Thomas Brezina

Sisis schöne Leichen


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zu Fanny, während sie durch die Seiten blätterte. »Aber einige dieser Frauen sind wahre Schönheiten. Die Metternich sollte sich an ihnen ein Beispiel nehmen.«

      Fanny unterdrückte ein Lachen. Die Prozedur des Bürstens nahm einige Zeit in Anspruch. Elisabeth gähnte und wollte zu Bett gehen. Im Toilettezimmer ließ sie sich die Zahnbürste reichen, auf die aus einem Tiegel schon ein Klecks Zahncreme aufgetragen worden war.

      Nach dem Zähneputzen begab sich Elisabeth in das eheliche Schlafzimmer. Eine Zofe nahm ihr den Morgenmantel ab, unter dem sie nackt war. Nachdem sie sich hingelegt hatte, arrangierte die andere Zofe ihr Haar rund um ihren Kopf auf dem Laken. Kopfkissen gab es keines, da es Falten im Gesicht verursachen konnte.

      Auf den Bauch ließ sich Elisabeth ein nasses Laken legen. Die Kälte sollte helfen, die schlanke Taille zu bewahren. Zum Abschluss öffneten die Zofen die Fenster und ließen die Nachtluft in das Zimmer. Zwei Kerzen auf einem Tisch in der Ecke spendeten ein wenig Licht.

      Franz Joseph, mit Nachthemd und langen Unterhosen bekleidet, schlüpfte auf seiner Seite des Bettes unter die Decke und wünschte Elisabeth eine gute Nacht.

      Das Ehepaar lag nebeneinander im Doppelbett. Nah und doch so weit voneinander entfernt, dachte Elisabeth. Statt der Freiheit, nach der sich Elisabeth so sehr sehnte, kannte ihr Mann bloß die eiserne Pflicht, mit der er sein Weltreich regierte. In diesem riesigen Imperium war Platz für Millionen von Menschen, und doch kam ihr vor, als gäbe es keinen Platz für sie. Elisabeth drehte den Kopf zu Franz Joseph, der auf dem Rücken lag und die Augen geschlossen hatte.

      Sie war jung und dumm gewesen, als der Kaiser sich in sie verliebt und sie diese Verliebtheit als Auszeichnung empfunden hatte. Mit 15 Jahren hatte sie keine Ahnung davon gehabt, was es bedeutete, Kaiserin von Österreich zu sein. Ihr Vater war über die Heirat nie begeistert gewesen. Elisabeth hatte den Freiheitsdrang von ihm in die Wiege gelegt bekommen.

      Sie erinnerte sich an die ersten Tage nach der Hochzeit, die sie in Schloss Laxenburg verbracht hatten. Die beiden Mütter lauerten wie Geier auf einen Beweis, dass die Ehe vollzogen worden war. Franz Joseph hatte sie die meiste Zeit allein gelassen, weil er den Regierungsgeschäften nachgehen musste. Erzherzogin Sophie, seine Mutter, hatte den ganzen Tag etwas an Elisabeth auszusetzen gehabt und mit ernster Miene ständig angemerkt, dass sie sich dem Hofprotokoll unterzuordnen hatte.

      Damals war ihr klargeworden, dass sie in einem goldenen Käfig gefangen saß. Aus Sisi, die voller Lebensfreude steckte, war Kaiserin Elisabeth geworden, die von Tag zu Tag bedrückter wurde.

      In ihren Briefen an die geliebte Schwester Sophie hatte sie einmal geschrieben: Franz Joseph ist mehr Monarch als Ehemann. Die Pflicht geht für ihn immer vor. Die wichtigste Frau in seinem Leben ist seine Mutter. Es regiert in ihm der Kopf, kaum aber sein Herz.

      Die quälenden Verpflichtungen als Kaiserin, der Tod der ersten Tochter, die Geburt von Rudolf, das alles hatte Elisabeth krank gemacht. Der schwere Husten, der sie quälte, erforderte eine Luftveränderung, hatte der Arzt diagnostiziert und Madeira vorgeschlagen. Elisabeth war glücklich gewesen, dem Hof, aber auch Franz Joseph und seiner Mutter entfliehen zu können.

      Wehmütig dachte sie oft an ihre Kinderzeit zurück. Ihre Mutter hatte immer darüber geklagt, sie könne nie stillsitzen und interessiere sich wenig für das Lernen. Ihr Vater aber hatte ihre Liebe zum Reiten gefördert, ihre Zeichnungen bewundert und sich ihre ersten selbst verfassten Verse angehört. Wie gerne war sie mit ihm in die Berge gegangen oder hatte seinem Zitherspiel gelauscht.

      Damals war sie die stürmische, vergnügte Sisi gewesen.

