Ina Ruschinski

Reiten als Spiegel des Herzens


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nicht in allen Punkten so perfekt, wie Sie und Ihr Pferd es gern hätten, aber wäre das so schlimm? Entscheidend ist, dass Sie offenen Herzens mit Ihrem Pferd in die richtige Richtung schreiten.

      Und bitte lassen Sie es nicht zu, dass Ihnen unterwegs Lehrer begegnen, die Ihnen und Ihrem Pferd nicht guttun, die Ihnen die gemeinsame Freude nehmen und das Gefühl vermitteln, Sie werden es niemals zuwege bringen und Ihr Pferd sei ohnehin nichts Besonderes. Daran erkennen Sie schon mal einen schlechten Trainer oder eine schlechte Trainerin.

      LOSGELASSENHEIT UND TAKT

      Losgelassenheit und Takt sind die ersten beiden Stufen auf der Skala der Pferdeausbildung. Leider sehe ich viele reitende Menschen, die an diesen beiden Punkten bereits scheitern. Und leider auch solche, die schon wer weiß was für Lektionen mit ihrem Pferd anstellen – oder sollte ich besser sagen: gerade solche? Wie viel erträglicher wäre es, ihnen zuzusehen, wenn sich diese ersten beiden Stufen der Ausbildung in ihrem Reiten offenbaren würden.

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      Glauben Sie mir, Sie haben schon viel geschafft, wenn sich Ihr Pferd unter Ihnen losgelassen im Takt bewegt. Rufen wir uns wieder die Pferdemimik in Erinnerung, in der mangelnde Losgelassenheit auf so vielen Veranstaltungen traurig anzusehen ist.

      Falls Sie jetzt sagen, dass doch erst der Takt und dann die Losgelassenheit kommt, ist das wohl von der verschriftlichten Abfolge her richtig, doch kein Pferd kann seinen Takt unter dem Menschen wiederfinden, wenn es sich nicht zuvor loslässt.

      ANLEHNUNG

      Im Sinne dieses Begriffs wurde und wird dem Pferd so viel mehr Schaden als Gutes angetan. Die Frage ist: Wie viel Anlehnung (körperlich und psychisch) braucht Ihr Pferd? Wo ist der ganz individuelle „Anlehnungspunkt“ Ihres Pferdes, an dem es sich ausbalanciert bewegen kann? Das ist Zentimetersache und keine Schablone, die man jedem Pferd anlegen kann. Das Pferd hat seine individuelle Kopf-Hals-Position, in der es am besten in der Lage ist, geforderte Aufgaben unter Ihnen zu bewältigen, und dabei entspannt und willig bleibt. Das gemeinsam herauszufinden ist ein wichtiger Schritt in der Ausbildung.

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      Das Pferd steht an den Hilfen. In dieser ihm eigenen Kopf-Hals-Position fühlt es sich wohl und kann alle Bewegungen ausbalanciert meistern.

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      Hier ist der Wallach deutlich zu eng durch den Zügel gestellt. Er fühlt sich sichtbar unwohl und die Ohrspeicheldrüse wird schon gequetscht. Gemeinhin würde man aber genau diese Hals-Kopf-Position von ihm verlangen.

      EIN WORT ZUR GEBISSLOSEN ZÄUMUNGEN.

      Derzeit wird wieder viel darüber diskutiert und gebissloses Reiten als nicht klassisch und nicht turniertauglich angesehen. Es wird als unsanft verworfen und deutlich herausgestellt, dass eine korrekte Anlehnung damit nicht möglich sei. Die jedoch wird als Voraussetzung für ein tätiges Maul gesehen, was wiederum für ein entspanntes Pferd von allergrößter Bedeutung sei.

      Ja, es stimmt, auch über die Nase kann man scharf und unsanft auf das Pferd einwirken. Und die Vielzahl neu entwickelter gebissloser Zäumungen ist groß, man muss schon sehr genau schauen, wie diese wirken und zu handhaben sind. Zudem reagiert jedes Pferd anders auf gebisslose Zäumungen und gebissloses Reiten insgesamt. Anatomie, Charakter, Sensibilität, Temperament, Willigkeit, Nachgiebigkeit, äußere Faktoren und natürlich der Ausbildungsstand spielen eine große Rolle. Doch am wichtigsten wirkt vor allem der Mensch, der am anderen Ende des Zügels agiert. Wer vermeintlich klassisch reitet und „ständig ein bisschen was in der Hand braucht“, wie manche Dauerdruck nett zu umschreiben verstehen, wird nicht glücklich und erfolgreich einfach eine gebisslose Zäumung dem Pferd anschnallen und so weiter reiten können, wie er es gewohnt ist, nur vermeintlich pferdefreundlicher, weil kein Gebiss das Pferdmaul mehr plagt.

