voller Erfolg, aber Opa wachte auf und stieß einen sehr lauten Schrei aus.
Wir erschraken allesamt, rannten die Stiegen hinauf in unser Zimmer und schlossen unverzüglich die Tür – leider hatte diese kein Schloss. Deshalb verstreuten wir als Sicherheitsvorkehrung all unsere kleinen und spitzen Legosteine auf dem Fußboden vor der Tür. Wir dachten, dass dies eine gute Falle sei und uns hören lassen würde, falls jemand ins Zimmer kommen wollte, um sich zu revanchieren. Ich glaube nicht, dass wir in dieser Nacht viel schliefen, und wir fürchteten den Morgen, an dem wir Verantwortung für unsere nächtlichen Aktivitäten übernehmen müssten. Heute zurückblickend war das eine wunderbare Zeit.
Auch die Enkel Nadia und Daniel erinnern sich liebend gern an das Leben mit Opa zurück:
Der Opa war immer für uns Kinder da. In unserer Kindheit waren mein Bruder Daniel und ich mit Mutter fast täglich bei Oma und Opa. Wir verbrachten unsere Nachmittage und unsere Sommerferien größtenteils bei ihnen. Die Sommerferien, wenn auch unsere Cousins David und Andrea den Urlaub bei den Großeltern verbrachten, waren immer besonders schön.
Opa war auch derjenige, der uns alles, aber wirklich alles, erlaubte. Mochten wir ein Eis haben? Einfach Opa fragen, der erlaubte es uns immer und wir durften in die Bar gehen, um uns eines auszusuchen. Wollten wir fernsehen? Einfach Opa fragen. Wenn Mutter auch Nein sagte, Opa sagte immer: „Do schofft der Opa“, und der Fernsehapparat war an. Daniel glaubte immer, dass Opa überhaupt nicht Nein sagen könne, dass es dieses Wort in seinem Wortschatz nicht gäbe.
Opa nahm uns auch in seinem Lkw mit oder führte uns in seinen Keller. Dieser war voll von den verschiedensten Kuhglocken, ausgestopften Tieren und anderen Kuriositäten. Zu allen Gegenständen wusste Opa eine Geschichte, die er uns Enkeln erzählte. Opa erzählte viel, meist von den vielen Streichen, die er seinen Mitmenschen spielte. In späteren Jahren durften wir in seinem Keller Partys schmeißen und er kam fast immer dazu, um ein wenig mitzufeiern. Opa und sein Keller waren eine kleine Berühmtheit.
Unsere schönste Erinnerung an Opa und Oma sind jedoch die Sommerabende. Sehr oft haben wir alle zusammen bei ihnen zu Hause zu Abend gegessen. Es war immer ein Wettkampf, wer von uns Kindern in den Keller durfte, um den Weinkrug nachzufüllen. Nach dem Essen unterhielten sich die Erwachsenen und wir Kinder gingen auf Fröschejagd oder spielten in unseren selbst gebauten Hütten oder Zelten. Das war eine schöne Zeit.
Die Bedeutung des Begriffes Familie, die Oma und Opa uns vermittelt haben, liegt genau hierin: im Teilen wunderschöner Erinnerungen, im gemeinsamen Verbringen von Zeit und in der bedingungslosen Liebe untereinander, geborgen in der Liebe von und zu zwei einzigartigen Menschen.
Wo liegt Heimat?
Wie könnte Opa in seiner Kindheit über Heimat gedacht haben? Vielleicht so:
„Wo könnte Heimat anders liegen
als im Haus, das man bewohnt?
Worin könntest du dich besser wiegen
als im Bett, das die tägliche Müh’ lohnt?
Was wärest du
ohne das umliegende Feld?
Zähle noch die alte Scheune hinzu,
und vollständig ist deine kleine, heile Welt.“
„Das Glück, eine Familie zu haben, durfte ich nicht von Anfang an teilen. Zehn Tage nach meiner Geburt verschenkte mich meine Mutter! Ein Postbote brachte mich zu Fuß von Leifers durch das Brantental nach Deutschnofen, wo eine Ziehfamilie auf mich wartete.“
Wie oft mein Großvater diese Worte gesprochen hat, vermag ich nicht zu sagen, zu schmerzvoll war für ihn die Tatsache, dass er von seiner eigentlichen Heimat, seiner Mutter, so früh verlassen worden war.
