Susanne Kersig

Im Dialog mit dem Körper


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Wissen um den nächsten Schritt in Richtung Gesundheit. Dieses Wissen ist kreativ, überraschend und kann weder von außen kommen noch von unserem Verstand gewusst werden. Die Antworten des Inneren Arztes, wie Albert Schweitzer dieses Wissen genannt hat, befinden sich in unserem Körper, manchmal sogar mitten in der Körper-Symptomatik selbst. Wir können lernen, darauf zu hören und seine Sprache zu verstehen.

      Lassen Sie mich dies an einem Beispiel einer Klientin illustrieren:

      Rückenschmerzen oder: Ich fühle mich wie angeschossen

      Regina ist Software-Entwicklerin. Sie leidet seit einigen Wochen unter akuten Schmerzen im unteren Rücken. Es gibt bislang von ärztlicher Seite keine eindeutige Diagnose. Eine osteopathische Behandlung führte zwar zu einer Linderung der Symptomatik, aber nicht zu deren Verschwinden. Für den achtsamen Körperdialog schließt sie die Augen und beschreibt die Empfindungen an der schmerzhaften Stelle: »Es fühlt sich an wie ein größerer Pfeil im Inneren der unteren Wirbelsäule, der sticht und ist festgehakt. Ich fühle mich wie angeschossen … irgendwie verletzt«. Sie weint. »Es fühlt sich an, als wäre mir jemand in den Rücken gefallen.« Sie atmet auf. »Das passt ja haargenau auf meine Situation mit meinen Eltern! Die haben mich beim 70. Geburtstag meines Onkels kaum begrüßt und sind seitdem sehr abweisend. Im Rücken fühlt es sich an wie verletzt und verraten. Ich bin fassungslos darüber, wie sehr mich meine Eltern im Stich gelassen haben. Der Rücken wird warm und heiß, während ich jetzt spreche, wie ein innerer Aufruhr.« Nachdem sie der Verletzung und dem Ärger, der mit diesem Aufruhr verbunden ist, Raum gegeben hat, frage ich Regina, was dem Rücken guttun würde. »Ganz viel freundliche und mitfühlende Aufmerksamkeit. Vor meinem inneren Auge erscheint die Hand einer liebevollen Heilerin. Diese Vorstellung ist sehr entspannend und wohltuend. Der Rücken lässt sich jetzt in die Hand hinein sinken. Die Hand schließt die Wunde und schützt mich vor weiteren Angriffen. Die verletzte Stelle im Rücken möchte sich verletzt fühlen dürfen. Jetzt kann ich das mithilfe der Vorstellung der schützenden Hand im Rücken auch zulassen.« In der darauffolgenden Sitzung berichtet Regina, dass die Symptomatik nach dem Körperdialog deutlich gelindert ist. »Ich bin nicht mehr so verkrampft an der Stelle. Ich habe den Eindruck, da sitzt noch so einiges an Gefühlen und Themen, denen ich mich später noch einmal widmen möchte.«

      Durch das achtsame Lauschen auf ihre Rückenschmerzen erkennt Regina, in welchem Lebenszusammenhang sie stehen (dem Gefühl von Verrat durch die eigenen Eltern) und sie weiß jetzt auch, was der nächste stimmige Schritt ist: mithilfe der vorgestellten schützenden Hand ihre Gefühle von Wut und Verletzung darüber zuzulassen.

      Hätte Regina ihr inneres Wissen nicht entschlüsselt, wären ihr wichtige Informationen über den Weg zur Genesung entgangen. Der Heilungsprozess wäre unvollständig geblieben oder sogar ganz ausgeblieben.

      Eigentlich geht es bei den achtsamen Körperdialogen um nichts Besonderes oder Spektakuläres. Es handelt sich nicht um eine neue oder esoterische Methode auf dem Markt der Heilungsangebote. Es geht um das Einfachste, Offensichtlichste und Kostengünstigste, das wir tun können, wenn wir erkranken: Unsere freundliche Aufmerksamkeit nach innen zu richten und den Körper sanft zu erforschen. Eigentlich ist es erstaunlich, wie selten dieses innere Zuhören auf den Körper geschieht!

      Die Innenperspektive auf eine Erkrankung eröffnet uns unsere subjektive Sicht. Das innere Körperwissen stellt den Bezug einer Symptomatik zu unserer Lebenssituation her. Von innen her spüren wir unsere Lebendigkeit und unsere Fähigkeit zur Selbstheilung. Der äußere Arzt kann eine Diagnose stellen und uns Informationen über unseren Körper geben, die messbar sind, zum Beispiel Laborwerte, Röntgenaufnahmen oder ein EKG. Diese Informationen sind wichtig und wir sollten keinesfalls auf sie verzichten. Richten wir unsere Aufmerksamkeit dann nach innen, auf den von innen gefühlten Körper, kann aus den vielen medizinischen Details wieder ein zusammenhängendes Ganzes werden.

