organisiert die Begegnung mit den Bildern und Klängen durch die Einbettung aller Objekte in ein ebenfalls werkhaftes Ambiente völlig anders als eine White-Cube-Ausstellung. Wo klassische Ausstellungen septische Räume kreieren, Übersicht und Abstand, und so das aus seinem Kontext extrahierte Werk als Objekt präsentieren, vergräbt Althoff seine Arbeiten in der Ausstellung wieder. Dafür hat er im großen Saal des obersten Geschosses eine White-Tent-Höhle geschaffen, und die Besucher*innen entdecken darin die Welt des Künstlers in einem Gewirr von Arbeiten und Fundstücken, in Grafiken und kunstvollen Briefen unter bekleckerten Glasplatten, neben verbrannten Matratzen, oder man sieht sie einfach gar nicht, weil die Bilder verpackt in grauem Papier an der Wand lehnen. In seiner exquisiten Ausstellung mit Lutz Braun bei der Berlin Biennale 4 roch es nach Exkrementen. Zwar besetzt Kai Althoff den Ausstellungsraum, aber er inszeniert seine Arbeit nicht als Kette singulärer Ereignisse, die Gemälde oder Zeichnungen wie Heiligtümer ohne Einbettung und Kontext präsentieren – was auch interessant sein kann, nur eben nicht für Kai Althoff. Er spielt mit dem Format, seiner verborgenen Pädagogik, seiner subtilen Macht, die auf uns via ihrer für selbstverständlich gehaltenen Konventionen einwirken, auf dass auch wir aus ihnen kommend ein bisschen sauberer und aufgeklärter zurück in die Welt gehen. Kai Althoff gestaltet lieber unordentliche Ausstellungen, die in ihren eintausend arrangierten Details so überaus pedantisch sind, dass man lachen möchte über die Befreiung, die von ihnen ausgeht.
Das Format, von dem hier die Rede ist, ist ein Container oder Ordner, der nie neutral ist, auch wenn er an sich „leer“ sein mag. Formate vereinen Werke, bilden oder ermöglichen eine Erzählung, sie strukturieren den Raum und kreieren ein eigenes „Nutzer*innenverhalten“ mit Konventionen wie Applaus oder Berührungsverbot, die, wie Botho Strauß einmal über die Erscheinung von Schauspieler*innen bemerkte, eine Mischung aus Prostitution und Keuschheit erzeugen, aus energetischer Verbindung und physischer Trennung.
Formate rivalisieren bisweilen mit den Werken, vor allem aber verleihen sie ihnen Aufmerksamkeit und Kraft. Alle heute als „klassisch“ empfundenen Veranstaltungsformen sind institutionalisierte Formate, also Formate, die heute das Basisangebot von Institutionen darstellen, die ihrem Publikum Begegnungen mit Werken anbieten, die man kennt, noch bevor man die Werke kennt. Kulturaffine Besucher*innen wissen, was eine Lesung ist oder ein Interview oder ein Festival, eine Aufführung oder eine Ausstellung, eine Biennale oder Lecture Performance: Man kann diese Container mit Inhalt füllen wie man möchte, immer wird das Format als „Fassung“ des zu Veröffentlichenden aufseiten des Publikums eine Form von Sicherheit, Gewohnheit und Wiedererkennung zur Folge haben. Formate formalisieren dafür verschiedene Funktionen und Zwecke, die in einer ausreichend großen Zahl von Werken angelegt waren. Und so kommt es, dass Formate als Formate nur auffällig werden, wenn gegen ihre eigenen Formalisierungen und Regeln verstoßen wird oder es sich um temporäre Kreationen handelt, also Abweichungen von den institutionellen Gewohnheitsformen. Ein Dokumentarfilm oder eine Reportage wird sofort aus dem jeweiligen Format verstoßen, wenn sich herausstellt, dass die O-Töne und authentischen Bilder des Werkes Fake sind und Fiction, die sich als solche nicht zu erkennen gab. Bei einem Dokumentarfilm oder einer Reportage wird die Signatur eines „Erfinders“ oder einer „Erfinderin“ auf der Werkebene zum Problem für das Format.
Eine künstlerische Produktion wie 100% Stadt des Kollektivs Rimini Protokoll kann als ein Format verstanden werden, das überall, wo das Werk aufgeführt wird, mit ortsspezifischen Vertreter*innen ein szenisches Selbstporträt der Stadt entsprechend unterschiedlicher statistischer Profile entwickelt. Formate definieren dabei an sich keine Ästhetik, sondern meist nur Parameter, innerhalb derer sie sichtbar wird. Festivals sind Pan-Formate, die in sich nahezu alles mit allem verbinden können. Unterformen der Festivals können Mitternachtskonzerte oder Marathons sein, ein Stadtraumprojekt, eine Party, ein Battle oder Wettbewerb, Preisverleihungen, ein LARP oder Symposium, aber jedes dieser Unterformate hat auf die eine oder andere Weise einen Bezug zur großen Erzählung des Festivals. All das kann es auch im Repertoiretheater neben den klassischen Aufführungen geben – es gibt auch dort Lecture Performances und hybride Formate zwischen Streaming und Livepräsentation vor Ort, Publikumsdiskussionen und Matineen. Aber aufwendige Formate im Stadtraum wie Matthias Lilienthals „X-Wohnungen“, die nicht mehr im Inneren der Institutionen stattfinden, sind ähnlich wie der „Schwarzmarkt des Wissens“ von Hannah Hurtzig auf flexiblere Strukturen und auch auf ein anderes Publikum angewiesen. Formate in diesem autor*innenhaften Sinne adressieren ihrerseits ein Publikum, das neugierig auf Kreationen ist und nicht so sehr auf die Interpretation von etwas Bekanntem. Auch das führt oft aus den traditionellen Institutionen der Kunst hinaus in kunstfremde Räume.
