Karl-Heinz Menzen

Grundlagen der Kunsttherapie


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Die klinisch-neurologische und heilpädagogische-rehabilitative Kunst-therapie sucht vor allem die Selbsterlebens- und Erfahrensformen des geistig und körperlich behinderten oder dementen Menschen zu restituieren oder zu kompensieren; und dazu bedarf es einer langwierigen Wiederaneignung der unterbrochenen Sozialisation. Jeder, der täglich mit geistig behinderten und / oder neurologisch geschädigten Menschen zu tun hat, kennt die Etikettierungen, denen diese ausgesetzt sind. Was der Therapeut über diese Menschen denkt, wie er sie wahrnimmt und wie er ihre Kompetenzen und Defizite einschätzt, das bleibt den Betroffenen in der Regel verborgen. Sie scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben, die den Außenstehenden eine terra incognita ist. Der therapeutische Prozess, der in den Umkreis dieser Welt eindringt, entwickelt sich in bildnerischen, psychologisch und physiologisch angemessenen Schritten. Er knüpft dabei mit den Mitteln der Kunst an den Facetten der bildnerischen Material-, Form- und Farbgebung an, deren je eigene Psychodynamik aus den erstarrten, zuweilen nie erlebten Verhaltens- und Bewusstseinsformen herausführen soll (Menzen 2007, 355–368).

      

Die psychosomatische, zunehmend traumatherapeutisch orientierte Kunsttherapie will helfen, dass das Selbsterleben des beschädigten, des regressiven Bewusstseins, das sich leidvoll am Körper zeigt, bildnerisch ausgedrückt und dadurch aus Erstarrungen gelöst werden kann. Setting und Interventionsformen gleichen zuweilen noch denjenigen der Psychoanalyse, werden aber immer mehr von den explorativen Imaginationsverfahren und der Verhaltenstherapie geprägt. Ihr geht es einmal um die innere wie die äußere Form des Erlebten und dessen bildnerische Darstellung. Das Erlebte soll beispielsweise in der traumatherapeutischen Behandlung nach einer Phase der Stabilisierung in der sog. Traumaexposition eine Form, eine Gestalt erhalten – und so anschaubar, reflektierbar, auf die nicht mehr leiden machenden Seiten, eher auf die den Patienten eigenen Ressourcen hin ausgerichtet werden. Ihr geht es einerseits darum, die leiden machenden, immer wiederkehrenden Bilder, die schädlichen Erlebens- und Verhaltensmuster transparent, fassbar zu machen, andererseits die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Die psychosomatisch orientierte Kunsttherapie hat viel von der Gestalttherapie gelernt, die die inneren Beweggründe, die krankmachend sind, nachzuvollziehen, auszugestalten sucht, um sich schließlich der eigenen Kompetenzen bewusst zu werden.

      

Der psychiatrisch orientierten Kunsttherapie geht es noch ausdrücklicher als den psychosomatischen Verfahren um die Formen misslingender sozialer Alltagsgeschichten angesichts einer erschütterten und gefährdeten Ich-Instanz. Wo die sozialen Beziehungen nur noch verwirrend und gewaltförmig erlebt werden, da sucht diese Art der Kunsttherapie Beziehung wieder fassbar zu machen, zu gestalten. Ausgangspunkt der Therapie ist das leidvolle dissoziative und identitätsgestörte Erleben des Patienten. In der Folge wird die strukturierte Beziehung, die den Therapeuten und den Patienten durch das Medium der Kunst hindurch miteinander verbindet, zur Basis für eine therapeutisch dokumentierte Relation. Das Setting soll Verhaltensformen so reproduzieren, dass ihr therapeutisches Produkt sinnlich angeschaut und bildnerisch gestaltet werden kann, damit es als das Eigene verinnerlicht werden kann. In der Psychiatrie wird die kunsttherapeutische Methode zunehmend als Gruppenpraxis angewandt. Hierbei zeigt sich, dass die psychiatrische Kunsttherapie die Zeit- und Raumbestimmungen des Alltags, die alltäglichen Wahrnehmungen und Erlebnisse, die im Zuge der Verwirrungen psychotischer Schübe aus der Fasson geraten sind, rekonstituieren kann. Hierin ist die psychiatrische Kunsttherapie den neueren Therapien verwandt: Sie will wie die Verhaltenstherapie mit dem Patienten ein adäquates Verständnis für dessen Vulnerabilität und Stressfaktoren herstellen; sie will wie die Systemische Therapie mit dem Patienten dessen erstarrte Denk- und Handlungsmuster rekontextualisieren, beispielsweise „resonanzbildhaft“ (Schmeer 2006) anschaubar machen; sie will wie das Psychodrama und die Klinische Bewegungstherapie angesichts der verunklarten Ich-, Körper- und Rollenfunktionen mit dem Patienten ein neues Selbstgefühl, eine neue Definition von sich selbst konstruieren, die bildhaft verfügbar ist.