      Wer einem Pferd Zügelhilfen über die Nase geben möchte, muss sich von der geforderten klassischen Anlehnung verabschieden.

      Man kann eine solche Zäumung nicht mit Dauerkontakt reiten. Das erzeugt über kurz oder lang eine wunde Nase und ein unwilliges, dagegen ankämpfendes Pferd, das durch den permanenten Druck abstumpft, irgendwann den Nacken steif macht und sich entzieht. Feines gebissloses Reiten geht nur über Impulse, mit anschließendem leichten oder größeren Slack im Zügel, wie man im Westernreiten sagt, also leicht durchhängendem Zügel. Nicht zu verwechseln mit langem Zügel! Sondern: Impuls und sofort Zügeldruck weg für ein paar Zentimeter.

      Und Impulsreiterei ist nicht die klassische FN-Lehre. Man kann ein eigenes System wie gebissloses Reiten nicht in die Maßstäbe der FN-Turnierreiterei quetschen, wo eine stete Anlehnung und ein kauendes Maul dogmatisch gefordert wird und ein Slack im Zügel verpönt ist. Ja, es stimmt, was zurzeit geschrieben und diskutiert wird: Gebissloses Reiten ist nicht FN-gemäß und dadurch auch nicht turniertauglich. Dazu müsste erheblich umgedacht und vorherrschende Dogmen müssten gründlich untersucht werden.

      Ein Beispiel: Das Pferd soll kauen und über ein Gebiss im Maul locker im Körper gemacht werden. Das ist für mich persönlich eine jahrhunderte alte, hartnäckig verbreitete Theorie der klassischen Reiterei, die ich nicht teilen kann.

      Ein Pferd ist entspannt und losgelassen im Körper, wenn es entspannt und frei im Kopf ist, so wie wohl jedes Säugetier, uns eingeschlossen. Entspannt und frei im Kopf, das heißt ohne verwirrende Dauerirritationen im Maul durch ständigen Zügeldruck oder auf der Nase oder sonstwo am Körper, ganz zu schweigen von möglichen Schmerzen. Ein Pferd, das sich wohlfühlt und sich nicht ständig mit etwas beschäftigen muss, das dauerhaft in seinem Maul oder auf seiner Nase einwirkt und zu Irritationen führt, kann entspannt, losgelassen und vor allem konzentriert den feinen und allerfeinsten Impulsen seines Menschen willig und lernbereit folgen.

      Die dogmatische These der klassischen Reiterei hört sich an, als würde man davon ausgehen, dass Pferde grundsätzlich verspannte Wesen sind, die man erst mit einem Gebiss im Maul vom Unterkiefer bis zum Schweif lockern muss. Diese These, dass ein Pferd nur durch Abkauen entspannt rittig ist, hätte ich gern wissenschaftlich belegt.

      Meiner Erfahrung nach sind Pferde entspannte Tiere, solange man ihnen nicht durch falsche Ausrüstung und Hilfengebung Schmerz zufügt, der Abwehrverhalten auslöst und damit eine innere und äußere Festhaltung bewirkt.

      Ein Pferd, das ein Gebiss ruhig und ungestört im Maul trägt und auf die nächsten Impulse des Menschen wartet, weil es gelernt hat, was diese zu bedeuten haben, ist losgelassen und entspannt. Ein junges Pferd, das zum Beispiel gebisslos achtsam ausgebildet wird, bleibt entspannt.

      Es stimmt, ein Pferd muss locker und nachgiebig im Genick sein, dann kann es auch locker die Bewegungen unter dem Menschen durch seinen Körper fließen lassen. Spannen Sie einmal das Genick an und Sie werden merken, dass weder Ihr Unterkiefer und Mund noch Ihr Rücken und die Schultern locker sind. Doch Sie brauchen kein Kaugummi oder Lutschbonbon, um sich zu entspannen. Im Gegenteil. In den kleinen Momenten der allergrößten Konzentration und Aufmerksamkeit, auch Achtsamkeit, stellen wir genau diese (Mund-) Tätigkeiten ein. Ist es bei Pferden anders?

      Ein Blick zurück lohnt sich vielleicht. In der altkalifornischen Westernreiterei wurden die Pferde gebisslos mit Bosal so weit ausgebildet, dass sie sich geschmeidig, locker und ausbalanciert