Vaters nach Mannheim. Dort wegen falscher Rezepte arretiert, Rücktransport in die Schweiz. Von 32 bis Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n’est pas très beau …»
Schüler, Student, Bohemien, Versuchskarnickel für Psychiater, Fremdenlegionär, Geschirrwäscher, Bergarbeiter, Krankenwärter, Handlanger, Gärtner – Glauser kennt das Leben von allerhand Seiten. Als ich ihn in der Waldau besuchte – ein Wärter musste Zeuge unseres Gespräches sein –, bewunderte ich, wie er in dieser Umgebung, in der ein Gesunder krank werden könnte, seine Heiterkeit bewahrte und an seinen Büchern schrieb. Diese ungewöhnliche Widerstandskraft hat ihn vor dem Zerbrechen bewahrt und ihm zu einer innern Befreiung verholfen, die für die schweizerische Literatur und damit für unsere Zeitkunde eine wesentliche Bereicherung bedeutet.
Glauser schöpft, wie man so sagt, aus dem Vollen. Er ist kein bloßer Geschichtenerzähler, darum gibt es in seinen Romanen kein Happy End und überhaupt kein Ende. Man betrachte beispielsweise diesen Studer, diesen kurz vor der Pensionierung stehenden Fahnderwachtmeister. Er löst jedes kriminalistische Rätsel und macht doch keine Karriere. Er ist bei seinen Kollegen beliebt, die Vorgesetzten betrauen ihn gern mit schwierigen Fällen. Dabei hat er das Pech, dass er auf die letzten, auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge stößt, die schonungsvoll zugedeckt werden müssen und die er schonungslos aufdecken will. «Ein Gerechtigkeitsfanatiker! Dass es so etwas noch gibt!» denkt von ihm der Herr Untersuchungsrichter. Seit jener Bankaffäre, die der Studer einst bloßlegte und die dann vertuscht wurde, lässt man ihn die Verbrechen aufspüren, aber man verfolgt sie eben nicht bis zu dem bestimmten heiklen Punkt, wo der öffentliche Skandal anfangen würde. Und darum kommt der Studer auf keinen grünen Zweig. Ein Gerechtigkeitsfanatiker vermag nichts gegen die Gesellschaft, die ihn besoldet. Et puis voilà – um mit Glauser zu reden. Darum sind, wie gesagt, seine Kriminalromane sozialkritische Romane, ob nun das Dorf wie im Wachtmeister Studer oder das Irrenhaus wie in Matto regiert den Spiegel der Gesellschaft abgibt. Sie zeichnen sich aus durch die tiefe Kenntnis der Welt, die der Verfasser in den verschiedensten Sphären persönlich erlitten hat und persönlich gestaltete als ein streng disziplinierter Arbeiter und als ein Weiser, dem die Wahrheit das Lebenselement ist. War die Angst vor den Gesellschaftstanten der Grund, warum diese künstlerisch und dichterisch hervorragenden Werke so lange auf Verleger warten mussten?
Glausers erster und schönster Roman – Gourrama – wird, acht Jahre nach seiner Entstehung, im ABC gedruckt. Die Freude über dieses Ereignis wird sich – ich bin dessen gewiss – den Lesern mitteilen. Dieser erstaunlich reife Erstling weist alle Vorzüge auf, die wir an Glausers andern Werken schätzen. Und hier ist auch schon die große Perspektive, die das gesamte Leben umfasst – von der Insel eines entlegenen Legionspostens aus, einer von der westlichen Gesellschaft abgetrennten Insel, die den farbigen Glanz einer Fata Morgana und zugleich die Kraft eines Symbols der menschlichen Gesellschaft hat. In Gourrama gestaltete Glauser die Erkenntnis, dass man der menschlichen Gesellschaft nicht entfliehen kann, dass man sich mit ihr auseinandersetzen muss. Tapferer Glauser! Mögen die Blätter, auf denen Gourrama die erste Reise in die Welt antritt, ein herzliches Echo des Dankes wecken, den der Künstler in harter Wartezeit doppelt verdient hat. Sein musikalisches Ohr wird das Echo an der atlantischen Küste Frankreichs vernehmen, wo er jetzt lebt und arbeitet, und dann mag er wohl – wie damals in Zürich – mit einem knabenhaft glücklichen Lächeln leise vor sich hinsagen: «Das freut mich, das freut mich.»
Emil Gerber
«Sein Anliegen war das Väterliche der Fahndung.»
