Interesse. Organisationen der Sozialen Arbeit bewegen sich also in einer besonderen Nähe zum (sozial)politischen System: Ihre Existenz ist unmittelbar abhängig von sozialpolitischen Entscheidungen – und dies sowohl hinsichtlich der elementaren Existenzmöglichkeiten (Finanzierung) als auch hinsichtlich der politisch gesetzten Bedingungen für die Leistungserbringung. Das sozialstaatlich begründete öffentliche Interesse hat zur Folge, dass für das Erlangen einer solchen Leistung der »normale« Marktmechanismus, durch den man an eine Leistung gelangt (nämlich durch Kauf), zu einem beachtlichen Teil außer Kraft gesetzt wird (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 11):
»In einem durch politische Entscheidungen definierten Umfang haben auch Menschen Zugang zu sozialen Diensten, die aufgrund fehlenden Einkommens oder fehlender privater Vorsorge über Versicherungen ohne Unterstützung den Zugang nicht erhielten.«
Unter anderem dadurch werden Dienstleistungen zu solchen, die man als »sozial« kennzeichnet. Die Abkoppelung von der Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft als Kriterium für den Zugang zum Markt mündet in staatliche Regelungen zu Bedarfslagen, die einen Zugang zu den Dienstleistungen ermöglichen (konkretisiert im Leistungsrecht), sowie in Regelungen zu Bedingungen der Leistungserbringung und zu Spezifika der Finanzierung (Leistungserbringungsrecht).
Soziale Dienstleistungsorganisationen sind gekoppelt an einen politisch konstituierten Bedarf, der von den Bedürfnissen von realen und potenziellen Leistungsadressaten zu differenzieren ist. Soziale Dienstleistungen müssen als »öffentliche Güter« (Grunow 2011) politisch legitimiert werden: im Hinblick auf bestimmte, als durch die Gesellschaft unterstützungswürdig angesehene Lebenslagen (z. B. Alter oder Behinderung) oder im Hinblick auf krisenhafte individuelle Lebenssituationen (z. B. bei Hilfen zur Erziehung) oder im Hinblick auf normgerechtes soziales Verhalten (z. B. bei Straffälligkeit) oder in der Verkoppelung dieser Aspekte. Die Bedürfnisse von Leistungsadressaten, an die Interaktionen anknüpfen und zu Koproduktionen herausgebildet werden können, liefern einen Ansatzpunkt, aber sie bilden nicht den allein maßgeblichen Bezugspunkt für das Dienstleistungshandeln. Das Management sozialer Dienstleistungen vollzieht sich immer »im Spannungsverhältnis zwischen personenbezogener Bedürfnisbefriedigung und sozialer Problemdefinition und Ressourcenfreigabe, was sich (u. a.; Anm. S. G./J. M.) in der Finanzierungsstruktur niederschlägt« (Langer 2014, S. 484). Individuelle Bedürfnisse werden für die Organisationen Sozialer Arbeit dann relevant, wenn sie mit einem gesellschaftlich definierten Bedarf einhergehen bzw. in entsprechende politische Bedarfsentscheidungen eingegangen sind oder wenn sie sich durch politische Aktivitäten der Organisationen in eine solche Bedarfsentscheidung transferieren lassen.
Aufgrund des damit konstituierten öffentlichen Interesses wird der Dienstleistungsarbeit und den sie leistenden Organisationen auch ein gewisses Maß an Normalisierungs- und Überwachungsfunktionen zugewiesen, das sich sowohl in präventiven Tätigkeiten (vorsorgliche Vermeidung des Auftretens von Normverletzungen) als auch in Bemühungen zur Beseitigung manifester Normverletzungen (markant z. B. in der Erziehungshilfe oder in der Drogenhilfe) zeigen kann. Die den Bedarf konstituierenden Faktoren können sowohl auf der Ebene der bedürftigen Individuen begründet sein (gesellschaftlich und politisch anerkannte individuelle Bedürftigkeit) als auch in einem gesellschaftlichen Interesse an Normwahrung und Regelung eines normkonformen Zusammenlebens und des sozialen Friedens. Soziale Dienstleistungen weisen daher im Grundsatz zwei Zielperspektiven auf, die auch bei markanten Spannungen in Einzelfällen und in einigen Handlungsfeldern verfolgt werden müssen: »eine auf die Verbesserung von individuellen Lebensbedingungen gerichtete sowie eine am gesellschaftlichen Integrationsbedarf orientierte« (Heinze u. Schneiders 2013, S. 8).
