Joseph von Eichendorff

Gesammelte Werke


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Wind anblies. Habe ich es oben auf der Höhe nicht gesagt, daß du in dein Grab hinabsteigst? Wenn die Schönheit mit ihren frischen Augen, mit den jugendlichen Gedanken und Wünschen unter euch tritt, und, wie sie die eigene, größere Lebenslust treibt, sorglos und lüstern in das liebewarme Leben hinauslangt und sproßt sich an die feinen Spitzen, die zum Himmel streben, giftig anzusaugen und zur Erde hinabzuzerren, bis die ganze, prächtige Schönheit, fahl und ihres himmlischen Schmuckes beraubt, unter euch dasteht wie euresgleichen die Halunken!

      Er öffnete das Fenster. Der herrliche Morgen lag draußen wie eine Verklärung über dem Lande, und wußte nichts von den menschlichen Wirren, nur von rüstigem Tun, Freudigkeit und Frieden. Friedrich spürte sich durch den Anblick innerlichst genesen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob seine Seele, und er beschloß, nach der Residenz abzureisen.

      Er ging mit dieser Nachricht zu Leontin, aber er fand seine Schlafstube leer und das Bett noch von gestern in Ordnung. Er ging daher zu Julie hinüber, da er hörte, daß sie schon auf war. Das schöne Mädchen stand in ihrer weißen Morgenkleidung eben am Fenster. Sie kehrte sich schnell zu ihm herum, als er hereintrat. Er ist fort! sagte sie leise mit unterdrückter Stimme, zeigte mit dem Finger auf das Fenster und stellte sich wieder mit abgewendetem Gesichte abseits an das andere. Der erstaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe, die er wahrscheinlich gestern, als er hier allein war, mit seinem Ringe aufgezeichnet hatte. Er las:

      Der fleißigen Wirtin von dem Haus

       Dank ich von Herzen für Trank und Schmaus,

       Und was beim Mahl den Gast erfreut:

       Für heitre Mien' und und Freundlichkeit.

      Dem Herrn vom Haus sei Lob und Preis!

       Seinen Segen wünsch ich mir auf die Reis',

       Nach seiner Lieb mich sehr begehrt,

       Wie ich ihn halte ehrenwert.

      Herr Viktor soll beten und fleißig sein,

       Denn der Teufel lauert, wo einer allein;

       Soll lustig auf dem Kopfe stehn,

       Wenn alle so dumm auf den Beinen gehn.

      Und wenn mein Weg über Berge hoch geht,

       Aurora sich auftut, das Posthorn weht,

       Da will ich ihm rufen vom Herzen voll,

       Daß er's in der Ferne spüren soll.

      Ade! Schloß, heiter überm Tal,

       Ihr schwülen Täler allzumal,

       Du blauer Fluß ums Schloß herum,

       Ihr Dörfer, Wälder um und um.

      Wohl sah ich dort eine Zaubrin gehn,

       Nach ihr nur alle Blumen und Wälder sehn,

       Mit hellen Augen Ströme und Seen,

       In stillem Schaun, wie verzaubert stehn.

      Ein jeder Strom wohl findt sein Meer,

       Ein jeglich Schiff kehrt endlich her,

       Nur ich treibe und sehne mich immerzu,

       O wilder Trieb! wann läss'st du einmal Ruh?

      Darunter stand, kaum leserlich, gekritzelt:

      Herr Friedrich, der schläft in der Ruhe Schoß,

       Ich wünsch ihm viel Unglück, daß er sich erbos',

       Ins Horn, zum Schwert, frisch dran und drauf!

       Philister über dir, wach, Simson, wach auf!

      Friedrich stutzte über diese letzten Zeilen, die ihn unerwartet trafen. Er erkannte tief das Schwerfällige seiner Natur und versank auf einen Augenblick sinnend in sich selbst.

      Julie stand noch immerfort am Fenster, sah durch die Scheiben und weinte heimlich. Er faßte ihre Hand. Da hielt sie sich nicht länger, sie setzte sich auf ihr Bett und schluchzte laut. Friedrich wußte wohl, wie untröstlich ein liebendes Mädchen ist. Er verabscheute alle jene erbärmlichen Spitaltröster voll Wiedersehens, unverhofften Windungen des Schicksals usw. Lieb ihn nur recht, sagte er zu Julien, so ist er ewig dein, und wenn die ganze Welt dazwischen läge. Glaube nur niemals den falschen Verführern: daß die Männer eurer Liebe nicht wert sind. Die Schufte freilich nicht, die das sagen; aber es gibt nichts Herrlicheres auf Erden, als der Mann, und nichts Schöneres, als das Weib, das ihm treu ergeben bis zum Tode. Er küßte das weinende Mädchen und ging darauf zu ihren Eltern, um ihnen seine eigene, baldige Abreise anzukündigen.

      Er fand die Tante höchst bestürzt über Leontins unerklärliche Flucht, die sie auf einmal ganz irre an ihm und allen ihren Plänen machte. Sie war anfangs böse, dann still und wie vernichtet. Herr v. A. äußerte weniger mit Worten, als durch ein ungewöhnlich hastiges und zerstreutes Tun und Lassen, das Friedrich unbeschreiblich rührte, wie schwer es ihm falle, sich von Leontin getrennt zu sehen, und die Tränen traten ihm in die Augen, als nun auch Friedrich erklärte, schon morgen abreisen zu müssen. So verging dieser noch übrige Tag zerstreut, gestört und freudenlos.

      Am andern Morgen hatte Erwin frühzeitig die Reisebündel geschnürt, die Pferde standen bereit und scharrten ungeduldig im Hofe. Friedrich machte noch eilig einen Streifzug durch den Garten und sah noch einmal von dem Berge in die herrlichen Täler hinaus. Auch das stille, kühle Plätzchen, wo er so oft gedichtet und glücklich gewesen, besuchte er. Wie im Fluge schrieb er dort folgende Verse in seine Schreibtafel:

      O Täler weit, o Höhen,

       O schöner, grüner Wald,

       Du meiner Lust und Wehen

       Andächt'ger Aufenthalt!

       Da draußen, stets betrogen,

       Saust die geschäft'ge Welt,

       Schlag noch einmal die Bogen

       Um mich, du grünes Zelt!

      Wann es beginnt zu tagen,

       Die Erde dampft und blinkt,

       Die Vögel lustig schlagen,

       Daß dir dein Herz erklingt:

       Da mag vergehn, verwehen

       Das trübe Erdenleid,

       Da sollst du auferstehn

       In junger Herrlichkeit.

      Da steht im Wald geschrieben

       Ein stilles, ernstes Wort,

       Vom rechten Tun und Lieben,

       Und was des Menschen Hort.

       Ich habe treu gelesen

       Die Worte, schlicht und wahr,

       Und durch mein ganzes Wesen

       Ward's unaussprechlich klar.

      Bald werd ich dich verlassen,

       Fremd in der Fremde gehn,

       Auf buntbewegten Gassen

       Des Lebens Schauspiel sehn,

       Und mitten in dem Leben

       Wird deines Ernsts Gewalt,

       Mich Einsamen erheben,

       So wird mein Herz nicht alt.

      Als der junge Tag sich aus den Morgenwolken hervorgearbeitet hatte, war Friedrich schon draußen zu Pferde. Julie winkte noch weit mit ihrem weißen Tuche aus dem Fenster nach.

      Zweites Buch

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