Sir Arthur Conan Doyle

Der Hund der Baskervilles


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      Das Gästebuch wies unterhalb des Namens Baskerville nur zwei Eintragungen auf. Die eine lautete »Theophilus Johnson mit Familie, aus Newcastle«, die zweite »Mrs Oldmore mit Zofe, von High Lodge, Alton«.

      »Das ist bestimmt der Mr Johnson, den ich von früher kenne«, sagte Holmes. »Ein Rechtsanwalt, nicht wahr? Grauhaarig und leicht hinkend?«

      »Nein, Sir, Mr Johnson ist Besitzer eines Kohlebergwerks, ein sehr rüstiger Herr, und nicht älter als Sie.«

      »Ich glaube doch, Sie irren sich bezüglich seines Berufes.«

      »Bestimmt nicht, Sir, er logiert seit vielen Jahren hier, wir kennen ihn sehr gut.«

      »Aha, dann war ich im Irrtum. Aber Mrs Oldmore – ich erinnere mich dunkel an diesen Namen. Entschuldigen Sie meine Neugier, aber es kommt ja oft vor, dass man einen Freund besucht und unverhofft einen anderen wiederfindet.«

      »Sie ist eine kränkliche Dame, Sir. Ihr Gatte war früher Bürgermeister von Gloucester. Sie steigt regelmäßig bei uns ab, wenn sie in London ist.«

      »Danke sehr. Ich glaube, ich habe nicht die Ehre ihrer Bekanntschaft. – Wir haben durch diese Fragen etwas sehr Wichtiges geklärt, Watson«, fuhr er mit leiser Stimme fort, während wir die Treppe hinaufstiegen. »Wir wissen jetzt, dass die Leute, die sich so auffällig für Sir Henry interessieren, nicht in diesem Hotel wohnen. Was wiederum bedeutet, dass sie sich allergrößte Mühe geben, ihn zu überwachen, ohne dass sie selbst bemerkt werden. Sehr vielsagend!«

      »Was sagt uns das denn?«

      »Es besagt – hallo, mein guter Mann, was um Himmels willen ist denn los?«

      Auf dem oberen Treppenabsatz wären wir beinahe mit Sir Henry Baskerville zusammengestoßen. Sein Gesicht war zornig gerötet, und er hielt einen alten staubigen Schuh in der Hand. Er war so wütend, dass er kaum sprechen konnte, und als er endlich Worte fand, trat sein breiter amerikanischer Akzent viel deutlicher hervor als am Vormittag.

      »Die wollen mich hier im Hotel wohl für dumm verkaufen!« rief er. »Aber sie werden schon merken, dass sie mit ihren dämlichen Späßen an den Falschen geraten sind. Sie sollen sich in Acht nehmen! Teufel nochmal, wenn der Kerl nicht sofort meinen Schuh wiederfindet, gibt es Ärger! Ich kann einen Spaß vertragen, Mr Holmes, aber das geht zu weit.«

      »Sie suchen immer noch Ihren Schuh?«

      »Ja, Sir, und ich werde ihn finden!«

      »Aber Sie sagten doch, es sei ein neuer hellbrauner Stiefel.«

      »War es auch. Und jetzt ist es ein alter schwarzer Schuh.«

      »Was? Wollen Sie etwa sagen …«

      »Jawohl, das will ich sagen. Ich habe drei Paar Schuhe – die neuen braunen, die alten schwarzen und die Lackschuhe hier, die ich anhabe. Gestern hat jemand einen brauen Stiefel geklaut, heute lassen sie einen schwarzen verschwinden. – Na, haben Sie ihn endlich? Raus mit der Sprache, Mann, glotzen Sie mich nicht so blöd an!«

      Ein aufgelöster deutscher Hausdiener war am Schauplatz erschienen.

      »Leider nicht, Sir. Ich habe überall im Hotel gefragt, aber niemand weiß etwas.«

      »Also, entweder der Schuh ist bis heute Abend wieder hier, oder ich beschwere mich beim Direktor und verlasse umgehend dieses Haus!«

      »Der Schuh wird sich einfinden, Sir, das versichere ich Ihnen, bitte haben Sie noch ein wenig Geduld.«

      »Strengen Sie sich gefälligst an, Mann. Das ist das letzte Mal, dass mir in dieser Räuberhöhle etwas abhanden kommt. Entschuldigen Sie, Mr Holmes, dass ich mich über eine Kleinigkeit so aufrege.«

      »Ich glaube, die Sache ist eine gewisse Aufregung wert.«

      »Wieso? Sie machen ja plötzlich ein ganz ernstes Gesicht.«

      »Wie erklären Sie sich selbst diese Vorfälle?«

      »Ich versuche gar nicht erst, sie zu erklären. Es ist das dämlichste, verrückteste Ding, das mir je vorgekommen ist.«

      »Verrückt, ja, vielleicht«, sagte Holmes nachdenklich.

