Joseph von Eichendorff

Klassiker der Romantik in Poesie und Prosa: Die berühmtesten Werke von Joseph von Eichendorff


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Hier hatte die Dame sich endlich losgemacht, sie hielt ihn längst für betrunken oder wahnsinnig, stammelte verlegen eine kurze Entschuldigung und stürzte in das Haus zurück. Er aber sprach noch immer fort, bis sie ihr Zimmer erreicht und die Tür eilfertig hinter sich abgeschlossen hatte.

      Lachend warf er sich nun wieder auf die Bank hin, die Wälder rauschten in der plötzlichen Stille von den Bergen herüber, hin und her erwachten einzelne Nachtigallen, in einiger Entfernung hörte man den Literatus singen:

      Die fernen Heimatshöhen,

       Das stille, hohe Haus,

       Der Berg, von dem ich gesehen

       Jeden Frühling ins Land hinaus,

       Mutter, Freunde und Brüder,

       An die ich so oft gedacht,

       Es grüßt mich alles wieder

       In stiller Mondesnacht.

      Die zierliche Reiterin hatte sich bald nach den ersten Klängen dem Sänger genähert. »Du, du« – sagte sie mit dem Finger drohend, »du hast heute wieder deine melancholische Stunde!« – »Ach«, erwiderte der Literatus, halb unwillig abbrechend, »was weißt du davon, wie einem Gelehrten manchmal zumute ist!«

      Ein plötzliches Getümmel an der Haustür verhinderte hier Fortunaten, mehr von dieser Unterredung zu vernehmen. Ein ganzer heller Haufe von Schauspielern kam nämlich samt einem langen, mit Weinflaschen und Gläsern besetzten Tische, den sie alle mühsam trugen, zum Hause heraus, der Gastwirt, voll Besorgnis um seine Gläser, ihnen auf dem Fuße nach. »Der liebe Gott hat hier draußen den Vorhang wieder aufgezogen«, sagte der eine zum Wirt, »seht da, Menschenkind, den prächtigen Saal! Ein Reverbère, der bis auf einige verjährte Rostflecke ziemlich blank ist, eine Unzahl von Lichtern, die sich selber putzen, an allen Wänden ganze Mondlandschaften al fresco.« – Die Gesellschaft hatte sich unterdes nicht ohne bedeutenden Tumult um den Tisch gelagert. Ein starker, wohlleibiger Mann von gesetzten Jahren zündete qualmend seine lange Pfeife an dem flackernden Lichte an, das in einer Glaskugel auf dem Tische stand und in dessen Widerschein sein vom Wein und Wetter verbranntes Gesicht sich noch dunkelroter ausnahm, es schien derselbe, der vorhin im Regen der Gesellschaft voranschreitend, verschiedentlich gestolpert und geflucht hatte. – »Sie sollten auch Komödie spielen, mein Herr Wirt«, sagte er, mit der Pfeife in breiter Behaglichkeit auf dem Stuhle zurückgelehnt. – Der Wirt äußerte Bedenklichkeiten gegen seine Geschicklichkeit. – »Ach, Flausen!« fiel ihm der Schmauchende in die Rede, »sehen Sie, so wie ich hier vor Ihnen sitze, so sitz' ich auch auf dem Theater als Oberförster, als gutmütig polternder Alter usw., ich rauche, ich plaudere und trinke mein Gläschen Wein so gut wie hier.« – »Das würd' ich allenfalls wohl auch treffen«, meinte der Wirt. – »Nun, so seid kein Tor!« fuhr jetzt jener fort, »wollt Ihr gratis Eure Schlafmütze aufsetzen, Euer Abendpfeifchen schmauchen, Euren Kindern rührende Ermahnungen geben? Laßt's Euch bezahlen, Mensch!«