„Da sie mich nicht haben wollte oder aufziehen konnte, entschied sie sich, mich einer Ziehfamilie zu geben. Dafür wollte sie ihr monatlich Geld schicken. Dieses Geld hatten meine Zieheltern nötig, sie waren arm und hielten nach jedem Zusatzverdienst Ausschau. Deshalb nahmen sie mich an. Und so wurden für mich das Haus meiner Zieheltern und die Familie, die es bewohnte, zur Heimat. Die erste Heimat, an die ich mich erinnern kann!“
Obwohl die Geschichte an ihm nagt, lächelt mein Großvater. Ein Charakterzug, den ich bewundere. Es ist nicht seine Art, sich lange nach dem Warum zu fragen oder mit der Vergangenheit zu hadern. Sie ist nun mal so, nichts kann daran etwas ändern, deshalb schaut er auf das Positive. Mag es noch so verschwindend gering scheinen. Er findet etwas, worüber er sich freuen kann, und denkt dann meist nur noch daran. Im Falle dieser Geschichte ist es die Liebe, die ihm seine Ziehmutter entgegenbrachte. Über sein Verhältnis zum Ziehvater weiß ich nichts Genaueres.
„Sie war meine Mutter! An ihrer Liebe zweifelte ich nie. Denn sie behielt mich, obwohl meine leibliche Mutter die Zahlungen an sie nach nur zwei Monaten einstellte. Den Grund dafür kennt niemand. Auf einmal kam einfach kein Geld mehr.“
Es erstaunt mich immer wieder, was Menschen leisten können. Wie gut sie sein können. Die Zieheltern hatten kein Geld, kaum nennenswerte Einnahmen, und doch zogen sie meinen Opa groß. Sie behielten ihn – einen von der leiblichen Mutter Verstoßenen, einen dem eigenen Vater Unbekannten – bei sich. Sie entschieden sich für ihn, damit er heranwachsen und sich eine bessere Zukunft aufbauen könne. Ihre eigenen Interessen stellten sie hintan. Da war bloß dieses zerbrechliche, wehrlose Kind und sie, die bettelarmen, herzensguten Menschen, die ihm bereitwillig Hilfe leisteten. Wenngleich mein Großvater dies nie so formuliert hat, bin ich mir sicher, dass ihm dies bewusst war, denn in den Gesprächen über seine Zieheltern blickte er stets dankbar und liebevoll zurück. Nach seiner frühen Reise war er an einem Ort angekommen, den er Heimat nennen konnte, da Menschen dort lebten, die ihn liebten.
„Das war meine eigentliche Familie, ja! Allen voran meine Mutter, die als Hausfrau arbeitete und den einzigen Besitz, den wir hatten, hütete: zwei Kühe. Dann war da noch mein Vater, ein Tagelöhner, der sich zeit seines Lebens für minimales Gehalt, etwas Holz oder Nahrung auf den Feldern und in den Wäldern abschuftete. Und abschließend noch meine Geschwister, die aber allesamt viele Jahre älter waren und schon bald nach meiner Ankunft auszogen. Gelebt haben wir in einem kleinen Haus, dem Mösl, in unmittelbarer Nähe zum Dorfzentrum von Deutschnofen. Mit diesem Ort sind meine ersten Erinnerungen verknüpft, vor allem aber mit den Menschen, die dort lebten. Mit ihrer Armut und Herzensgüte. Die Unterschiede zu den anderen Bauern des Dorfes waren schlicht zu groß, als dass man nicht unter der Armut gelitten hätte: Höfe mit vielen Hektar Fläche an Besitz, da wird dir schnell bewusst, wie klein du bist! Doch verzagten wir nie, oder nur selten. An eine immer wiederkehrende Episode erinnere ich mich, in der ich meine Mutter nahe der Verzweiflung sah: Wollte sie Brot kaufen gehen, begann sie oft bitterlich zu weinen, da sie nicht genügend Geld dafür hatte. Ich konnte damals noch nicht viel beitragen, im Alter von sieben Jahren begann ich aber mitzuhelfen, und so hütete ich regelmäßig unsere Kühe.“
Trotz der bitteren Armut scheint mein Opa am Mösl glücklich gewesen zu sein, in den Jahren seines Aufenthaltes dort ist der Ort also wahrlich zu einer Heimat für ihn geworden. Eine Heimat, an die er gern zurückdenkt, von der er immer wieder erzählt. Denn seine Wurzeln liegen dort und dort durfte er die Geborgenheit erfahren, die er in späteren Jahren oft missen würde. Als ich ihn frage, wie die Geschichte weitergeht, ob er ruhige Jahre hier verbrachte – soweit unter solchen Bedingungen möglich –, lacht er herzhaft und meint:
„Ruhige Jahre? Für Ruhe hatte ich damals keine Zeit, nein!“
Grinsen.
„Mit acht Jahren bin ich umgezogen, weg vom Mösl, hin zum Unterkofl. Der Umzug war nicht sehr schwer, der Unterkofl befindet sich nämlich auch in Deutschnofen und ich konnte meine Zieheltern regelmäßig besuchen, jeden Sonntag nach dem Kirchengang machte ich mich zu ihnen auf! Natürlich war ich anfangs nicht gerade begeistert,