Ernst-August Bremicker

Ein Vermächtnis wird zum Appell


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offene Tür gefunden hatte. Sein Brief an die Epheser zeugt davon, dass sich die Gläubigen dort in einem guten Zustand befunden hatten. Umso bemerkenswerter ist es, dass Paulus seine Briefe an Timotheus gerade an diesen Ort schicken musste, wo er drei Jahre lang segensreich gearbeitet hatte. Die Gläubigen in Asien hatten sich von Paulus abgewandt. Die Herzen waren nicht mehr brennend für den Herrn (vgl. Off 2,4). Zusätzlich ließ man es zu, dass falsche Lehren und Praktiken eingeführt wurden. Paulus hatte diese Untreue deutlich vor Augen. Gleichzeitig war es für ihn ein Trost, dass der Herr treu bleiben würde (Kap. 2,13).

       Verantwortung und Hilfsquellen

      Paulus hatte den Märtyrertod vor Augen. Trotzdem war er in seinen Gedanken bei Timotheus. Er wollte ihn auf diese Entwicklung vorbereiten. Sie sollte Timotheus nicht überraschen. Sie sollte nicht dazu führen, dass er im Dienst nachlassen würde. Er machte ihm Mut, seinen Dienst in Treue und Hingabe zu tun. Gleichzeitig wies er ihn auf die Hilfsquellen hin, die er in seinem Herrn hatte. Das alles spricht uns genauso an. Wir leben in der Zeit, die Paulus „letzte Tage“ und „schwere Zeiten“ nennt (Kap. 3,1). Dieser Brief spricht also direkt in unsere Zeit hinein. Zwei Seiten wollen wir besonders betonen:

       Die Verantwortung des Dieners: Sie wird durch die persönliche Ansprache des Briefes unterstrichen. Dreimal lesen wir das Wort „du aber“ (Kap. 3,10; 3,14; 4,5). In Tagen von Niedergang und Rückschritt kommt es mehr denn je auf den Einzelnen an. Ein Schlüsselvers des Briefes ist die Aussage in Kapitel 2,15: „Befleißige dich, dich selbst Gott als bewährt darzustellen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt.“ Wenn die große Masse von der Wahrheit abweicht, soll der Einzelne doch treu zu seinem Herrn stehen. Trotz aller persönlichen Verantwortung bleibt dennoch wahr, dass der Herr uns immer Glaubensgeschwister zur Seite stellt, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen (Kap. 2,22).

       Die Hilfsquellen, die wir in unserem Herrn haben: Siebenmal lesen wir davon, dass wir etwas „in Christus Jesus“ haben. Die Gnade des verherrlichten Herrn (Christus), der einst in Niedrigkeit auf dieser Erde lebte (Jesus), steht jederzeit zur Verfügung. Von ihr können wir jeden Tag Gebrauch machen:1. Kapitel 1,1: Die Quelle und der Sitz des ewigen Lebens sind in Christus Jesus. Das ewige Leben steht hier als Ziel vor uns, das ganz sicher ist.2. Kapitel 1,9: Jesus Christus ist der Mittler der Gnade Gottes zum Heil. Diese Gnade Gottes ist in der Zeit (d. h. vor fast 2.000 Jahren) in der Person seines Sohnes erschienen. Sie ist uns bereits in der Ewigkeit vor der Zeit („vor ewigen Zeiten“) gegeben.3. Kapitel 1,13: Das Fundament des Glaubens und der Liebe ist ebenfalls in Christus Jesus zu finden. Nur so sind wir in der Lage, das Bild gesunder Worte wirklich festzuhalten.4. Kapitel 2,1: Zum Dienst benötigen wir Kraft. Diese Kraft finden wir in der Gnade, die in Christus Jesus ist.5. Kapitel 2,10: Paulus litt, doch er wusste warum. Er wünschte, dass die Auserwählten, ebenso wie er, das Heil erlangen würden, das in Christus Jesus ist. Wenn es einen Garanten – einen Bürgen – dafür gibt, dann Christus Jesus.6. Kapitel 3,12: Ein Leben echter Gottseligkeit und wahrer Frömmigkeit – also ein Leben zur Ehre des Herrn – ist nur in Christus Jesus möglich. Es findet in Ihm seine Grundlage.7. Kapitel 3,15: Erneut geht es um das ewig sichere Heil. Paulus weist auf den Weg hin, dieses Heil zu erlangen. Es ist der Glaube, der wiederum in Christus Jesus ist.Schließlich endet der Brief mit dem Hinweis darauf, dass der Herr Jesus Christus mit unserem Geist sein wird.

