Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


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Schwer atmend durfte er sich anschließend wieder zu den anderen stellen. Die zwei Männer, die die Ehre hatten, das Essen zu verteilen, brachten den beiden Anführern zwei Löffel der Suppe, die herangeschleppt wurde. Die Tokala hatten nicht selbst gekocht, sondern zwei Mitglieder waren durch das Dorf gegangen und hatten einfach einen kleinen Stock an die Tipis von wohlhabenden Familien gesteckt. „Die Tokala sind hungrig! Bringt uns Essen!“, hatten sie gerufen. Es wurde als Ehre angesehen, für die Kriegergesellschaften kochen zu dürfen. Das Essen wurde verteilt und auch an die Zuschauer, die vor dem Zelt standen, ausgegeben. Gerade ärmere Familien freuten sich, dass sie sich endlich einmal sattessen konnten. Die Familie von Wambli-luta verteilte großzügige Geschenke an die Umstehenden, um die Aufnahme ihres Sohnes in den Kriegerbund zu feiern. Kleider, Mokassins, Felle und Vorräte wurden an Bedürftige verteilt, während ihr Sohn immer noch bei den anderen Mitgliedern stand und mit ihnen die Lieder sang. Seine Stimme stach unter den anderen hervor, als er mit Inbrunst die Lieder sang, die er schon so oft gehört hatte. Nun durfte auch er sie endlich singen! Nun gehörte er dazu. Dankbar musterte er die beiden Anführer, ließ dann seinen Blick über die anderen schweifen: ein Pfeifenbewahrer, der die heilige Pfeife der Tokala hütete; vier Lanzenträger, zwei Peitschenträger, ein Herold, zwei Essensverteiler, vier Trommler und vier Frauen, die als Schwestern gesehen wurden; den Hüter der Trommel und zwei Männer, die den seltsamen Haarschnitt der Tokala trugen, und ungefähr zwanzig weitere Mitglieder, darunter auch drei Knaben von vierzehn Wintern, die als Wasserträger und Pferdehirten fungierten. Das war jetzt seine Gemeinschaft! Hier gehörte er dazu! Die Männer begannen zu tanzen, und die beiden Peitschenträger stießen auch die Letzten an, damit niemand faul auf den Fellen sitzen blieb.

      Es war mitten in der Nacht, als ein müder und erschöpfter Mann zu seinen Eltern zurückkehrte. Die Schwester schlief bereits, doch die Eltern saßen am glimmenden Feuer und sahen ihm voller Stolz entgegen. „Mein Sohn“, murmelte der Vater.

      „Vater!“, antwortete Wambli-luta und setzte sich vor ihm hin. Er hielt still, als der Vater ihm die Hand auf die Schulter legte.

      „Lebe deine Vision!“, mahnte der Vater eindringlich.

      Wambli-luta nickte voller Ernst. Vor einigen Wintern hatte sein Vater ihn in die Einsamkeit mitgenommen, damit die Geister ihm eine Vision schicken würden, die ihn vor kommenden Gefahren schützte. Als junger Krieger, der sich bewähren wollte, brauchte er diesen Schutz umso mehr. Damals hatten die Geister ihm einen merkwürdigen Traum geschickt: Ein Fuchs hatte einen Hasen gerissen, doch dann war ein Adler hinabgestiegen und hatte ebenfalls den Hasen gepackt. Der Fuchs wollte nicht aufgeben und biss sich weiter in dem Hasen fest. Dabei wurde er immer höher in die Lüfte gehoben, bis er im Horst des Adlers landete, in dem zwei Junge saßen. Die Adlermutter gab ihnen den Hasen und erblickte dann den Fuchs. „Was machst du hier?“, fragte sie verblüfft.

      „Wenn du mein Fressen stiehlst, fresse ich eben deine Jungen!“, antwortete der Fuchs.

      Das Adlerweibchen plusterte sich auf und starrte den Fuchs mit zornigen Augen an. „Wie kannst du es wagen! Ich werde auch dich gleich packen!“

      Der Fuchs hüpfte schnell davon und versteckte sich in einem Felsenloch. „Und ich warte hier, bist du wieder zur Jagd aufbrichst!“, drohte er.

      Der Adler kam näher, aber das Loch war zu klein, und so konnte sie den Fuchs nicht herausziehen. „Du wirst verhungern, wenn du dich hier versteckst!“

      Der Fuchs lachte nur. „Nicht so schnell wie deine Jungen, wenn du sie nicht fütterst. Ich halte es hier eine ganze Weile aus.“

      Der Adler legte den Kopf schief. „Und was schlägst du nun vor?“

      Der Fuchs überlegte eine Weile. „Du fängst mir einen weiteren Hasen und legst ihn mir dort unten an die Felsen. Wenn du ihn gefangen hast, klettere ich hinunter und du hast deinen Frieden.“ „Nein!“, sagte das Weibchen. „In dieser Zeit könntest du meine Brut fressen.“

      „Hohch, ich lege mich doch nicht mit einem Adler an!“

      Der Adler überlegte eine Weile und stimmte dann zu. „Gut, ich hole dir deinen Hasen.“ Mit tüchtigen Schlägen erhob sich das Weibchen in die Lüfte und machte sich auf die Suche nach Beute.

