Karl L. Holtz

A votre santé


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biologisch daran angepasst«, vermutet McGovern (ebd.). Aber die paradiesischen Streuobstwiesen boten noch weitere Früchte der Erkenntnis. Nicht nur die Weinbranche, auch das Coachinggewerbe profitierte von den sich darin abzeichnenden Ambivalenzen.

      Aber ist es nicht ein bisschen weit hergeholt, in dem von uns nachgezeichneten Mythos die Schlange mit dem Coach in Verbindung zu bringen? Beruhigen wir uns: In vielen Mythen, und schon gar in dem hier angesprochenen ist vieles weit hergeholt, und die Deutungen der Geschichte über den paradiesischen Verlust spiegeln seit Jahrtausenden die Interessen derjenigen wider, die um eine Deutungshoheit bemüht waren. Der hebräische Begriff amrun, mit dem die paradiesische Schlange charakterisiert wurde, bedeutet zunächst »klug«. So, wie sie geschaffen wurde, war sie nicht nur eines der intelligentesten Tiere, sondern sie besaß auch die Fähigkeit, ruhig zu verharren und abzuwarten, bis ein ihr zusagendes Subjekt vorbeikam. Sie war, wie die Katze und andere Spezialisten, nicht darauf angewiesen, sich ständig an die sich verändernde Umwelt anzupassen und unterwegs zu sein. Sie wartet ab und beobachtet, was ihr Klientel eigentlich will, und ihre Spezialisierung liegt darin, im günstigen Augenblick günstige Fragen zu stellen, und das heißt zumeist solche Fragen, die den Klienten in seinem Erkenntnis- und Entwicklungsgewinn weiterbringen. Hierbei vermeidet sie Ratschläge, weil sie weiß, dass dies die sicherste Methode ist, um die Veränderungsbereitschaft zu bremsen. Und wie macht sie das? Sie stellt zunächst einmal Fragen – möglichst keine geschlossenen, also Ja-/Nein-Fragen wie der Berufsstand der Sportjournalisten (»War es ein gutes Gefühl, dass Sie und Ihre Mannschaft diesmal alle Vorgaben Ihres Trainers umsetzen konnten?«). Im biblischen Beispiel fragt sie: »Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?« Es ist eine Frage, die nicht »zu« macht, sondern eine, die Suchprozesse auslöst. Und so antwortet Eva: »Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon, rührt’s auch nicht an, dass ihr nicht sterbt.« Und schon hat die Schlange den Fuß in der Tür. Sie kann zurückfragen: Was ist denn damit gemeint? Und sie gibt die kleine Hilfestellung durch ein alternatives Deutungsmuster: »Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist« (1. Buch Moses, Kap. 3, Vers 5).

      Ach so ist das, denkt Eva, und schon sieht sie das Ganze anders, nämlich »dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte«. Die Folgen dieser Intervention sind bekannt und gewaltig, sodass später einige Exegeten vom Urknall sittlicher Autonomie (Dohmen 1998, S. 268) sprechen werden. Unsere Vorfahren erkannten nicht nur einander, sie machten sich auch auf den Weg, mit der erworbenen Erkenntnis von gut und schlecht zu einer eigenverantworteten Lebens- und Wirklichkeitsgestaltung zu gelangen.

      Nun ist es klar: Der Mensch kann sich nicht mehr ethisch gleichgültig verhalten, er muss zwischen Handlungsalternativen wählen und entscheiden.

      Es war also eine kluge Intervention der Schlange, nicht nur für die eigene berufliche Zukunft, indem sie in der Folgezeit vor allem von denen als (hinter)listig und »des Satans« bezeichnet wurde, denen die Entwicklung der Menschen zu reflexiven und autonomen Wesen suspekt vorkam.

      Wir sollten annehmen, dass der Schlange die Ambivalenz künftigen menschlichen Handelns bereits bewusst war. Zum Menschenbild beraterischen Handelns gehörte schon 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, dass der aus seiner Unmündigkeit entlassene Mensch »selbst das Förderliche« seines »eigenen Lebens bestimmen« wollte »und scheinbar auch« konnte, aber damit zumeist auch frei war, »Minderungen des eigenen Lebens und Schädigungen des ihm verbundenen Lebens heraufzuführen« (Steck 1970, S. 107).

      Und so sind wir wieder bei der Verantwortung für uns und unsere Umwelt und natürlich auch beim verantwortlichen Umgang mit den Weiterentwicklungen der ersten, vergorenen Früchte von den Streuobstwiesen unserer Erkenntnis.

      Es bliebe noch nachzutragen, dass es vermutlich keine Äpfel waren, sondern, so auch die Erkenntnis von McGovern, gärende Feigen. Auch das mit der Erkenntnismöglichkeit von Gut und Schlecht in Zusammenhang gebrachte Feigenblatt spricht dafür. Und natürlich sollten wir nachtragen, dass die Schlange wohl auch dazu beigetragen hat, mit den zunehmend komplexeren Entscheidungen der Menschen ein – wenn auch bis heute noch nicht präzise herausgearbeitetes – Berufsbild von Helfern und Unterstützern ins Gespräch zu bringen.