       Eine Ansprache für jeden

      Der zweite Brief an Timotheus enthält nicht nur eine direkte Ansprache für Timotheus, an den dieser Brief damals geschrieben wurde. Er hat zugleich eine aktuelle Botschaft für die Zeit, in der wir heute leben. Es ist eine Zeit, in der deutliche Verfallserscheinungen innerhalb des christlichen Bekenntnisses sichtbar werden. Die letzten Tage sind gefahrvolle Zeiten. Was vollkommen aus der Hand Gottes hervorgegangen ist, wird unter der Verantwortung von uns Menschen zerstört. Diese bedrohlichen Zeiten erleben wir heute hautnah.

      Es ist immer noch wahr, dass die Versammlung die Wohnstätte Gottes im Geist ist. Nach dem Ratschluss Gottes besteht die Versammlung aus lebendigen Steinen. Christus baut diese Versammlung, „und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Diese Sichtweise Gottes finden wir im Neuen Testament mehrfach vorgestellt. Es ist gut, wenn wir diese Sichtweise unbedingt für uns im Auge behalten. Allerdings ist es ebenso wahr, dass Gott uns zugleich wiederholt die Seite unserer Verantwortung vor Augen führt. Wir waren nicht wachsam genug. Wir haben es an Hingabe und Eifer für unseren Herrn fehlen lassen. Deshalb ist – unter dem Blickwinkel der Verantwortung von uns Menschen – vieles in dieses Haus hineingekommen, was nicht hineingehört. Wir haben – um im Bild von 1. Korinther 3 zu sprechen – nicht nur mit Gold, Silber und kostbaren Steinen gebaut, sondern genauso mit Holz, Heu und Stroh. Das Haus Gottes wird mit einem großen Haus verglichen. Darin gibt es wiedergeborene Menschen, aber leider ebenso Menschen, die zwar ein Bekenntnis haben, jedoch kein Leben aus Gott. Das ist der Zustand der Christenheit, wie wir ihn heute vorfinden.

      Der Herr Jesus hatte das schon vorausgesagt, als Er seinen Jüngern die Gleichnisse vom Reich Gottes gab. Durch mangelnde Wachsamkeit kam der Feind und säte Unkraut unter den Weizen (Mt 13,25). Auf die Frage seiner Jünger sagte der Herr ihnen, dass sie das Unkraut nicht ausreißen sollten. Das Reich Gottes ist heute – unter dem Blickwinkel der menschlichen Verantwortung gesehen – eine gemischte Sache. Es ist nichts anderes als die Christenheit. Die Menschen, die sich in diesem (Be-)Reich aufhalten, haben ein Bekenntnis: Sie nennen sich Christen. Leider ist dieses Bekenntnis bei vielen nicht echt. Es sind Menschen, die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft jedoch verleugnen (Kap. 3,5).

      In dieser Situation stellt sich für jeden, der seinem Herrn in Treue folgen möchte, die Frage, wie er sich persönlich verhalten soll. Was ist der Wille und der Weg des Herrn für uns? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft uns dieser Brief. Wir lernen, wie wir uns als „Menschen Gottes“ in dieser schweren Zeit richtig verhalten können. Dazu gehört, dass wir die Wahrheit kennen, sie schätzen und sie festhalten. Festhalten schließt Praktizieren ein. Wir müssen die Wahrheit hochhalten und gleichzeitig das Evangelium weiter verbreiten. Wir erkennen beim Lesen des ganzen Briefes, wie dem Apostel Paulus gerade diese beiden Seiten besonders am Herzen lagen. Wiederholt wird Timotheus dazu aufgefordert.

       Gliederung

      Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, den Text zu gliedern. Der Kapiteleinteilung folgend, wollen wir die vier Kapitel nun Vers für Vers unter folgenden Überschriften ein wenig näher besehen:

      Kapitel 1: Ermunterung zum Dienst

      Kapitel 2: Das große Haus

       Kapitel 3: Letzte Tage und schwere Zeiten

       Kapitel 4: Ein geistliches Vermächtnis

       Hinweis

       Beim Schreiben dieses Buches habe ich auf gute Literatur von bibeltreuen Auslegern zurückgegriffen, die der Herr zum Segen benutzt hat. Erklärungen von Ausdrücken in der griechischen Sprache basieren im Wesentlichen auf der Erläuterung von W.E. Vine (Expository Dictionary of New Testament Words), Chr. Briem (NT sprachliche Erklärungen, Wörterbuch und Grammatik) sowie der Strong's Exhaustive Concordance of the Bible.

       Fußnoten

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