeteilt worden, das sehr nahe am Herrenhaus lag. Es war um einiges größer, als es einem Junggesellen zustehen sollte, aber Lord Craig meinte, es entspräche seiner Stellung. John vermutete, dass es ihm eher um die Strecke ging, die er zurücklegen musste, um zum Schloss zu gelangen, als um seine Herkunft oder seine Position im Haushalt.
„Guten Morgen, Lieutenant Holdsworth.“ Die Köchin begrüßte ihn fröhlich wie jeden Tag.
„Guten Morgen“, antwortete er, als er durch die Küche ging. Es war der kürzeste Weg zum Speisesaal.
„Heute Morgen hab‘ ich Ihre Lieblingsspeise gemacht“, antwortete sie mit ihrem dicken, schottischen Akzent. Er lebte jetzt seit drei Jahren hier und musste sich immer noch konzentrieren, um sie zu verstehen. Er belohnte sie mit einem Lächeln.
„Sie machen den Speck jeden Tag nur für mich?“ , fragte er, während er sich eine Scheibe von der Platte nahm.
„‘türlich mach ich das. Jetzt aber husch. Der Master ist schon da.“ Sie machte eine scheuchende Bewegung mit ihrer Hand.
„Ja, meine Liebe“, neckte er sie, während er den Gang entlang und schließlich durch die Tür zum Frühstücksraum humpelte. Er blieb kurz stehen. Die ganze Familie saß bereits um den Tisch. Normalerweise hatten er und Lord Craig ein paar Minuten Zeit, um Geschäfte zu besprechen, bevor sich der Rest zu ihnen gesellte.
„Guten Morgen, Mylord, Mylady, Miss Catriona und Miss Maili.“ Er bemühte sich, so normal wie möglich zu gehen, aber es würde niemals elegant aussehen.
„Guten Morgen“, antworteten sie grüßend. Er füllte seinen Teller aus Schüsseln, die auf der Anrichte standen, und setzte sich auf seinen üblichen Platz.
„Ich habe heute Morgen alle gebeten, sich uns anzuschließen, damit wir unsere Pläne besprechen können.“
Sie hörten alle auf zu essen und sahen Lord Craig an.
„Seht mich nicht so an. Wir diskutieren seit mehreren Monaten über das bevorstehende freudige Ereignis Eurer Tante Beaujolais. Es ist an der Zeit, dass wir Pläne für die Abreise schmieden.“
„Ja“ Lady Craig ergriff das Wort. „Meine Schwestern sind bei solchen Gelegenheiten nach Möglichkeit immer gerne zusammen.“
„Ich habe vor, fast sofort danach zurückzukehren“, fuhr Lord Craig fort und schenkte seiner Frau ein nachsichtiges Lächeln, „da es so kurz vor der Ernte noch viel zu tun gibt. Yardley wird Euch rechtzeitig zum Sonnenwendball und zum offiziellen Debüt von Catriona auf der Rückreise begleiten.“
„Lady Vernon hat euch beiden eine besondere Einladung zu einem Besuch ausgesprochen und erwähnt, dass sie Catriona in der nächsten Saison vorstellen möchte. Auch wenn das natürlich noch einige Zeit dauert.“
John warf Catriona einen Blick zu, die aussah, als hätte sie einen Geist gesehen. Johns Herz sank.
“Catriona?”, fragte Lord Craig besorgt. Offenbar hatte er auch die Bestürzung des Mädchens bemerkt.
Sie schüttelte den Kopf.
„Was ist los, Liebes?“ Lady Craig streckte ihrer Tochter die Hand entgegen.
„Ich möchte nicht gehen. Muss ich wirklich?“
John beobachtete sie interessierter, als er sollte, doch er konnte sich nicht zurückhalten. Ihre grauen Augen funkelten vor zurückgehaltenen Tränen und sie hatte offensichtlich Mühe, ihr zitterndes Kinn unter Kontrolle zu bringen.
„Zu Yardley oder nach London?“
„Kann ich nicht hierbleiben? Du weißt, wie sehr ich das Reisen fürchte.“
John hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, aber er hatte nicht so schnell damit gerechnet. Er würde sie mehr vermissen als er sollte.
„Es ist nur für ein paar Wochen, Catriona“, antwortete Lord Craig.
Lady Craig seufzte laut.
„Aber du hast gesagt, du kommst sofort zurück. Ich möchte die Arnika nicht verpassen.“
Lord und Lady Craig sahen sich an.
„Bitte, Papa. Darf ich bleiben?“, bettelte sie.
„Allein?“
„Tante Ida ist hier und auch Lieutenant Holdsworth.“
John schluckte schwer. Er wollte in diesem Gespräch lieber unsichtbar bleiben.
„Ich weiß nicht, Catriona. Wir werden so weit weg sein. Und Tante Ida war vor einigen Jahren schon zu alt, um Margaux zu beaufsichtigen. Sie kommt heutzutage nicht mehr oft aus ihren Zimmern.“
Lady Craig streckte ihre Hand aus und berührte sanft ihren Mann. „Warum besprechen wir das nicht nachher unter uns?“
„Sehr wohl. Ich werde später mit dir reden, Catriona.“
Sie nickte, entschuldigte sich für das Verlassen des Tisches und Maili folgte ihr.
Nachdem das Echo der Schritte durch den langen Korridor verklungen war, sah Lord Craig zu seiner Frau.
„Was soll ich tun? Sie ist kein Kind mehr, und ich werde in ein paar Tagen zurückkehren.“
„Sie hat sich immer vor Kutschfahrten gefürchtet, aber eines Tages muss sie die Ängste überwinden. Auf die Arnika hat sie aber schon einige Zeit gewartet.