Ina Kramer

DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband


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Sturm, der ihn beunruhigte und der Kusmine nicht weniger Sorgen bereitete. Zwar hatten die Gatten, wenn sie Belanglosigkeiten über das Wetter tauschten, aus gegenseitiger Rücksichtnahme sich niemals ihre Befürchtungen eingestanden, doch kannten sie sich so gut, daß jeder um des anderen Sorgen wußte. Und dann die Schmerzen, die sie würde erleiden müssen… Heute morgen hatte er seine Frau zum letztenmal gesehen, als sie sich vor der Wochenstube feierlich von ihm verabschiedet hatte: »Leb wohl, mein lieber Mann, wir sehen uns wieder, wenn du Vater geworden bist. Bete für unser Kind und mich«, hatte sie gesagt, und dann, um die vierte Stunde nach Mittag, als der ohnehin schon dunkle Tag sich noch mehr verdunkelte, hatte er ihren ersten Schrei gehört, dem inzwischen weitere in immer geringeren Abständen gefolgt waren. Es lag ein grausamer Widersinn darin, daß die stolze und beherrschte Kusmine bei etwas so Alltäglichem wie einer Geburt mehr leiden mußte, als sie bei ihren wilden Schulgefechten, Mut- und Selbstbeherrschungsproben und ihrem einzigen Duell je gelitten hatte, und fast haßte Durenald das Kind dafür, daß es ihr solche Schmerzen bereitete.

      Der Herr von Brelak erhob sich aus dem Sessel, auf dem er sich für einen Augenblick niedergelassen hatte, und stellte das Buch an seinen Platz zurück. Nein, er konnte jetzt nicht lesen, und auch das Beten war ihm unmöglich, obwohl er unablässig »Boron, verschone sie« und »Tsa, erbarme dich ihrer« vor sich hinmurmelte. Während er rastlos das Zimmer durchmaß und sich zwang, nicht voller Grauen des nächsten gräßlichen Schreis zu harren, beschwor er in seinem Geiste das Bild der Gemahlin. Er hatte Kusmine kennengelernt, als sie eben zwanzig war, doch wie sehr hatte er sich immer gewünscht, daß er ihr schon früher begegnet wäre. Zu gern hätte er das wilde blonde Mädchen gekannt und später dann die strahlende Absolventin der Vinsalter Akademie. Und wenn Durenald sich insgeheim eine Tochter wünschte, obwohl er seiner Frau einen Sohn wohl gönnte und auch oft und aufrichtig darum gebetet hatte, so deshalb, weil er dann eine kleine Kusmine heranwachsen sähe.

      Kusmines Familie entstammte einem alten Adelsgeschlecht aus der Domäne Malur. Da die hohe Begabung der Tochter für die rondrianischen Fertigkeiten schon früh erkannt worden war, hatte man das Mädchen mit neun Jahren auf die Vinsalter Akademie der Kriegs- und Lebenskunst geschickt. Dort war sie zu einer stolzen jungen Frau herangewachsen, im Schwertkampf stets die Jahrgangsbeste, und hatte mit siebzehn Jahren ihr Abschlußexamen bestanden, mit Auszeichnungen nicht nur im Fechten, sondern auch in Etikette und rondrianischer Poesie. Ihre adelige alte Herkunft, ihr zu erwartendes, nicht eben unbedeutendes Erbteil, ihre vorzügliche Ausbildung und nicht zuletzt ihre Schönheit machten die junge Frau zu einer begehrten Partie bei den Adelshäusern des Reiches, und nicht wenige Freier warben um sie, so daß sie bald eine stattliche Sammlung von Miniaturen und Liebesbriefen in der Lade ihres Schreibtisches verwahrte. Doch bevor Kusmine ihre Wahl treffen konnte (da sie wußte, daß eine Liebesheirat eher unwahrscheinlich wäre, hatte sie sich vorgenommen, die Bewerber sorgsam zu prüfen, um einen ihr an Stand, Charakter und Gestalt ebenbürtigen Bräutigam zu finden), wurde die Familie von zwei furchtbaren Schicksalsschlägen heimgesucht: Vier Monde nach Kusmines glanzvollem Examen wurde ihr geliebter und verehrter älterer Bruder Roderick, Hauptmann bei den Kusliker Seesöldnern, von den Zorgan-Pocken dahingerafft, und kaum einen halben Götterlauf später stand die Familie am Rande des Ruins. Der alte Baron, aus Trauer um den Sohn halb umnachtet, hatte fast seine gesamte Habe in ein betrügerisches Unternehmen gesteckt, das hohe Gewinne abzuwerfen versprach – eine gepflasterte Straße durch die Khôm, die natürlich niemals gebaut wurde. An Heirat war nun nicht mehr zu denken, das verbot Kusmines Stolz. Und so begab die junge Frau sich in die Obhut ihrer Tante Melsine, die bei den Truppen der markgräflichen Garnison zu Neetha den Rang einer Hauptfrau bekleidete. Ihr ausgezeichnetes Zeugnis, ihr Stand und ihr sicheres Auftreten verschafften Kusmine sogleich eine Stellung als Weibelin, und da sie strebsam und diszipliniert war, hätte sie es gewiß zur Obristin gebracht, wäre sie nicht Durenald begegnet.

