Niklaus Meienberg

Reisen


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sitzenden Frauen, vorsichtig durchqueren, unvermutet in der Dämmerung auftauchende Maultiere mit ihren Reitern (Sancho Pansa) nicht beschädigen, in Illueca den Pfarrer (párroco) finden. Der will zuerst die Abendmesse einläuten, schnelles nervöses Bimmeln, begleitet den Reisenden dann zu einer Mauer, welche die Dorfkinder am Betreten des Ruinengrundstücks hindern soll, schliesst eine Tür auf, sagt: Natürlich könne man das Gebäude dort hinten im Schatten besichtigen, warum nicht, aber auf eigene Gefahr (peligro). Dann verabschiedet er sich mit auffälliger Herzlichkeit, als ob es für immer wäre, geht in die Kirche zurück, schon hört man das Bimmeln wieder: Wandlungs-, Feierabend-, Totenglöcklein? Das Gebäude zeigt eine langgestreckte, etwas verdrossene Fassade, halb Burg, halb Kloster, in der Mitte zwei schiefstehende Türme mit Rissen und abblätterndem Verputz, oben Galerien und zahlreiche Fenster, zerbrochene Scheiben. In Deutschland würde man sagen: Ein Juwel! Sofort renovieren! Hier nicht. Es hat zuviel davon. Eine schiefe Stiege mit halbzerstörten Stufen führt auf einen Treppenabsatz, das Feuerzeug gibt wenig Licht. Fledermäuse sirren durchs Gewölbe, die Treppe macht kehrt, die Stufen sind jetzt auf zwei Dritteln ihrer Länge zerbröckelt, und der obere Stock ruht nur noch auf drei leichten Säulen, nicht solid, aber elegant. Ungefähr Renaissance. Die hintere Wand fehlt, ein Stück vom Abendhimmel ist jetzt dort, das ist auch schön, und der Fuss tritt auf irgend etwas Weiches. Dieses huscht, einen klagenden Laut ausstossend, die Treppe hinauf, und oben wird das Rieseln im Gemäuer immer lauter. Viele Steine sind schon von der Decke auf die Treppe gefallen. Lohnt den Besuch! (Mit Helm.)

      Molina de Aragón, Provinz Guadalajara. Abends sich der Festung genähert: uneinnehmbar. Kein Loch in der unendlichen Umfassungsmauer. Biblische Stadt auf dem Berg, Wolkenschatten auf brandrotem Boden. Alles gerüstet für die Belagerung, Fallgitter gesenkt, überall verriegelt und verpicht, keine Mauerritze, die den Blick freigäbe ins Innere. Ein besonders düsteres oder prächtiges Geheimnis muss hinter diesen Wällen liegen, eventuell die verbotene Stadt? Erst von der Zinne des frei zugänglichen Turmes auf der Hügelkuppe, Torre de Aragón, sieht man, dass die erste Umfassungsmauer nichts verbirgt als eine zweite Mauer mit Türmen, die ihrerseits einen leeren Innenhof umfasst. Nur roter Sand und Steine, aber alt. Die Türme sind allerdings recht gut gelungen mit ihrem gezahnten Oberteil. In der Stadt unten, die früher von der Burgmauer umfasst worden ist, interessiert sich niemand für die Militärarchitektur. Das ist vorbei, die Leute haben andere Sorgen. Nur Fortunato Martinez, der alte, von der Gemeinde beauftragte, aber nicht besoldete, freischaffende Burgwächter, könne die Tore öffnen und eine Führung machen.

      Am nächsten Morgen steht er vor dem Haupteingang, drahtig und frisch, achtzig Jahre alt, kein Alter im Vergleich zur Burg, wie er sagt. Rüstig trippelt er voraus, hüpft beinahe, erklettert Mauerkronen, läuft über Wehrgänge. 1921 hatte er unter dem Kommando des Generals Franco die Rifkabylen bekämpft in Spanisch-Marokko; weshalb, habe man ihm nie erklärt. Es sei ein anstrengender Krieg gewesen gegen die Araber, damals, und unbegreiflich lange habe er sich hingezogen, und wenn er sich richtig erinnere, hätten die Spanier schliesslich gesiegt, trotz der Hitze. Dann sei bald der nächste Krieg gekommen, diesmal im Mutterland, und alle wehrfähigen Männer in Molina de Aragón hätten begierig auf die Roten, los rojos, gewartet, 1936, die sich aber wohlweislich nur bis an den Stadtrand vorgewagt hätten und nach drei Tagen endgültig vertrieben worden seien für den Rest des Bürgerkriegs, «und nur die Schusslöcher in der blechernen Windfahne auf der Kirche dort unten sind uns als Erinnerung geblieben», sagt Martinez, bevor er die Funktion der Pechnasen erklärt und das schöne Becken zeigt, worin das Öl erhitzt wurde, welches man im Mittelalter auf die Araber heruntergoss oder auf die feindlichen spanischen Brüder in den vielen Kriegen. Heisses Pech und Öl aus den Pechnasen auf die Belagerer gegossen, das habe Wunder gewirkt, sagt der Kriegsveteran nicht ohne Begeisterung, und würde immer noch Wunder wirken, die Pechnasen seien noch im Stande, Öl könne man auch immer auftreiben.

