Fabian Moos

Der Zukunft eine Zukunft geben


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das Gute und Schöne benennen

      Wer da ist und staunt, hat womöglich das Bedürfnis, die Schönheit und Tiefe, die er oder sie erlebt, zu benennen und Gott dafür zu danken. Künstlerischer Ausdruck und Dankgebet liegen dabei eng zusammen. Sie sind Teil eines Beziehungsgeschehens zwischen uns, Gott und der Schöpfung. Das »Loben« feiert das Gute, Wahre und Schöne. Es ist wunderbar, dass diese Dinge da sind, doch es ist noch wunderbarer, dem Lob dafür Zeit und Raum zu geben.

      Im Alten Testament sind beispielsweise die Dank-Psalmen Zeugnisse davon, wie die Gaben der Schöpfung gelobt und gefeiert werden, in teilweise überschwänglichen Bildern:

      »Preise den HERRN, meine Seele! / HERR, mein Gott, wie überaus groß bist du! / … Du lässt Quellen sprudeln in Bäche, / sie eilen zwischen den Bergen dahin. / Sie tränken alle Tiere des Feldes, / die Wildesel stillen ihren Durst. / Darüber wohnen die Vögel des Himmels, / aus den Zweigen erklingt ihr Gesang. / Du tränkst die Berge aus deinen Kammern, / von der Frucht deiner Werke wird die Erde satt. / Du lässt Gras wachsen für das Vieh / und Pflanzen für den Ackerbau des Menschen, / damit er Brot gewinnt von der Erde / und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, / damit er das Angesicht erglänzen lässt mit Öl / und Brot das Herz des Menschen stärkt« (Ps 104,1; 10–15).

      Papst Franziskus lädt in seinem apostolischen Lehrschreiben Querida Amazonia (»geliebtes Amazonien«) dazu ein, sich in das Amazonas-Gebiet regelrecht zu verlieben! Der ganze Text steckt voller kürzerer und längerer Zitate aus Gedichten. Der Stil von Franziskus selbst hat etwas sehr Poetisches. In der Nr. 46 zitiert er den brasilianischen Dichter Vinicius de Moraes mit den Worten: »Nur die Poesie, mit der Bescheidenheit ihrer Stimme, wird diese Welt retten können.« Was für eine starke Aussage! Nur »kontemplative und prophetische Dichterinnen und Dichter« können die Schönheit und das Leiden der Schöpfung wirklich wahrnehmen. Und diese Art von Dichtkunst steckt in uns allen!

      Worte, die Lob ausdrücken, können eine starke Kraft entfalten. So können wir in einen Dankespsalm oder ein Loblied einstimmen und davon erfüllt werden. Wir können aber auch selbst in Worten, Bildern oder Bewegung Dank und Lob ausdrücken. Aus der Betrachtung der Schönheit des Waldes oder des Meeres wächst ein »Danke!« hervor und womöglich noch viel mehr. Die eigene Kreativität kann eine Antwort auf das stille »Wort« der Kreation, der Schöpfung, sein.

      Auch im mitmenschlichen Bereich macht es einen großen Unterschied, ob ich zu einer »Kultur des Lobes« beitrage oder nicht. Häufig haben wir den Blick stark auf die Unvollkommenheiten in der Welt, in anderen und in uns selbst gerichtet. Sich bewusst zu fragen, wofür man konkret loben kann, macht einen Riesenunterschied. Das habe ich als Lehrer in der Schule oft erlebt: Gerade Kinder und Jugendliche, die häufig schlecht bewertet werden, fangen dann an aufzublühen, wenn sie konsequent für positive Entwicklungen, und seien sie noch so gering, gelobt werden. Es ist eine Frage der Blickrichtung, diese Dinge zu sehen und zu benennen – denn sie sind ja da!

      Das ist kein »Wegharmonisieren« der Probleme der Welt. Im Gegenteil sind das Danke-Sagen und das Loben Tugenden, die häufig gerade unter schwierigen Umständen heranreifen und Kraft gewinnen.

       Dienen: für andere da sein

      Ganz dasein, staunen, loben – all das hilft, sich tief in Gott zu verwurzeln. Doch wir haben neben dieser Gabe des Lebens auch eine Aufgabe. »Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt«, sagt Jesus (Joh 15,16). Wo wir frei und auf unsere eigene Weise etwas Bedeutsames tun, für andere, für die Welt, für Gott, dort geschieht ebenfalls Verwurzelung. Christlich sprechen wir von »Dienst«. Dienst im Geist des Evangeliums ist auf das Wohl des anderen ausgerichtet und zugleich sinnerfüllend für die freizügig Gebenden. Manche dürfen es in ihrem Beruf immer wieder erleben, dass sie Bedeutsames für andere tun. Für viele spielt sich das vor allem in Familie, Freundeskreis und Ehrenamt ab. Wo auch immer man etwas davon spüren mag – es geht nicht darum, großartige und weltbewegende Dinge zu tun. Die Frage ist schlicht: Hat diese Dimension des erfüllenden Dienstes in meinem Leben einen Raum?