      »Sisi«, sagte Franz Joseph neben ihr und riss sie aus der Grübelei. War er die ganze Zeit wach gewesen? Er verwendete ihren Kosenamen. Das bedeutete, er wollte etwas von ihr.

      »Was willst du?«, fragte Elisabeth.

      »Du hast heute schon wieder das Abendessen ausgelassen.«

      »Ich war bei Rudi und Gisela. Sie brauchten ihre Mutter.« Elisabeth konnte sich diese Spitze nicht verkneifen, die gegen Erzherzogin Sophie, des Kaisers Mutter, gerichtet war, und vom Kaiser auch so verstanden wurde.

      »Man hat mir zugetragen, dass einer der Lehrer plötzlich verstorben wäre. Die Kinder mussten es mitansehen, nicht wahr?«

      »Deshalb habe ich den Abend mit ihnen verbracht.«

      »Sisi, die neuen Lehrer haben nicht den Stand, um einen Kronprinzen zu unterrichten.«

      »Wurde nicht einer deiner Lehrer im Duell getötet? Ist das der richtige Stand, um Kinder zu unterrichten? Wenn zwei Männer die Waffen aufeinander richten, weil sie sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen?«

      »Sisi, du musst das verstehen…«

      »Ich muss nichts«, erinnerte ihn Elisabeth.

      Das Schweigen bildete eine unsichtbare Wand, die sich mitten im Bett zwischen die Eheleute schob. Schließlich schliefen sie ein, jeder auf seiner Seite.

1. Juni 1866

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      Kurz vor Mittag nahm Ida vor dem Haupteingang zum Ehrenhof des Schlosses einen Umschlag entgegen. Sie stand unter einem Kastanienbaum und blickte auf den Hof, wo das übliche Treiben herrschte: Kutschen kamen und brachten Bedienstete, wie Adelige und Mitarbeiter der kaiserlichen Kanzlei. Handwerker und Lieferanten eilten ein und aus.

      Ida wollte sich nicht zu weit vom Schloss entfernen, falls die Kaiserin ihre Dienste benötigte. Gleichzeitig wollte sie nicht beim Treffen mit dem ungehobelten Burschen beobachtet werden. Peter, der Helfer von Amalie Buback, hatte den langen Weg quer durch Wien zurückgelegt, um den Umschlag zu übergeben. Und schon gar nicht wollte sie, dass Peter herausfand, für wen sie wirklich arbeitete.

      »Es sind drei«, sagte er. »Eines von einer Gräfin, eines von dem Selbstmörder und eines von einem Mann, der heute beerdigt wird.«

      Ida kramte in ihrem kleinen Beutel nach Münzen, um den vereinbarten Preis zu bezahlen. Dann aber überlegte sie es sich anders.

      »Ich will die Bilder sehen, bevor ich bezahle.«

      Peter schob sich die Kappe in den Nacken. Widerwillig öffnete er den Umschlag und entnahm die Photographien. Es waren drei dünne Platten mit graubraunen Bildern.

      Die Toten waren alle von der Seite aufgenommen worden. Ihre Köpfe ruhten auf Kissen. Die Qualität der Bilder war erstklassig, wenn auch Ida von den Motiven wenig begeistert war. Das musste sie aber auch nicht sein. Der Kaiserin sollten sie gefallen. Sie glaubte, die tote Gräfin zu kennen und sie schon einmal bei einer Festivität im Schloss oder in der Winterresidenz gesehen zu haben. Sie ruhe sanft, dachte Ida. Den Selbstmörder legte sie schnell unter die anderen Bilder, weil sie sich den Anblick und die Erinnerung an die klaffende Wunde an seiner Schläfe ersparen wollte.

      Das dritte Bild zeigte einen älteren Mann mit dunklem Haarkranz und Glatze. Ida zog die Luft ein. Sie drehte das Bild, sodass der Kopf aufrecht vor ihr stand. Inständig hoffte sie, sich zu täuschen.

      »Kennen Sie den Namen dieses Mannes?«, wollte sie von Peter wissen.

      Der Bursche warf die Kappe mit einer Hand hoch und fuhr sich mit der anderen durch die Haare. »Irgendwas mit Land oder so. Albert, glaube ich.«

      »Oberland?« Ida hoffte inständig, der Bursche würde verneinen.

      »Ja, das ist der Name. Albert Oberland.«

      »Alfred Oberland!«, korrigierte ihn Ida.

      »Kann auch sein. Ich merke mir Namen nicht so gut.«

      Sie wagte noch einen Blick auf das Foto. Kein Zweifel. Er war es.

      In Idas Ohren begann es zu rauschen. Das Klappern der Pferdehufe auf der Straße verhallte. Die Leute, die geschäftig herumeilten,