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Über dieses Buch
Im Streit mit einem zwielichtigen Geldverleiher bringt ein junger Mann von unter zwanzig Jahren diesen um. Nach einer emotionalen Berg- und Talfahrt stellt er sich der Polizei.
Die Mühlen der Justiz beginnen zu mahlen. Der Untersuchungsrichter scheint wenig Lust auf mildernde Umstände zu haben, der Pflichtverteidiger ebenso wenig auf Verteidigung. Auch der Gutachter hat offenbar seine Meinung schon im Voraus gemacht und dreht Simon jedes Wort im Mund um. Ein Exempel wird statuiert, Simon zu sechzehn Jahren verurteilt.
Simon hat in der Zwischenzeit die Haft vorzeitig angetreten und ist in der schwierigen Gemeinschaft von Gefangenen und Aufsehern gelandet, in einer Welt mit eigenen Gesetzen und Gebräuchen, die nur noch wenig mit der Welt draussen zu tun hat, auf die er vorbereitet werden soll.
Mit psychologischem Gespür schildert
Simon Volkart den Justizvollzug von den ersten Verhören bis zur Entlassung, sein Bericht ist der selten wahrgenommene Blick eines Betroffenen auf die Verwaltung von Verbrechen und Verbrecher.
Simon Volkart ist ein Pseudonym. Nach der Verbüssung seiner Straftat lebt er heute ein normales Berufs- und Familienleben.
Simon Volkart
Im Knast
Ein Bericht
Mit einem Vorwort von Mario Gmür
Limmat Verlag
Zürich
Beobachtete Beobachter
Mario Gmür
Fällt die Tür ins Schloss, umfängt ihn eine Stille, die ihn die völlige Abgeschiedenheit spüren lässt. Einsamkeit hinter Schloss und Riegel. Augenblick und Ewigkeit fallen in eins. Er ist zurückgeworfen, nicht auf ein Nichts, aber auf ein Minimum, das die wenigen Gegenstände, Tisch, Bett und Stuhl, veranschaulichen: der Strafgefangene. «Sträfling» ist drei Silben kürzer, auch strammer als Begriff, der seine neue Identität bestimmt. Hier wird er zum Experten für Zeit und Zeitlosigkeit, im Wartesaal der Freiheit. Er sitzt die Strafe ab, ein Stück Lebenszeit, die ihn dem Tod näherbringt. Bis dann wird seine Grunderfahrung Langeweile sein. Er kann Antwort geben auf die scherzhafte Frage, ob es einen Satz gibt, in dem das Wort mühsam (jiddisch gesprochen miehsam) siebenmal hintereinander vorkommt: «Mir ist mies am Montag, mies am Dienstag, mies am Mittwoch …» Nicht nur eine Woche lang, sondern über Monate und Jahre.
Als Verfasser dieses Vorwortes, der nie eine Nacht, ja nie eine Stunde in einer Gefängniszelle verbracht hat, habe ich eine unzureichende Kompetenz, über das Leben im Knast zu schreiben. Der Autor dieses Buches hingegen weiss, wovon er spricht. Er, dem im Affekt ein unverzeihlicher, dummer und folgenschwerer Fehler passiert ist, hat viele Jahre in einer Strafanstalt eingesessen.
Er war ein gefährlicher Insasse. Nicht für die Mitgefangenen, nicht für die Menschen, denen er in Zukunft in Freiheit begegnen würde. Jedoch für die Funktionäre der Justiz, die sich ihrer Sache sicher sind, ob als Ankläger, Richter oder Vollzugsbeamte.
Zeugt es nicht von Hochmut und sträflicher Dummheit der Mächtigen, nie zu bedenken, sie selber könnten unter Beobachtung stehen? Die Ohnmacht ihrer Schützlinge hat Augen und Ohren auf sie gerichtet und legt ihre Wahrnehmungen in das Archiv ihrer Erinnerung ab. Vordergründige Einflusslosigkeit macht Notizen, schreibt Tagebücher, die per se schon eine subversive Gefahr für die Bevollmächtigten darstellen. Zu gegebener Zeit – wenn es zu spät ist, dies zu verhindern – riskieren sie, blossgestellt und angeprangert zu werden.
Wäre dieser Rapport aus der Strafanstalt das Machwerk eines recherchierenden Journalisten, er wäre aufschlussreich und brisant. Aus der Feder eines Insassen beeindruckt er besonders, weil der Verfasser seine Erfahrungen und Reflexionen aus der Authentizität seines Erlebens zu Papier brachte. Er schreibt nicht über die Justiz, sondern aus der sinnlichen Erfahrung rechtsprechender Gewalt an eigenem Leib und eigener Seele in verschiedenen Phasen und an entsprechenden Lokalitäten seines Curriculum Vitae innerhalb der Sphäre gesetzwidrigen Hergangs und anschliessender Gerichtsbarkeit. Er beschreibt den Tatort, die Flucht, die Untersuchungshaft, die psychiatrische Begutachtung, das Gerichtsverfahren, den Strafvollzug, die Entlassung nach dreizehn Jahren.