      Sich an seine erste Begegnung mit Kusmine zu erinnern, bereitete Durenald immer eine besondere Freude. Es geschah in einer Hafengasse in Neetha. Dort erblickte er die junge Soldatin, als er nach einem ausgedehnten Mahl bei einem Geschäftsfreunde müßig durch die Stadt schlenderte. Sie führte einen kleinen Trupp Bewaffneter in den Uniformen der markgräflichen Gardisten, und ihre blinkende Brünne und der Federbusch auf ihrem Helm zeigten Durenald, daß sie den Rang einer Weibelin bekleidete. Zwar war der junge Freiherr nicht ganz unerfahren im Umgang mit dem anderen Geschlecht, doch eine so plötzlich aufwallende Leidenschaft – er war geneigt, es Liebeskrampf zu nennen – wie beim Anblick dieser Dame hatte ihn zuvor noch niemals heimgesucht. Waren es ihr hoher Wuchs, ihre helle Haut, ihre schlanke Gestalt, die von der Brünne nicht verunstaltet, sondern vielmehr rondragleich erhöht wurde, oder war es der kühne Blick ihrer blauen Augen unter den leicht zusammengezogenen Brauen, der dieses unerwartete Gefühl in ihm erweckte? Durenald wußte es nicht zu sagen. Er wußte nur, daß er die Weibelin unbedingt kennenlernen mußte, und der Abstand zwischen ihnen verringerte sich zusehends. So fiel ihm, als sie sich etwa auf gleicher Höhe befanden, nichts Besseres ein, als einen zierlichen Kratzfuß zu machen, das Barett zu ziehen und mit einem schalkhaften Lächeln die Worte zu sprechen: »Schönes Fräulein, darf ich Euch meinen Schutz und Geleit antragen?«

      Zu Durenalds Überraschung ließ die Gardistin ihn nicht unbeachtet stehen, sondern hielt inne, maß ihn von Kopf bis Fuß und erwiderte mit einem mühsam unterdrückten Lächeln: »Wenn ich einmal Eures Schutzes und Eurer Begleitung bedarf, werde ich es Euch wissen lassen, werter Herr.«

      Am folgenden Tag schickte der Herr von Brelak ein Entschuldigungsschreiben zum Garnisonsgebäude zusammen mit einer beim besten Zuckerbäcker der Stadt eilig in Auftrag gegebenen Torte, die, aus Zuckerguß und Marzipan gestaltet, mit dem Bild einer brüllenden, krallenbewehrten Löwin geschmückt war (soweit das mit Zuckerguß und Marzipan eben möglich ist). So begann die Liebesgeschichte von Kusmine und Durenald.

      »Es war die Torte, mit der ich dein Herz erobert habe«, pflegte Durenald zu sagen, wenn die Gatten sich den Beginn ihrer Liebe ins Gedächtnis riefen.

      »Nein, die Locken«, erwiderte Kusmine dann wohl, »braune Locken machen mich nun einmal schwach. Aber ich habe sogleich gesehen, daß du einen halben Spann kleiner bist als ich.«

      »Vier Finger, liebes Herz, vier Finger«, bekam sie stets zur Antwort.

      Geradlinig, wie sie war, bat Kusmine um ihren Abschied, als ihr klar wurde, daß sie den Rest ihres Lebens an Durenalds Seite verbringen wollte. Es fiel ihr nicht leicht, sich vom soldatischen Leben zu trennen, doch die Aussicht, in Brelak eine Bürgerwehr zu errichten, erleichterte ihr den Abschied von Neetha, der Garnison und ihrer Tante. Zudem hoffte sie, Durenald eine Schar von Kindern zu schenken, die sie selbst in den rondrianischen Künsten unterweisen wollte, bevor sie nach Neetha auf die Schule geschickt würden. Schon sah sie im Geiste die lockenköpfigen kleinen Krieger und Kriegerinnen vor sich, wie sie mit ihren Holzschwertern fochten und auf ihren Ponys wilde Tjosten ritten. Doch Tsa hatte es anders entschieden. Fünf Jahre lang lebten die Gatten zusammen, bevor der kleine Tsafried Praios’ Licht erblickte. Und er sollte die vier Jahre, die ihm vergönnt waren, geschwisterlos bleiben.

      Klein-Tsafried war seiner Eltern Glück und Sonnenschein. Braungelockt wie der Vater und mit den strahlendblauen Augen der Mutter, hatte es nie ein schöneres Kind gegeben, weder in Brelak noch in der gesamten Markgrafschaft, wie alle, die ihn sahen, Kusmine und Durenald gern bestätigten. Von seinem Vater hatte er die Liebe zu allem Lebendigen geerbt, und gleichermaßen andächtig bestaunte er die sprießende Saat und die neugeborenen Kätzchen. Doch war er nicht weichlich, wie Kusmine mit Genugtuung bemerkte. Schon früh maß er seine Kräfte mit den Dorfkindern, und wenn er bei den kindlichen Raufereien auch manche Schramme davontrug, so sah man ihn doch nur selten weinen. Und auch das Reiten machte ihm große Freude: Schon mit drei Jahren saß er sicher im Sattel seines Ponys, und wenn Kusmine ihn beobachtete, wie er mit wilden Rufen und heftigen Hieben der kleinen Schenkel sein winziges Pferd zu mehr Tempo zu zwingen trachtete, so mischte sich in ihrem Herzen Stolz auf die rondragefällige Kühnheit ihres Sohnes mit mütterlicher Sorge.

      Beim Reiten geschah es dann auch. Niemand wußte, warum das Pferdchen gescheut und seinen kleinen Reiter abgeworfen hatte – Dörfler fanden den leblosen Knaben und das friedlich grasende Tier auf einer Wiese am Wald und brachten beide mit kummervoller Miene zum elterlichen Gutshaus. Drei Tage währte es, bis Boron Klein-Tsafrieds