Eines Abends im November 1935 waren wir zur gewohnten Lesung bei R.J. Humm versammelt, um das neue, schon im Kaffee «Ost» weit im Voraus angekündigte Talent, Friedrich Glauser, zu hören. Er kam auf Urlaub aus dem Irrenhaus, in dem er sich einer Entwöhnungskur unterziehen musste, und wurde von C.F. Vaucher väterlich betreut. Das alles wird ja in Humms Bei uns im Rabenhaus ausführlich beschrieben.
Auf mich machte er den Eindruck eines scheuen, eher vorsichtigen Menschen, von weicher, fast weiblicher Gemütsart. Von Wachtmeister Studer waren wir alle ergriffen, ich glaube wegen der Eindrücklichkeit der Schilderungen (die Beschreibung eines Teppichs, den Studer betrachtete, vergesse ich nie), aber auch wegen seiner Menschlichkeit. Das war nicht die weiterentwickelte Enthüllungstechnik des Mordskerls «Sherlock». Ich glaube, das war eine neue Art von Kriminalroman. Das Verbrechen gab es, gewiss, aber man musste es bedauern, musste den Täter bedauern, seinen «Fall» verstehen. Hier war es noch nicht unverhüllt zum Zwecke der Unterhaltung da, nicht als Narkotikum gegen Langeweile, wie es uns, mit dem Ruf nach mehr Morden, von allen Kiosken immer abstoßender entgegentritt. Es war auch nicht intellektuell, wie bei Dürrenmatt, wo versucht wird zu zeigen, wie nahe das Wissen beim Verbrechen liegt, wenn das Gewissen fehlt. Bei Glauser lag alles im Gemüt. Sein Anliegen war die Menschlichkeit der Polizei, sozusagen das Väterliche der Fahndung und des Strafvollzugs. Damit vertrat er ein tief schweizerisches Anliegen, das uns nicht gleichgültig lassen konnte. Der Redaktor der Zürcher Illustrierten war bei der Lesung anwesend. Er hat im Anschluss daran für Glausers Debut gesorgt.
Emil Gerber
Im Hafen steht ein fremder Legionär
Ausgestoßen und vertrieben
aus des Landes Raum gehetzt,
abgetrennt von seinen sieben
Brüdern, die ihn heimlich lieben,
hat er seinen Pass zerfetzt.
Und nun sind es sieben Jahre,
seit er den Agenten traf.
Dieser zwang ihn, mit Papieren
sieben Jahre zu marschieren
durch Marokkos Wüstenschlaf.
Nach den fernen Vogelzügen
stieß er manchen Seufzer aus.
Und den Sternen gab er Grüße,
denn zu weit für seine Füße,
war er von der Brüder Haus.
Dunkle Glut entsetzter Augen,
weiße Städte, fremdes Land.
Unten bei den Rifkabylen
hießen die Sergeanten zielen,
und das Blut floss in den Sand.
Aber nach den sieben Jahren
fuhr er wieder übers Meer,
und er fühlte sich im Fahren
innerlich nicht ganz im Klaren
und zuletzt entsetzlich leer.
Trunken wankt er von der Treppe,
an die Schläfen klopft der Mohn.
Kranenarm und Ladebäume
sind die Lasten seiner Träume
zu der Boote Tuckerton.
Wartend an Europas Schwelle
mit dem Blick noch rot vom Sand,
blind vom Weiß der Zitadelle
starrt er auf das Öl der Welle,
ein Besetzer ohne Land.
Und er spürt mit kaltem Schauer;
väterlicher Kontinent,
wie im Blut der fernen Meere,
auf dem Katafalk der Ehre,
deine Lampe niederbrennt.
Emil Gerber (1909–1982), nach einer unruhigen Kindheit mit vielen Ortswechseln kaufmännische Lehre in Glarus. Ab 1930 bis 1939 arbeitet Gerber in der Buchhandlung Rascher in Zürich und beginnt zu schreiben. 1934 erscheint sein erster Gedichtband Am Tor der Welt, dem 1936 Die Irrungen des verlorenen Sohnes folgen. In dieser Zeit tritt er im Cabaret Cornichon auf und wirkt in verschiedenen Schweizerfilmen mit, u.a. Romeo und Julia auf dem Dorfe, Gilberte de Gourgenay und vor allem in den Glauser-Verfilmungen Wachtmeister Studer und Matto regiert. Anfang des Zweiten Weltkriegs verstummt Gerber aus eigenem Entschluss, um erst