Joseph von Eichendorff

Klassiker der Romantik in Poesie und Prosa: Die berühmtesten Werke von Joseph von Eichendorff


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eine der epinösesten in der Welt. Ein anderer stopft sich seine Pfeife, zieht seinen Schlafrock an, setzt sich auf dem Schreibesel zurecht, und macht seine Arbeiten ab und geht dann zufrieden in die Ressource, wo er wieder ganz Mensch sein kann. Aber so ein Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht loswerden; wie ein Spaziergänger, der im Herbst über Feld gegangen, schleppt er die Sonnenfäden seiner Träume an Hut und Ärmeln bis auf die Ressource nach. Ist dort gar das Fenster offen, so sind die Nachtigallen und Lerchen draußen recht versessen auf ihn und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zuweilen spielt ihm seine kaum halbfertig gedichtete Geliebte den fatalen Streich und blickt ihn plötzlich aus den Augen irgendeiner albernen Dame an.« – Hier stand er plötzlich selber überrascht still. Sie waren in das Felsental hinabgestiegen und an einen einsamen Weiher gelangt, in dessen Mitte sich eine, wie es schien, unzugängliche Insel im frischen Schmuck des Morgentaues spiegelte. Spuren ehemaliger Gänge und Blumenplätze waren von hohem Grase und Unkraut überwachsen, fremde Blütengewächse schlangen sich an den Baumstämmen empor, nur einzelne hohe Blumen funkelten noch hier und da aus der bunten Verwilderung, in der unzählige Vögel sangen. »Das war sonst Victors Lieblingsplatz«, sagte der Fremde nach einem Weilchen, »hier hat er den Namen seines ersten Liebchens in die Bäume geschnitten. Das Mädchen ist tot, der Nachen zu der Insel lange zertrümmert und versenkt, und Wipfel und Zweige, Unkraut und Blüten schlingen sich drüben verwildert durcheinander und können doch nicht in den Himmel wachsen.« – Ein seltsames Leuchten flog bei diesen Worten über sein geistreiches Gesicht. Dann auf einmal zu Fortunaten gewandt, sagte er: »Aber Sie sind am Ende selbst der Graf Victor – leugnen Sie nur nicht!« – Fortunat brach in lautes Lachen aus, und bat den Unbekannten, der ihm wohl behagte, zu wechselseitiger näherer Bekanntschaft sogleich mit zum Amtmann hinaufzukommen. Der Fremde besann sich einen Augenblick und fragte dann, ob noch mehrere Gäste dort wären? Da er hörte, daß auch Walter droben sei, entschuldigte er sich, er habe zu lange am Brunnen geschlafen und müsse nun schnell wieder weiter. – »Sind Sie denn nicht hier aus dem Hause?« fragte Fortunat erstaunt. – Aber jener eilte schon fort, winkte noch einmal mit dem Hute und war bald zwischen den Bäumen verschwunden.

      Drittes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Als Fortunat wieder die Anhöhe erreichte, traute er seinen Augen kaum. Der schönste Morgenglanz blitzte jetzt über die gezirkelten Rasenfiguren und Tulpenbeete, an den Statüen hingen Mieder, Poschen und Schleier umher, ein frischer Wind ging durch den Garten, und ließ, die Zweige teilend, bald ein paar bloße Mädchenarme, bald ein ganzes zierliches Bildchen flüchtig erblicken. Und so glich der Garten mit den bunten Tüchern, die wie Frühlingsfahnen von den Büschen flatterten, mit den funkelnden Strahlen der Wasserkünste und dem heiteren Sonnenhimmel darüber auf einmal jenen alten Landschaften, wo alle Hecken von schwärmenden Nymphen wunderbar belebt sind. Erstaunt drang er weiter vor, da sah er eine junge Dame in wunderlichem Schmuck mit Reifrock, Mieder und gesticktem Fächer vor einem Springbrunnen stehen, sie bespiegelte sich, fröhlich plaudernd, im Wasser, schüttelte lachend die schweren blitzenden Ohrgehänge und sah wieder hinein. Auf einmal wandte sie sich, er glaubte in dem frischen Gesichtchen Florentine, die Amtmannstochter, zu erkennen, die er vorhin am Fenster gesehen. Aber nun erschallte ein lauter Schrei, und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauschend, fuhren erschrocken fliehende Mädchengestalten durchs Grüne, als hätte der Wind Aprikosenblüten umhergestreut.

      Fortunat folgte ihnen zu der Amtmannswohnung, wo sie verschlüpft waren. Aber hier hielt ihn neue Verwirrung fest, er fand auch dort alles in lebhafter Bewegung. Aus dem Mörserstampfen im Hause und dem ernstwichtigen Durcheinanderrennen der Mägde, zwischen dem man von Zeit zu Zeit die Kommandostimme der Amtmannin vernahm, schloß er sogleich auf ein großes Kuchenbacken im Innern. Draußen aber auf dem Rasen sah man große Teppiche ausbreiten, Sofas und Polsterstühle ausklopfen, überall wurden die verdunkelnden Doppelfenster ausgehoben, die Morgensonne schien lustig durch das ganze Haus, und einzelne Schwalben kreuzten jauchzend über dem Platze.