Neue Räume
Denn die klassischen Veranstaltungsformen wie Ausstellung, Kongress, Konzert oder Aufführung sind direkt mit baulichen Infrastrukturen verbunden, die mit dem Format den Werken oft auch die jeweils nötigen Voraussetzungen garantieren – keine Ausstellung ohne Klimaanlage, kein Konzert ohne Saal und Bühne, keine Aufführung ohne Gewerke. Formate schaffen also in erster Linie Räume – sie organisieren das Sicht- und Hörbarwerden der einzelnen Arbeit und definieren das in einer spezifischen Weise. Die Kreation eines spezifischen, über Jahre wiederholten Konzertformats wie „The Long Now“ schafft zum Beispiel einen 30 Stunden währenden Flow von unterschiedlichsten Kompositionen, der mittelalterliche Werke in die Nachbarschaft von Minimal Music und Ambient-Stücken bringt, zugleich aber auch eine liberalisierte Aufführungspraxis schafft – mit Musiker*innen, die sich bisweilen inmitten des Publikums aufhalten, das seinerseits ständig kommen und gehen kann. Man schläft in der riesigen Turbinenhalle des Veranstaltungsortes Kraftwerk Berlin auf den gleichen Feldbetten ein, auf denen man zuvor mit Freund*innen saß, etwas gegessen oder angehört hat – all das zusammen ergibt die Signatur des Formats. Wobei ein Event nur zum Format werden kann, wenn es sich wiederholt, ohne immer das Gleiche zu sein – die Musikauswahl wiederholt sich ja nie, auch nicht die das Konzert begleitende Ausstellung und Filmreihe. Ein Großteil der Besucher*innen kommt bei „The Long Now“ nicht für einzelne Stücke, sondern für diese Erfahrung einer Vergleichgültigung von Zeit, das Erlebnis der freundlichen Nachbarschaft verschiedener Stile und Menschen. Das Format überragt hier in gewisser Weise das einzelne Werk in der Wirkung auf das Publikum. Das ist genau jener Aspekt, den manche zeitgenössischen Künstler*innen auch als Konkurrenz von Werk und Format beschreiben, als eine neue Übermacht des Formats, oder zumindest eine starke Präsenz, die zu wenig reflektiert wird.
Ein großer Teil unserer Arbeit bei den Berliner Festspielen bestand in den letzten zehn Jahren im Experimentieren mit diesen institutionell verbürgten Konventionen. Künstler*innen, aber auch Programmmacher*innen veränderten das Ritual des Konzerts, der Aufführung oder Ausstellung selbst als Format. Oft entstanden neben den sich selbst entgrenzenden Werken auch ganz neue Formate, die eine eigene Autor*innenschaft besaßen. Ein Werk wie das Nationaltheater Reinickendorf von Vegard Vinge und Ida Müller ist nicht nur ein Stück oder eine Serie von Stücken, sondern eine inszenierte Welt, die Ausstellung, Konzert und Aufführung vereint und ihrerseits von Künstler*innen bespielt wurde, die dafür eingeladen wurden und in einem kuratierten Gesamtkonzept erschienen. Viele Arbeiten von Rimini Protokoll dagegen sind Formate, die theoretisch durch andere Akteur*innen wiederholbar und neu interpretierbar wären.
Die Tendenz, dass die Attraktivität von Veranstaltungen heute oft von Formaten ausgeht, die in ihrer Wirkung die Werke überstrahlen, ist meiner Erfahrung nach die eigentliche Verschiebung im Kunstsystem der letzten 20 oder 25 Jahre. Die Tendenz vom Werk zum Format ist eine, die andere Gewichtungen schafft und die primäre Welt der Werke gelegentlich in den Schatten stellt. Wirklich gute Formate, die nicht nur eine These verfolgen, sondern auch ihr angemessene Wahrnehmungssituationen schaffen, sind Glücksfälle – in ihnen kristallisieren sich Erlebniswelten aus, die spezifische Werkaspekte in Atmosphären übersetzen und für sie neue Verortungen schaffen. Sie erzeugen die Unruhe der Erfahrung von etwas Neuem und von oft ungeahnten Verbindungen zu anderen Feldern der Kunst, der Nichtkunst, anderen Milieus und Generationen. Sich mit Formaten zu beschäftigen, heißt, Rahmungen zu lesen, eine Metaerzählung zu genießen, unabhängig vom Geschmack am einzelnen Werk. Man kann dies als Vorteil dieser Verschiebung vom Werk zum Format empfinden, aber auch als Gefahr. Auf diese Verschiebung zu achten, ist noch eine relativ junge Beschäftigung. Traditionell wird vor allem auf Werke geachtet.