Die politische Konstituierung des Bedarfs und die damit einhergehende notwendige Ankoppelung des Managements in Organisationen der Sozialen Arbeit an die Mechanismen und Vorgaben politischer Aushandlungen und Entscheidungen haben auf der Ebene der Leistungsadressaten eine eingeschränkte »Konsumentensouveränität« zu Folge. Während bei Marktverhältnissen den Konsumenten aufgrund der Zahlungsfähigkeit von Käufern ein souveräner Status zugesprochen wird – unabhängig davon, ob sie über sachlich ausreichende Kenntnisse zum Gebrauch oder zum Vergleich verschiedener Güter verfügen –, wird ein solcher Status der Leistungsadressaten bei sozialen Dienstleistungen nicht erreicht: Diese bleiben im Status eines »Leistungsempfängers«, für dessen Leistungsempfang Dritte einen Teil der oder gar die gesamten Kosten übernehmen. Die Leistungsnehmer befinden sich nicht in der Stellung eines im Rahmen von direkten Tauschbeziehungen mächtigen Marktteilnehmers. Darüber hinaus ist die Nutzersouveränität durch den Grad der Hilfebedürftigkeit eingeschränkt. Insbesondere bei stationären Einrichtungen (z. B. Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe, aber auch Einrichtungen der Heimerziehung) besteht ein hohes Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem einmal gewählten Leistungserbringer, sodass hier der Staat über Regelsetzung und Kontrolle im Rahmen der Betriebserlaubnis und Heimaufsicht einen Schutz für die Nutzer gewährleisten muss (Cremer 2013, S. 64 f.). Die eingeschränkte Nutzersouveränität ist verkoppelt mit einem – je nach Handlungsfeld mehr oder weniger intensiv wirkenden – Abhängigkeitsverhältnis des Leistungsnehmers von der leistungserstellenden Organisation. Personen, die auf Hilfe angewiesen sind oder die sich in einem durch Kontrollintentionen überlagerten Verhältnis zu einer Organisation der Sozialen Arbeit befinden, stehen in einer Situation des Machtungleichgewichts.
2.2Interaktion als Kern sozialer Dienstleistungen
Im Zentrum der von Organisationen der Sozialen Arbeit zu gestaltenden sozialen Dienstleistungen stehen Interaktionen: Die Organisationen sind darauf ausgerichtet, das Personal und die Leistungsadressaten so in ankoppelungsfähige Relationen zu bringen, dass zeitlich begrenzte koproduktive Arbeitsbündnisse entstehen, aufgrund derer die Leistungsadressaten in die Lage versetzt werden und sich in die Lage versetzen können, die ihrer je individuellen Lage entsprechenden Lösungs- und Bewältigungsstrategien zu finden und diese zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu realisieren.
2.2.1Charakteristika sozialer Dienstleistungen
Soziale Dienstleistungen weisen einige Charakteristika auf, die in den Handlungsprogrammen der Organisationen zu verarbeiten sind und somit managementrelevante Rahmenbedingungen markieren (vgl. Arnold 2014a; Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 5 ff.):
•Immaterialität/Intangibilität
•Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
•Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung
•Individualität
Immaterialität/Intangibilität
Die Kernleistung bei Dienstleistungen, das zwischen den Personen ablaufende eigentliche Interaktionsgeschehen, ist weder sichtbar noch greifbar. Zwar werden auch Sachleistungen als Voraussetzung zur Erbringung von Dienstleistungen einbezogen, jedoch ist das zentrale Element der Dienstleistung nicht gegenständlich. Das hat zur Folge, dass der Nachfrager sich von der angebotenen Leistung und deren Nutzen zwar eine Vorstellung macht, die Leistung jedoch vor ihrer Erstellung nicht genau kennt. Der Nutzer kann sie, anders als bei Sachgütern, nicht im Vorhinein prüfen oder von anderen prüfen lassen. Auch wenn man sich z. B. vor der Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle von anderen Personen berichten lässt, die diese Beratungsstelle aufgesucht haben, weiß man nicht, ob die Erfahrungen der anderen Personen bei der eigenen, spezifischen Problems ebenfalls zutreffen werden. Bei sozialen Dienstleistungen handelt es sich um Vertrauensgüter: Es bedarf einer gewissen Zuversicht, die jeweilige Leistung in Anspruch nehmen zu wollen.
Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
Bei sozialen Dienstleistungen fallen Produktion und Konsum zusammen, was traditionell als »Uno-actu-Prinzip« genannt wird. »Der Zeitpunkt der Leistungserstellung und der Leistungsabgabe sind bei Dienstleistungen identisch, Produktion und Konsumption erfolgen somit synchron.« (Cremer, Goldschmidt u. Höfer