      Ein langer, hagerer Mann mit dünnem Hals und hervorstehenden Augen schien besonders selig im dem Rumor, man sah ihn überall im dicksten Haufen schreiend, helfend und anordnend. Von diesem erfuhr Fortunat endlich, nicht ohne Müh, und wiederholte Fragen, daß die Pachterstöchter aus der Nachbarschaft angekommen und mit Florentine im Garten den alten gräflichen Hofstaat ausprobiert hätten, und daß alle diese Anstalten auf den feierlichen Empfang des heute erwarteten Studenten Otto zielten, der nach den eingelaufenen Nachrichten früher hier eintreffen könnte, als man anfangs glaubte. Der Mann aber war der Förster des Orts, der früher selbst das Gymnasium frequentiert und seitdem eine wütende Vorliebe für Studenten hatte. – Fortunaten war diese unverhoffte Wirtschaft ein willkommenes Fest. Er mischte sich ohne Verzug in das bunte Getümmel, um den Lärm womöglich noch größer zu machen. Dem Förster stellte er vor, wie unerläßlich es sei, den Gefeierten durch ein Triumphtor einzuführen, worauf beide sogleich voll Eifer forteilten, um die nötigen Materialien zu dem neuen Werke herbeizuschaffen. Unterwegs begegneten sie Waltern, der soeben mit einem Buche in den Garten ging. »Ich muß mich ein wenig sammeln«, sagte er flüchtig zu Fortunat, »ich freute mich so auf den stillen Tag im Freien, und nun bricht aller Plunder herein, es is mir einmal nicht gegeben, mit den Leuten über nichts zu schwatzen, es ist unleidlich!«

      Inzwischen verzögerte sich Ottos Ankunft von Stunde zu Stunde. Walter hatte nicht lange gelesen, sondern revidierte in seiner praktischen Lust mit dem Amtmann die Höfe, Scheunen und Ställe. Im Garten wurden die Vögel schon still, Florentine und ihre jungen Freundinnen, wieder bequem in ihren gewöhnlichen Kleidern, flüchteten vor der steigenden Sonne aus einem Schatten zum andern, die immer kürzer wurden, jede hatte ein Stück frischen Kuchen in der Hand, sie wußten nicht, was sie in der Hitze anfangen sollten mit der langen Zeit. Auch ein junger Wirtschaftsschreiber mit Sporen und neuem Frack hatte sich eingefunden. Er trug den Mädchen die Tücher nach, focht mit seiner Reitgerte galant in die Luft und wußte durch Schnalzen auf Lindenblättern und andere artige Kunststücke sich bei den Frauenzimmern angenehm zu machen.

      Plötzlich versetzte der Knall eines Böllers alles in die größte Verwirrung, aus allen Hecken und Türen stürzten die Erwartenden nach der Richtung hin, wo die Explosion erfolgt war. Dort gewahrten sie schon von fern den Förster am Abhange des Gartenberges, wie er soeben durch ein altes Perspektiv, das erwütend immer länger und länger hervorschob, in die Gegend hinausblickte. Als die andern endlich atemlos und fragend anlangten, warf er auf einmal das Fernrohr fort, ergriff eine neben ihm stehende Lunte und löste, zum Schrecken der laut schreienden Damen, einen zweiten Böller. Und in der Tat, in demselben Augenblick wurde durch den sich teilenden Pulverdampf zwischen den Kornfeldern am blaugewundenen Strom im Tal ein Reiter in bunter studentischer Tracht sichtbar, der nun auch seinerseits die harrenden auf dem Berge erblickte, und, freudig seinen Hut schwenkend, die Sporen einsetzte. »Otto! Otto!« rief alles fröhlich durcheinander und winkte ihm mit den Schnupftüchern entgegen. Der Reiter hatte untedes den Fuß des Berges erreicht, schwang sich vom Pferde, und auf dem nächsten Wege zwischen den grünen Rebengeländern aufsteigend erschien ein schöner Jüngling von etwas kleiner, zierlich schlanker Gestalt mit einem feinen Gesicht und fast träumerischen Augen.

      Aber am Eingang zur ersten Allee wurde er plötzlich durch eine seltsame Erscheinung aufgehalten. Ein schöner Tannenbaum stand dort am Abhang von alters her, wie ein dunkler Ritter auf der Wacht, und ragte mit dem Wipfel bis über die Anhöhe hinauf. Auf einmal rauschte er mit den grünen Kronen und zeigte sein Riesenhaupt mit rotbraunem Gesicht und langem Schilfbart, das Haar phantastisch von wilden Blumen und Eichenlaub umkränzt. »Salve!« redete das Haupt, die Augen sichtbar bewegend, den erstaunten Studenten an:

      Salve! Herr Doktor oder Magister!

       Bin ein alter Bursch und haß die Philister,

       Bin der Waldmann aus dem Gebirge hier,

       Darf nicht näher treten zu dir,

       Kann nicht zu dir kommen in Haus und Zimmer,

       Trät dort alle den Plunder in Trümmer,

       Drum schau ich über den Wipfel hier hinaus;

       Und bist du der alte noch immer,