      Von den Zinnen herunter erläutert der Wächter die Stadt. Rechts aussen das Barrio de la Juderia, Judenvorstadt, die man immer noch Juderia nenne, obwohl die Juden vor fünfhundert Jahren vertrieben worden sind und seit 1492 kein einziger mehr dort gelebt habe. Dann das Stadtgefängnis, zwei oder drei Klöster, Asyl, Spital, die Kirchen San Gil, Aescolapius, Santa Clara. Ein wenig Industrie am Rand, garstige neue Blöcke, die Altstadt in der Mitte zusammengekuschelt. Während des Bürgerkrieges habe man versucht, Löcher für den Luftschutz in die Erde des Burghügels zu graben, was aber trotz maschineller Bearbeitung nicht richtig gelungen sei, dort unten zwischen erster und zweiter Umfriedung. Man sieht noch die Kerben. So hart sei hier die Erde. Den Ratten allerdings gelinge es immer wieder, sich durch den Boden zu nagen. Immer mehr Rattenlöcher in letzter Zeit auf seinem Territorium, das macht ihm Sorgen, auch die jungen Leute aus der Stadt, die manchmal nachts hier einbrechen und vagabundieren und aus Mutwillen eines der alten Tore angezündet hätten. Und dann zeigt der Wächter Martinez auch noch den Söller, von dem im dreizehnten Jahrhundert Doña Maria de Molina zu Tode gestürzt ist, ob zufällig, weil sie das Gleichgewicht verloren habe beim Kämmen ihres langen goldenen Haars, oder in selbstmörderischer Absicht, wolle er dahingestellt sein lassen.

      Über der Festung ziehen die Wolken, ballen sich, wandern weiter, unter dem roten Boden ist ein Friedhof, 1808 sind die Franzosen durch das sogenannte Franzosentor ins Kastell eingedrungen, und Fortunato Martinez regiert jetzt allein auf Molina de Aragón, Don Fortunato de Aragón. Dentro mi corazón, sagt er, ein altes Gedicht zitierend, in meinem Herzen steht der Turm von Aragón. Das Grosse bleibt gross nicht und klein nicht das Kleine, die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag. Und Franco ist ja auch schon tot. Aber Fortunato lebt noch, der drahtige Veteran aller spanischen Kriege.

      Belmonte steht in La Mancha, diese Ebene hat Cervantes hervorgebracht, der in arabischer Gefangenschaft seine Bücher schrieb, und gleich neben der Burg Belmonte steht eine Windmühle, und auch die Burg von Consuegra, Provinz Toledo, ist von Windmühlen umstellt, zahlreichen ungeschlachten Riesen, mit denen Don Quixote ein Treffen zu halten und ihnen sämtlich das Leben zu nehmen gedachte. Es war ein redlicher Krieg, und es geschah Gott zu Dienst und Ehren, wenn man solch böse Brut vom Angesicht der Erde vertilgte. Der Bürgermeister von Consuegra hat bei den letzten Wahlen seine Gegner vertilgen wollen, füllte die Urnen mit gefälschten Zetteln aus Angst vor der roten Brut, aber die Sache ist ans Licht gekommen, der Bürgermeister wurde blamiert, und eine grosse Demonstration zog durch das Dorf unter den Windmühlen. Der Fall ist in ganz Spanien bekannt geworden. Schon früher ist Consuegra einmal in die Geschichte eingegangen, weil König Alfons der Sechste von den Almoraviden, einer arabischen Dynastie, hier besiegt worden ist, als die Mohren noch in der Offensive waren. Und das war so gekommen: Der Mutamid von Sevilla hatte in der Hoffnung, seinen christlichen Widerpart Alfons den Sechsten zu besänftigen, diesem seine Tochter Zaida zur Frau gegeben, und Schloss Consuegra, das mehrmals den Besitzer wechselte, war Teil ihrer Mitgift gewesen. Zaida nannte sich fortan Isabel. Solche Toleranz war damals, vor 1492, nicht selten, die drei Religionen lebten in manchen Gegenden friedlich neben- oder miteinander, es gab christliche Enklaven im arabischen und arabische im christlichen Gebiet. Auch in den Köpfen gab es Enklaven. Mutamid war ein Dichter-König, vertraute mehr den guten und gescheiten Worten und der Versippung als dem unangenehmen Krieg. Jedoch sein Schwiegersohn verstand keinen Spass und blieb ein aggressiver Mensch, der sich von keiner Poesie besänftigen liess, und wollte weiter expandieren. Da musste der sanfte Mutamid den harten Yussuf, seinen arabischen Rivalen, zu Hilfe rufen. Dieser übernahm die Macht, schickte seine besten Truppen gegen den christlichen König in Consuegra, welcher sich schon bald geschlagen in die Burg zurückzog. In dieser Schlacht starb, 1079, der einzige Sohn des grossen Cid, ein sogenannter Nationalheld, und viele andere, weniger berühmte Söhne, deren Namen nicht überliefert sind. Die Almoraviden gaben jedoch auf und zogen sich zurück, vielleicht hat ihnen eine langwierige Belagerung nicht behagt. Erst dem nächsten Araberstamm, der von Afrika herüberkam, den Almohaden, gelang es, die Burg Consuegra zu brechen. Später ist sie von Alfons dem Siebten wieder zurückerobert worden und der Christenheit dann nie mehr verlorengegangen. Darüber sollen die historischen Steine sehr glücklich gewesen sein. Die Untertanen, so heisst es, hätten jedoch die arabische Herrschaft vorgezogen, weil Handwerk und Handel dort mehr prosperierten, und seien in ihres Herzens Grund noch lange Zeit keine rechten Christen geworden.

      Belmonte, Sonnenuntergang mit Windmühle und Burg. Der Himmel ist ganz ausgefranst, strähnig, violett, rechts oben pathetische Ballungen, die Landschaft leicht