      Fortunat, dem der Mann gar nicht übel dünkte, verließ hier seine Bank. »Aber mein Bester« – sagte er, sich mit an den Tisch setzend – »wird Euch denn nicht manchmal angst, daß die neuere Poesie Eure Oberförstereien aufhebt und Euch Eure häuslichen Vergnügungen legt?« – »Keineswegs«, entgegnete der Oberförster sehr ruhig, »im Gegenteil, die neuesten kurzen Dramen machen sich wieder ganz vernünftig und familiär. Und wenn ich auch in Versen spreche oder vielleicht gar ein Ritterwams anlege, ich bleibe doch der alte. Oh, mein Herr, solange noch deutsche Biederkeit waltet, und Bier getrunken und Tabak geraucht wird, steht mein Charakter unerschütterlich, wie auf Elefantenfüßen.« – Hier mischte sich ein junger, blasser Schauspieler mit in das Gespräch, der bisher für sich allein an dem Stümpfchen Licht in einem Buche gelesen hatte, ohne an dem Lärm der andern teilzunehmen. »Bester Herr Ruprecht«, redete der den Oberförster an, »wer Sie so zum erstenmal schwatzen hört, könnte leicht an Ihnen irrewerden. Ich aber weiß es wohl, wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunst nur das Edlere, das Ideale schätzen.« – Ruprecht, der sich nicht wenig damit wußte, daß er in seiner Jugend die Kantische Philosophie gehört hatte, räusperte sich und rückte sich soeben wohlgefällig in seinem Stuhle zurecht, als plötzlich die kleine Reiterin herbeisprang und ihm von hinten den Mund zuhielt. »Um Gottes willen«, rief sie, »fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge an, ihr guten Leute und schlechten Philosophen!« – »Armer Shakespeare!« entgegnete der Blasse, mit einem unsäglich verachtenden Blicke. – »Oh«, fiel ihm Kordelchen – so hieß die Reiterin – in die Rede, »der Ruprecht ist ein eingefleischter Shakespeare, hat er sich nicht schon allmählich Bardulphs feurige Nase anstudiert?« – Und in der Tat, seine Stolze Nase leuchtete immer schöner, je trüber das Licht in der Glaskugel zu verlöschen begann. Er begab sich für einen Augenblick der feierlichen Gravität, in die ihn die Erinnerung an seine akademischen Studien versetzt hatte, und, täppisch Kordelchen zu sich zerrend, rief er: »So komm und gib deinem Bardulph einen Kuß, du süße Dortchen Lakenreißer!« – Da gab ihm Kordelchen, durch diese unzeitige Vergleichung beleidigt, geschwind eine derbe Ohrfeige, Ruprecht aber sprang zornig ihn festzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung warfen sie mit ihren Ellbogen einige Stühle und mehrere volle Gläser um, der Blasse, der ganz entrüstet sein Buch retten wollte, fiel über ein Stuhlbein, der hinzugesprungene Wirt über den Blassen, Ruprecht mit seinen Verfolgern über den Wirt, und so war auf einmal alles wie ein Rattenkönig von wundersam durcheinanderarbeitenden Armen und Beinen. In diesem Augenblick hörte man Säbelscheiden über die Hausschwelle klirren, und zwei bärtige Polizeidiener traten in den Garten. »Was für eine skandalöse Aufführung!« rief der eine die Erschrockenen an, »ist das jetzt die Zeit, durch schnöden Lärm eine gesittete Bürgerschaft zu turbieren, die, nach sauer erfüllter Berufspflicht, soeben schon den einen Fuß in das Bett gesetzt hat -« »Und die durchreisenden Herrschaften! Da fährt eben eine ehrwürdige Matrone erschrocken empor«, fiel sein Gefährte ein, indem er auf ein Fenster wies, wo die Dame mit dem Schirm neugierig hervorguckte, bei dieser Apostrophe aber schnell wieder verschwand. – »Nur nicht noch gar räsoniert!« – fuhr der andere zornig fort, da die Schauspieler reden wollten – »wir kennen uns, wir sind verwegene Schuldenmacher, denen kein Gläubiger mehr glauben will.« – Rasch an das Licht tretend und ein Papier entfaltend, las er: »Da ist Herr Ruprecht – feurig von Nase, erhaben von Nase, blühend von Nase – was? Nichts als lauter Nase! – Herr Lothario dann, auch Literatus genannt. – Charakter: erster Tenor; besondere Kennzeichen: verdrehte Schleife am Halstuch, ungekämmtes Haar, spricht am vernünftigsten, wenn er betrunken ist, in summa: großes Genie. – Aber der Teufel mag aus der Beschreibung klug werden, ich verhafte in dem Klumpen da die ersten besten Beine. – Greif zu!« – Sein Gefährte packte nun ohne weiteres den Ruprecht an den Füßen, der in dem Gedränge vergeblich bemüht war, seine Stiefeln in den Händen des Häschers zu lassen und sich auf die Strümpfe zu machen. Unterdes hatten sich endlich auch die anderen eiligst vom Boden aufgerafft, der Direktor Sorti, schon halb entkleidet, flog in größter Bestürzung herzu, der Hofhund dicht an seinen Waden hinter ihm drein, Kordelchen lachte, der Wirt schimpfte, der Blasse deklamierte fortwährend von persönlicher Freiheit und unverletzlichen Menschenrechten.

      »Seid ihr nicht rechte Narren!« rief da auf einmal der Polizeidiener dazwischen und warf Bart, Hut und Rock von sich – es war der Literatus Lothario. Sein Gefährte aber verwandelte sich ebenso rasch in Herrn Fabitz, den Komikus der Bande.

      »Ich wußt' es lange« – sagte Ruprecht, der sich zuerst von dem Schreck erholt hatte – indem er ruhig seine Pfeife ausklopfte. Die übrigen konnten den Scherz nicht so schnell verwinden, dem einen hatten sie auf das Hühnerauge getreten, ein anderer fuhr wütend mit dem Ellbogen aus dem Ärmel und behauptete, das Loch sei erst von jetzt, alle keiften auf Lothario los, während ihene Fabitz unvermerkt ihr Bier austrank. Lothario aber hatte unterdes vom Reisewagen schnell eine Trommel geholt, setzte sich damit auf den Tisch und begann lustig zu wirbeln, bald piano, bald crescendo, nach der jedesmaligen Stimmung des Redenden. Kein Mensch konnte sein eigenes Wort verstehen, die Zänker schrien sich ganz heiser und verloren die Geduld, einige lachten, Lothario trommelte immerfort, bis alle nach und nach den Platz geräumt und der letzte zornig die Haustür hinter sich zugeschmissen hatte. Nur Kordelchen war zurückgeblieben. Sie setzte sich trotzig neben Lothario auf den Tisch. »Und ich bleibe grade noch draußen«, sagte sie, »mir gefällt die Nacht. Überhaupt«,