      Es gibt auch den Dienst gegenüber Gott – Gebet oder Meditation, das Leben der Sakramente und Gottesdienste im engeren Sinn. Bei all diesen Dingen schenke ich Gott Zeit, obwohl ich auch »Besseres zu tun« hätte. Doch diese geschenkte Zeit kann nach und nach ihre Frucht in mir entfalten. Denn wenn ich beispielsweise immer wieder mit den Geschichten der Bibel in Berührung komme – das ist die große Erzählung des Bundes zwischen Gott und den Erdenbewohnern –, können sie meinen Glauben und mein Leben prägen und inspirieren. Außerdem gibt es kein stärkeres Symbol für die besondere Rolle des Menschen in der Schöpfung als die Eucharistie: Wir bringen Gott die von Menschenhand weiterverarbeiteten Früchte der Erde (Brot, Wein) dar und lassen sie von ihm wandeln; wir empfangen daraufhin Ihn selbst und gehen verwandelt wieder in die Welt hinaus, um als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes zu ihrer Transformation mitzuarbeiten. Das ganze Geschehen ist ein einziger gemeinschaftlicher Lobpreis, ob mit Liedern oder in Stille. Einige Theologen der frühen Kirche nannten den Menschen daher »das eucharistische Wesen«. Was den Menschen gegenüber den Tieren auszeichnet, ist demnach nicht primär die Vernunft, sondern die Fähigkeit, Danke zu sagen (»Eucharistie« heißt wörtlich »Danksagung«) und in einer Vermittlerposition zwischen Gott und der Materie an deren Transformation mitzuwirken. So wie das Getreide durch das Werk menschlicher Hände zu Brot wird, so sind wir eingeladen, in einen fruchtbaren Austausch mit den Gaben der Schöpfung zu treten. Wenn wir das auf verantwortungsvolle Weise tun, erfüllen wir unsere ureigenste Berufung!

       Indifferenz: frei sein, um unterscheiden zu können

      Zu einer christlichen Schöpfungsspiritualität gehört auch eine innere Freiheit gegenüber allen geschaffenen Dingen dieser Welt. Ignatius gibt für die Exerzitien den Hinweis, dass wir uns innerlich bewusst frei machen (und befreien lassen) sollen, wenn wir einen wirklichen Weg der Umkehr zum Leben gehen wollen. Er nennt diese Haltung »Indifferenz« oder auch »Freiheit des Geistes«. Es geht darum, grundsätzlich bereit zu sein, auch Dinge loszulassen, die an sich gut sind (Reichtum, Ehre, Gesundheit, ein langes Leben …), und zwar dann, wenn die Ausrichtung darauf uns auf dem Weg zu Gott hinderlich ist. Das Ziel ist, immer stärker mit Gott verbunden zu leben. An manche Dinge haben wir uns schlicht gewöhnt, sie sind Bedürfnisse geworden; und doch könnten wir freier und erfüllter leben, wenn wir diese Bedürfnisse mit der Zeit abbauen würden. Das kann man nicht »machen«, man kann aber bereit sein, sich auf einen solchen Weg einzulassen. Gibt es Dinge in Ihrem Leben, bei denen Sie spüren, dass Sie freier wären, wenn Sie sie loslassen würden?

      Wenn wir gut verwurzelt sind, können wir uns innerlich freier einlassen (Ignatius würde sagen: uns »indifferent« machen). Wenn uns bewusst ist, dass uns das Wesentliche geschenkt wird, können wir uns für die Möglichkeit öffnen, einige unwesentliche Dinge bleiben zu lassen.

       Eine Spurensuche

      Ich möchte Sie einladen, nach den Spuren der drei Haltungen (Staunen, Loben, Dienen) sowie nach der inneren Freiheit (»Indifferenz«) in Ihrem Leben zu suchen – wann und wo sind sie vorhanden? Welche Erfahrungen machen Sie damit?

      Zur Vertiefung empfehle ich das 6. Kapitel von Laudato Si’: »Ökologische Erziehung und Spiritualität«.

       Fragen für Reflexion oder Austausch

      –Was hilft mir, präsent und in meinem Leib zu Hause zu sein? Spazierengehen, Sport, ein Handwerk …?

      –Gibt es Orte in der Natur, die für mich bedeutsam sind?

      –Wofür und für wen bin ich in meinem Leben besonders dankbar?

      –Was bringt mich ins Staunen?

      –Wo und wann erlebe ich, dass ich für andere etwas Bedeutsames tue?

      –Gibt es in Gebet und Gottesdienst Momente, die mich tragen?

      –Gab