Der Autor hat keine akademische Ausbildung genossen. Seine beachtliche Schreibkunst scheint einerseits einer genuinen Begabung geschuldet, andererseits einer Belesenheit, die er nicht zuletzt einer reichhaltigen Gefängnisbibliothek zu verdanken weiss. Seine Aufzeichnungen erinnern an den psychologischen Realismus romanhafter Darstellungen der Gefängnisliteratur, wie jene von Jakob Wassermann (Der Fall Maurizius) und Hans Fallada (Wer einmal aus dem Blechnapf frisst). Sie sind aber kein Roman, sondern eine Geschichte, die das Leben hinter Mauern schrieb. Für das Studium der Psychologie der Macht sind sie ein wertvoller Beitrag. Sie handeln von einem Feld der Not und der Qual, von erzwungenem Zusammenleben, von der Zermürbung im Wirbel zurückgedrängter Triebe, vom im Unterdrückungsregime gesammelten Schweigen, vom Sadismus der Justiz, die legitimiert ist durch seine Schuld. Er zeichnet das Bild einer entseelten Maschinerie der Justiz, einer von ihm als despotisch erlebten Willkür und eines Verlustes der Menschenwürde. Er schreibt von der Hölle auf Erden. Der Text ist aber keineswegs ein anlastendes Klagelied eines Unzufriedenen, der sich darauf beschränkt, das Leiden in Worte zu fassen. Der Autor nimmt eine besonnene Rolle ein, die des scharfäugigen Analytikers des Alltags im Knast, der sozialen Strukturen und dynamischen Abläufe, geleitet von der Methode der teilnehmenden Beobachtung. Er bemüht sich – über weite Strecken respektvoll-distanziert – um Objektivität und Ausgewogenheit. Seine Schrift «Im Knast» wirft einen Lichtstrahl in die Psychologie des Strafvollzugs. Sie hält der Strafjustiz den Spiegel vor, in dem sie ihre eigenen Fratzen abgebildet sieht. Der Registrierende gibt dem Ausdruck «Gegengutachten» eine neue Bedeutung, nicht die übliche einer von einem Verteidiger in Auftrag gegebenen Gegenexpertise. Es ist seine, des Autors, Begutachtung des Amtspsychiaters, der ihn hochnäsig abgeschmeckt hat, und der Seelenfolterfunktionäre im Namen des Rechtsstaates.
Der Bericht kann als Werk eines seiner Freiheit beraubten Insassen aufgefasst werden, der aus der Not der Gefangenschaft die Tugend eines aufmerksamen subtilen Beobachters und Berichterstatters macht. Schreibend gewinnt er dadurch stückweise die Autonomie zurück, die ihm in der Haft abhanden gekommen ist. Entstanden ist ein höchst lesenswertes Buch, das nachdenklich stimmt.
Zutritt
Die folgenden Geschichten sind wahr. Sie wurden nur so weit verändert, wie es für eine Anonymisierung nötig ist.
Leider ist es noch heute so, dass man als entlassener Sträfling von der Schweizer Gesellschaft geächtet wird. Deshalb wäre ich sehr dankbar, wenn man meine Anonymität respektierte, nicht zuletzt, weil ich nun Familie habe und meine Frau und Kinder wegen meines Fehlers keine Nachteile haben sollen.
Hypostase
1
Schweissgebadet wachte ich auf, hörte nur noch mein Herz pochen, das schweissnasse Hemd klebte mir am Rücken, die Uhr zeigte kurz nach Mitternacht. Mein Hals war ausgetrocknet. Wiederkehrende Albträume sind eine der kleinen Rechnungen, die man als Mörder erhält. Oft schon wurde ein solcher gefragt, wie er sich während und nach seiner Tat gefühlt hatte. Eine ebenso verständliche wie unsinnige Frage. Die Antwort muss wirr, widersprüchlich und fragwürdig erscheinen – denn so erlebt er das auch.
Alles wegen des Mords, dachte ich. Er war es, er will mich töten, sich an mir rächen. Er lässt mich nicht in Ruhe, nie mehr. Er will, dass ich leide. Das hält ihn am Leben.
Am Leben? So ein Unsinn! Er war ja tot.
Warum hatte ich keinen Krankenwagen geholt? Aber er war doch schon tot. Sicher? Es gibt Menschen die überleben schwerste Verletzungen, wenn man ihnen sofort hilft. Scheisse!
Wasser, ich brauchte Wasser.
Mühsam stand ich auf, die Glieder schmerzten wie bei einer schweren Erkältung. Ich schleppte