      Wenn wir versuchen, eine zusammenfassende Beschreibung derzeitiger kunsttherapeutischer Tätigkeit zu geben, kommen wir zu folgendem Fazit: Die klinisch-neurologische, die psychosomatische und die psychiatrische Kunsttherapie haben sich weitestgehend in einem Bereich des Gesundheitswesen angesiedelt, den wir allgemein den Rehabilitationsbereich nennen. Im sozialrechtlichen Sinne sind die ambulanten wie klinisch-stationären Fördermaßnahmen in der Sozialen Vorsorge der Kranken- und Rentenversicherungskassen wie in der rehabilitativ orientierten Sozialhilfe verortet; diese Maßnahmen sind rechtlich im Sozialgesetzbuch (SGB) grundgelegt.

       Angesichts eines Psychotherapeutengesetzes, das den Kunsttherapeuten als eigenständigen Berufsstand nicht in den Bereich der psychotherapeutischen Versorgung einbezieht, haben die künstlerischen Therapieformen schwerpunktmäßig also ihren Ort in den Feldern der sozialen Wiedereingliederungs- und Rehabilitationshilfe. Da deren Maßnahmen nicht unwesentlich mit den psychosomatisch-psychotherapeutischen und neurologischen einhergehen, finden wir KunsttherapeutInnen zunehmend in dem Feld der psychosomatischen, psychotherapeutischen und neurologischen Medizin und deren rehabilitativen Einrichtungen – was einer hohen Wertschätzung des Berufsstandes seitens der im klinischen Bereich Verantwortlichen entspricht. Explizit werden neuerdings Kunsttherapeuten für die stationäre Versorgung der Psychotherapeutischen Medizin vorgeschlagen, und es wird konstatiert, dass die „psychotherapeutischen Ansätze . . . verbale und nonverbale (körperbezogene Therapie, Musik- und Kreativtherapie) Methoden“ umfassen (Sozialministerium Baden-Württemberg 1998b, 32).

      Explizit hat die Expertenkommission der „Deutschen Rentenversicherung Bund“ in der KTL 2006 (Klassifikation Therapeutischer Leistungen), verordnet allen Rehabilitationseinrichtungen, den Kunsttherapeuten / -innen mit den Berufsgruppen der Klinischen Psychologen und Neurologen eigene Leistungs- und Abrechnungsziffern zugewiesen (F 15, F 16), sie sogar im Delegationsverfahren bei psychotherapeutischen Verfahren zugelassen (G 04). (Deutsche Rentenversicherung Bund 2006)

      Das Psychotherapeutengesetz bedeutet also für die kunsttherapeutisch Tätigen nicht, dass sie auf ihr psychotherapeutisches Know-how verzichten müssen. Nach wie vor arbeiten sie u. a. damit, innerpsychische Einstellungen und sich ausdrückende Verhaltensmuster in der bildnerischen Formgebung und Dynamik eines ästhetischen Mediums zu spiegeln und die sich dabei abbildenden Lebensverhältnisse bearbeitbar und neu zentrierbar zu machen, so dass sich neue Lebensperspektiven bieten.

      Die künstlerischen Therapien wollen rehabilitieren und wiedereingliedern. Sie wollen die Ausdrucksformen eines gehemmten, gestörten soziokulturellen Austauschs wieder sozial zugänglich machen. Mit bildnerischen, mit abbildenden Mitteln suchen sie die behinderten, die gestörten, die krank gewordenen Äußerungen aus den Einbahnstraßen des Lebens herauszuführen.

      TEIL II

      METHODEN DER KUNSTTHERAPIE

      

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