      Schnell kam der Fuchs heraus und fraß das Kaninchen. Dann blickte er auf die Brut. „Eure Mutter sollte besser lernen, dass der Fuchs klüger ist!“

      „Frisst du uns jetzt?“, fragten die zwei Adlerjungen.

      „Aber nein!“, versicherte der Fuchs großmütig. „Zwei Hasen an einem Tag reichen mir. Aber ihr passt besser auf, dass ihr nicht eines Tages einem Fuchs das Essen stehlt!“

      Der Fuchs blickte in den Himmel und sah, wie das Adlerweibchen gerade den Hasen auf die Felsen legte. Hurtig sprang er die Felsen hinunter und freute sich über die leckere Beute. Oben am Himmel aber schwebte das Adlerweibchen. Und immer, wenn der Fuchs Hunger hatte, brachte sie auch ihm von der Beute. Der Fuchs lachte, denn seine Großzügigkeit wurde gut belohnt!

      Der Medizinmann hatte Wambli-luta sein Ohr zugewandt, als er dessen Erzählung lauschte, dann hatte er die Augen zusammengekniffen und über die Bedeutung des Traumes nachgedacht. Nach einer Weile hatte er eine Eingebung gehabt. „Ich denke, dass der Fuchs dein Schutzgeist ist. Er ist schlau und mutig! Aber du musst so sein wie er! Du musst großzügig sein, dann wird dich der Fuchs beschützen!“

      „Und der Adler?“

      Der Medizinmann wackelte mit dem Kopf hin und her. „Ich glaube, dass die Jungen in diesem Traum wichtiger sind. Kinder sind ‚wakan‘ … etwas Heiliges. Das gilt vielleicht auch für Tiere. Du solltest keine jungen Tiere töten.“

      „Auch keine Bisonkälber?“, wunderte sich Wambli-luta. Bisonkälber waren eine Delikatesse.

      „Nein!“ Die Stimme des Medizinmannes wurde ungewohnt scharf.

      Wambli-luta hatte sich diese Worte gemerkt und sich seither an die Warnung gehalten. So einige Hirschkälber und Bisonkälber waren auf diese Weise schon seinen Pfeilen entgangen. Auch eine Schwarzbärenmutter mit ihren Jungen hatte er ziehen lassen. Es gab anderes Wild, das er jagen konnte. Irgendwie passte es zu seinem Traum, dass die Tokala ihn in ihren Bund aufgenommen hatten. Sie kannten seine Vision! Er trug das Fuchsfell, und als Visionstier schützte ihn der Geist des Fuchses. Das war starke Medizin!

       Yellowstone

       Frühjahr 1809 am Yellowstone-Fluss

      Pierre DuMont schob gerade Wache, als gegen Mittag ein Reiter mit zwei Packpferden im Schlepptau auftauchte. Er gab ein Signal, um die anderen zu informieren, und öffnete das Tor, als er den Reiter erkannte: John Colter, dieser lebensmüde Entdecker, kehrte endlich zurück! Auch er war als erfahrener „Guide“ angeworben worden und hatte den Auftrag erhalten, die hiesigen Stämme aufzusuchen und zum Handeln einzuladen.

      „Allors!“, grüßte Pierre überschwänglich. „Wo hast du denn gesteckt?“

      Colter ließ die Zügel fallen, mit denen er die Packpferde gezogen hatte, und ließ sich aus dem Sattel plumpsen. „Puh! Lange Geschichte! Lass mich erst einmal absatteln!“

      Er grinste schief, als die anderen Männer hinzutraten und ihn begrüßten. „Na, Jungs! Alles klar?“

      Menard schlug Colter mit seiner Pranke auf die Schulter, sodass der Trapper fast in die Knie ging. „Willkommen, du Halunke. Hier ist gar nichts klar. Hatten andauernd Ärger mit den Blackfeet. Zwei von uns wurden von denen abgemurkst, als sie nach ihren Fallen sehen wollten.“

      „Scheiße! Das tut mir leid!“ Colter verging das Grinsen. „Wer?“

      „Huey und Jordan. Sie haben es nicht geschafft. Haben sich gewehrt, so gut es ging. Aber wir fanden nur noch ihre Leichen … übel zugerichtet.“

      Colter kniff die Lippen zusammen. Er nahm seine Mütze ab und senkte traurig den Blick. Dann raffte er sich zusammen. „Helft ihr mir beim Abladen?“

      „Mais