      Das hier vorgestellte Vorgehen, wie Sie das innere Körperwissen um Heilung entschlüsseln und nutzen können, nenne ich Achtsame Körperdialoge. Diese Körperdialoge sind nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu einer fachlich-medizinischen Behandlung gedacht. Es geht darum, die Außenperspektive über eine Erkrankung und deren Behandlungsmöglichkeiten um die Innenperspektive- das subjektive innere Körperwissen- zu ergänzen. Erst wenn äußeres, medizinisches Faktenwissen und inneres, subjektives Wissen zusammenkommen, ergibt sich ein vollständiges Bild.

      Die in amerikanischen Wissenschaftszentren entwickelte Mind-­Body-Medizin hat zum Ziel, die Wechselwirkung zwischen Bewusstsein, Gehirn, Körper und Verhalten positiv zu beeinflussen. Sie ist in den USA bereits weit verbreitet, während sie bei uns immer noch in den Kinderschuhen steckt. Die Grundlage der Mind-Body-Medizin ist die achtsame Wahrnehmung des eigenen Körpers. Darauf basierend lernen PatientInnen, wie sie ergänzend zu medizinischen Maßnahmen eigene Gesundheitsressourcen positiv nutzen und die eigenen Selbst-Heilungskräfte gezielt anregen können.

      Im Dialog mit dem Körper versteht sich als ein Praxisbuch in Mind-­Body-Medizin und richtet sich sowohl an jede und jeden, die oder der an körperlichen Beschwerden leidet, als auch an TherapeutInnen. Geschieht dieses achtsame Wahrnehmen des Körpers auf eine bestimmte Weise, die ich in diesem Buch darstellen möchte, dann entspringen dem Körperempfinden Antworten, die uns in der Regel verblüffen und zutiefst Sinn ergeben. Wir haben dann ein wirkliches Aha-Erlebnis. Die überraschende Bedeutung unserer Symptome erweitert unser Lebensgefühl und wir erfahren körperlich spürbar, was der nächste stimmige Schritt zur Heilung oder Krankheitsbewältigung sein kann. Am Ende eines Körperdialoges fühlen wir uns in der Regel mehr mit uns selbst und unserer Umgebung im Einklang und schauen entspannter und akzeptierender auf unsere Beschwerden. Das Frappierende: Die Symptome haben in aller Regel auch eine Linderung erfahren, wenn sie nicht sogar ganz verschwunden sind.

      Voraussetzung dafür, dass dieses innere Heilungswissen sich entfalten kann, ist eine freundliche, vorurteilsfreie und vollkommen offene Aufmerksamkeit für unsere Empfindungen im Körper.

      Einen achtsamen Körperdialog können wir mit kleineren Symptomen wie zum Beispiel einem Schnupfen oder eine Sehnenscheidenentzündung durchführen, aber auch bei schwereren Erkrankungen wie Krebs oder Rheuma.

      Ein achtsamer Dialog mit dem eigenen Körper

       bringt uns in einen fühlbaren Kontakt mit unseren Selbstheilungskräften. Diese können direkt erfahren werden und bleiben keine bloßen Vorstellungen.

       verursacht keine Schmerzen, sondern führt in der Regel zu mehr Wohlbefinden und zu einer Linderung der Symptomatik.

       ist fast immer überraschend und kreativ. Das, was unser Körper selbst zu unserer Gesundheit sagen möchte, können wir weder allein mit unserem Verstand vorausdenken noch mithilfe vorgefertigter psychosomatischer Hypothesen vorwegnehmen.

       führt dazu, dass Krankheiten oder Symptome, die zunächst als lästig oder unangenehm abgewehrt wurden, plötzlich in ihrem Zusammenhang zum eigenen Leben erkannt werden und Sinn ergeben. Das wiederum steigert die Akzeptanz und bringt meist Linderung oder gar Heilung.

       ist vom Ergebnis her präzise und wird von einem tiefen Gefühl von innerer Stimmigkeit begleitet.

       kostet nichts, wenn man ihn selbst durchführt.

       stärkt das Vertrauen in die Weisheit des eigenen Körpers, das durch die Erkrankung möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen wurde.

       ist eigentlich gar nichts »Besonderes« – sondern das aller Einfachste, Nächstliegende und Selbstverständlichste!

      Hier zwei weitere Beispiele aus meiner Praxis:

      Chronische Müdigkeit

      Die Arzthelferin Marianne leidet seit vielen Jahren unter chronischer Müdigkeit. Die Schulmedizin konnte ihr nicht weiterhelfen. Im Rahmen eines achtsamen Körperdialoges tauchen relativ rasch Bilder aus ihrer Kindheit auf, die ihr unangenehm sind und die sie zunächst wegschieben möchte, da sie für ihren Verstand nichts mit der Symptomatik zu tun haben. Nachdem sich