      Aber: Wie sich alkoholische Getränke voneinander unterscheiden und zu unterscheiden haben, ist heutzutage präzise festgelegt. Wie diese für die Autonomie und Entscheidungsfreiheit, für die Unmündigkeit und Selbstzerstörung des Menschen verantwortlich sind, wird eingehend erforscht. Der Aufgabenbereich und die Funktion unterschiedlicher Hilfesysteme im Beratungskontext sind demgegenüber noch sehr vage und aufgrund häufig nicht nachvollziehbarer Kriterien definiert. Von daher können wir bisher von Wirksamkeitsstudien auch nicht viel erwarten. Wer sich Wein nennen darf, wissen wir inzwischen – wer sich Coach nennen sollte, nicht.

       Was lässt sich über Wein und Coaching sagen?

      Was ist denn Wein und was ist eigentlich ein Coach?

      Eine überflüssige Frage? Der Weinliebhaber wird sagen: »Sicher nicht, denn ich möchte beim Kauf einer Flasche Wein Hinweise darauf haben, auf was ich mich einlasse.« Und in der Regel weiß er, welche Informationen für ihn wichtig sind. Er möchte sicher sein, dass in der Flasche, deren Etikett ihm Wein verspricht, auch tatsächlich Wein enthalten ist. Und wenn das Produkt einmal nicht den Vorschriften und den damit verbundenen Erwartungen entspricht, wird er sich zu Recht getäuscht fühlen und erwarten, dass ein bewusstes Abweichen von den wohldefinierten Kriterien auch entsprechend sanktioniert wird.

      Es kommt weniger darauf an, wie kreativ das Etikett gestaltet ist, sondern eher darauf, wie der Wein ausgebaut wurde. Für die Geschmackserwartungen kommt es weniger darauf an, wie vollmundig oder blumig der Wein genannt wird, sondern darauf, welche Rebsorten oder auch welcher Alkoholgehalt enthalten sind. Es gibt viele Kriterien, nach denen sich ein Weinkenner richten kann, einige Informationen dazu sind auf der Flasche enthalten, andere kann man online erfragen, wieder andere kann er mit dem Weinhändler seines Vertrauens diskutieren.

      Natürlich wird es Abweichungen geben: Weine müssen nicht immer sortentypisch sein, ein hoher Alkoholgehalt kann durch die anderen Inhaltsstoffe des Weines eingebunden sein. Ein kreativer Ausbau kann zu überraschend interessanten, wenn auch nicht erwartungskonformen Ausprägungen führen. Aber: Im Allgemeinen kann man sich auf die Auszeichnungen verlassen, wenn man sich ein wenig mit der Materie vertraut gemacht hat.

      Das bedeutet nun nicht, dass eindeutig benannte Weine auch allen Kennern gleich schmecken müssten. Es gibt Vorlieben, Vorerfahrungen und Kontexte, welche die Beurteilung des Weins sehr stark beeinflussen. Und es gibt natürlich subjektive Voraussetzungen, die auch bei Weinkennern, etwa bei Blindverkostungen von Experten, zu sehr unterschiedlichen Aussagen hinsichtlich der Qualität führen. Dazu später mehr.

      Die Frage danach, was denn eigentlich ein Coach ist, lässt sich demgegenüber viel schwerer beantworten. Wenn wir sagen, ein Coach ist jemand, der coacht, dann stimmt das zunächst, ist aber eine Tautologie. Und selbst, wenn wir jetzt wüssten, was Coaching ist, müssten wir uns darauf einigen, ob jeder, der coacht, ein Coach ist, oder ob wir unter dieser Bezeichnung für unsere Zwecke den professionellen Coach meinen, also jemanden, der zu dieser Tätigkeit eine spezielle – möglichst wissenschaftlich fundierte – Qualifikation mitbringt und diese auch in einem professionellen Rahmen umsetzt. Ein Coach wäre also jemand, der unter bestimmten Voraussetzungen in einem näher zu definierenden Kontext coacht.

      Ansonsten könnten wir in freier Abwandlung der Aussage »Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst« zunächst einmal festhalten: Coaching ist das, was ein Coach tut. Und so, wie die Aussage zur Intelligenz darauf verweist, dass es unzählige Theorien und Definitionen von Intelligenz gibt, die jeweils in dem zugehörigen Intelligenztest erfasst werden, so könnten wir uns damit zufriedengeben, dass es eine Vielzahl von Coachinganlässen und -strategien gibt, die durch den jeweiligen Coach und seine Theorie von Coaching vorgegeben werden.

      Aber