      »Und was halten Sie davon?«

      »Nun – ich will nicht vorgeben, dass ich viel Licht in dieser Angelegenheit sehe. Ihr Fall ist sehr komplex, Sir Henry, vor allem, wenn man ihn in Verbindung mit dem Tod Ihres Onkels betrachtet. Ich glaube nicht, dass unter den fünfhundert größeren Fällen, mit denen ich bisher zu tun hatte, einer von solcher Abgründigkeit war. Aber wir haben mehrere Fäden in der Hand, und die Chancen stehen gut, dass einer davon zur Lösung des Rätsels führt. Vielleicht werden wir etwas Zeit verlieren, indem wir einem falschen Faden folgen, aber früher oder später müssen sie uns den richtigen Weg weisen.«

      Wir genossen unseren Lunch in heiterer Stimmung, und unser Gespräch berührte kaum das Thema, das uns zusammengeführt hatte. Erst als wir nach dem Essen in Sir Henry Baskervilles Privatsalon beisammen saßen, fragte Holmes ihn nach seinen Plänen.

      »Ich fahre nach Baskerville Hall.«

      »Und wann?«

      »Ende der Woche.«

      »Alles in allem«, sagte Holmes, »denke ich, das ist ein guter Entschluss. Ich habe ausreichend Beweise dafür, dass Sie hier in London beschattet werden, und in dieser Millionenstadt ist es schwierig herauszufinden, wer diese Leute sind und was sie wollen. Wenn sie verbrecherische Absichten haben, können sie Ihnen Schaden zufügen, ohne dass wir die Möglichkeit hätten, das zu verhindern. Sie haben wohl nicht bemerkt, Dr Mortimer, dass Sie heute Vormittag nach dem Verlassen meines Hauses verfolgt worden sind?«

      Dr Mortimer schrak heftig zusammen. »Verfolgt? Von wem?«

      »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Gibt es unter Ihren Nachbarn und Bekannten in Dartmoor einen Mann mit einem schwarzen Vollbart?«

      »Nein – oder warten Sie mal – doch, natürlich. Barrymore, Sir Charles’ Butler, trägt einen schwarzen Vollbart.«

      »Aha! Und wo ist Barrymore jetzt?«

      »Er besorgt Baskerville Hall.«

      »Wir sollten uns vergewissern, ob er wirklich dort ist oder ob er vielleicht in London ist.«

      »Wie wollen Sie das herausfinden?«

      »Reichen Sie mir bitte ein Telegrammformular. ›Alles bereit für Sir Henry?‹ Das genügt. Adresse: Mr Barrymore, Baskerville Hall. Welches ist das nächstgelegene Telegraphenamt? Grimpen. Sehr gut; wir schicken eine zweite Depesche an den Postvorsteher von Grimpen: ›Telegramm an Mr Barrymore nur zu eigenen Händen bestellen. Falls abwesend, bitte Drahtantwort an Sir Henry Baskerville, Northumberland Hotel.‹ Damit dürften wir bis zum Abend erfahren, ob Barrymore auf seinem Posten in Devonshire ist oder nicht.«

      »Ausgezeichnet«, sagte Baskerville. »Übrigens, Dr Mortimer, wer ist dieser Barrymore eigentlich?«

      »Er ist der Sohn des vorigen, inzwischen verstorbenen Verwalters. Die Familie bekleidet diese Stellung schon seit vier Generationen. Soweit ich weiß, sind er und seine Frau ein sehr respektables Ehepaar.«

      »Aber es ist auch klar«, fiel Baskerville ein, »dass diese Leute in einem tollen Haus leben und kaum Arbeit haben, solange das Herrenhaus verwaist ist.«

      »Das stimmt.«

      »Hat Sir Charles Barrymore in seinem Testament bedacht?« fragte Holmes.

      »Ja, er und seine Frau bekamen je fünfhundert Pfund Sterling.«

      »Oh! War ihnen bekannt, dass sie diese Summe erben würden?«

      »Ja, Sir Charles hat ausgesprochen gern über seine letztwilligen Verfügungen gesprochen.«

      »Das ist ja interessant.«

      »Ich will doch hoffen«, sagte Dr Mortimer, »dass Sie nicht jeden für verdächtig halten,