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Kreativität und Hermeneutik in der Translation


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Justus Georg (1967 [1663]): Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache. Hrsg. von Wolfgang Hecht. Tübingen: Niemeyer.

      Schreiber, Michael (1993): Übersetzung und Bearbeitung. Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs. Tübingen: Narr.

      Till, Dietmar (2003): „Poetik (Allgemeiner Teil)“. In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6. Berlin / New York: De Gruyter, 1304–1307.

      Till, Dietmar (2005): „Poetik. Allgemeine Grundlagen: ‚Rhetorisierte‘ Poetik“. In: Ueding, Gert (Hrsg.): Rhetorik. Begriff – Geschichte – Internationalität. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 144–151.

      Vives, Juan Luis (1993 [1532]): De ratione dicendi lateinisch/deutsch. Übersetzt von Angelika Ott. Mit einer Einleitung von Emilio Hidalgo Serna. Marburg: Hitzeroth.

      Werdermann, Katrin (1998): Französisch-deutsche Literaturkontakte im 12. Jahrhundert am Beispiel Heinrichs von Veldekes und Herborts von Fritzlar. Unveröffentlichte Diplomarbeit, IÜD der Universität Heidelberg.

      Wolfram von Eschenbach (1967): Wolfram von Eschenbach. Parzival. Text, Nacherzählung, Worterklärungen. Hrsg. von Gottfried Weber. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

      Kreativität beim Literaturübersetzen. Eine Bestimmung auf rhetorischer Grundlage

      Rainer Kohlmayer (Mainz-Germersheim)

      Abstract: The type of translational creativity identified in think-aloud-protocols of students is only of minor interest for literary translators. Creativity in literary translation has never been limited to the discovery of intelligent solutions for individual linguistic problems. The essay tries to widen the perspective by referring to the rhetorical method of producing oral or written texts. Rhetorically speaking, the translator’s task starts only at the third stage of text production (elocutio) whereas fully-fledged creative writers start out with finding a plot (inventio) and deciding on its structure (dispositio). On the other hand, the stage of elocutio (or style as it is called most of the time) may be considered to be the creative synthesis of any literary work, integrating not only the two preceding stages but also predetermining, or, at least, trying to influence the way a text is to be read aloud or performed silently in the future reader’s mind (pronuntiatio/actio). The German poet-philosopher Novalis (Friedrich von Hardenberg), a close friend of Friedrich and August Wilhelm Schlegel, considered style to be the rhetorical declamation inscribed into the text (“die schriftliche Stimme”), thus linking the traditional rhetorical approach with the modern age of anonymous readers. In the mainstream German tradition, starting with Herder, literary translators have consistently tried to imitate the “voice” of a text, combining a considerable amount of philological research with the creative art of coherent mental mimicry. The practical side of this approach is illustrated by examples taken from the well-known German translator Hans Wollschläger (1935–2007). Unfortunately, this great rhetorical tradition of literary translation has been ignored by most schools of modern translation theory, whether they were of structuralist, functionalist, or cognitivist origins. Small wonder, then, that literary translators often deny the usefulness of theory. There are, however, clear signs of a new and mutual learning process.

      Keywords: Literary translation, creativity, rhetoric, written voice, mimesis.

      1 Ist translatorische Kreativität ein punktuelles Phänomen?

      Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Gegenwart Kreativität angeboten und nachgefragt wird, hat etwas Diffuses, denn schließlich erlangte der Begriff erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den USA, seine unwiderstehliche Popularität.1 Unter dem Stichwort ‚Kreativität‘ findet man im Historischen Wörterbuch der Philosophie von 1976 noch folgende Merkmalbeschreibung:

      Relative Übereinstimmung besteht, daß folgenreiche Produkte, die bezüglich des Erwartungssystems der sie auswertenden Gruppe neu sind und dieses Erwartungssystem modifizieren, Anspruch auf den Titel „kreativ“ haben. (Ritter/Gründer 1976, Bd. 4: 1194f.)

      Aus der anspruchsvollen Merkmalliste – folgenreich, neu, systemverändernd – ist im heutigen Alltagsverständnis nur noch das Merkmal neu erforderlich, und zwar im Sinne einer Fähigkeit oder eines Produkts, auf einem x-beliebigen Gebiet Neues bzw. Innovatives zu bieten. Die schöpferische Kraft, die seit der Renaissance das ‚Genie‘ der großen Künstler und genialen Erfinder auszeichnete (und bis heute im nichtssagenden Klischee der ‚kongenialen‘ Übersetzung weiterlebt), ist – in kleiner Münze – zu einem festen Bestandteil unseres demokratischen Menschenbildes in der kapitalistischen Marktwirtschaft geworden. Habe den Mut, kreativ zu sein ist auch in der jungen Übersetzungswissenschaft zum Motto der Ausbilder geworden. Die bisherigen Wertmaßstäbe (Treue, Äquivalenz, Adäquatheit, Kompetenz usw.) wurden inzwischen vom pfiffigeren Leitbegriff Kreativität überholt. Hätte man in der obigen Merkmalbeschreibung von 1976 an Stelle von ‚Produkte‘ das Wort ‚Übersetzungen‘ eingefügt, wären höchstens ein Dutzend großer deutscher Übersetzungsleistungen in den Genuss des Prädikats ‚kreativ‘ gekommen, aber sicher keine schlauen Lösungen von Übersetzungsproblemen in Zeitungs- oder Fachübersetzungen, wie das heute (mit einem gewissen Recht) reklamiert wird. In seinem beliebten Ratgeberbuch Kreatives Übersetzen schreibt Kußmaul, die übersetzerische Kreativität, die er als besonderes Qualitätsmerkmal (und als Gegenbegriff zur bloßen Routine) versteht, zeige sich bereits dort, wo aufgrund der Sprachverschiedenheiten eine nicht-wörtliche Wiedergabe gewählt würde (Kußmaul 22007: 13); folglich sei das Übersetzen eine „höchst kreative Tätigkeit“ (Kußmaul 22007: 16). Kußmaul hat jedoch eine ausgesprochen punktuelle Vorstellung von übersetzerischer Kreativität.2 So zitiert er August Wilhelm Schlegels Übersetzung jener Stelle des Hamlet-Monologs, wo „sicklied o’er“ mit der Wortschöpfung „angekränkelt“ wiedergegeben wird, was ihm besonders kreativ vorkommt und den „Kern“ seiner Vorstellung von einer „kreativen Übersetzung“ betreffe (Kußmaul 22007: 30f.). Aber hat Schlegel gerade hier nicht besonders wörtlich übersetzt?3 Wie Shakespeare die Wortbildungsmöglichkeiten des Englischen ausreizt, so beutet Schlegel die Wortbildungsmittel des Deutschen aus und kreiert analog zum Wortbildungsmuster von angegilbt, angeglichen, angegraut, angeheitert, angewärmt usw. sein „von des Gedankens Blässe angekränkelt“. Wird aber wirklich der „Kern“ der literatur-übersetzerischen Kreativität erfasst, wenn der Übersetzer punktuell eine analoge Wortbildung wählt? Hätte Schlegel eine andere lexikalische Lösung gewählt oder kreiert (infiziert, angesteckt, angeschminkt, angebleicht, angeschwächelt usw.), wäre dann seine Hamlet-Übersetzung weniger kreativ?

      Die Literaturübersetzer gehen mit dem positiven Prädikat ‚kreativ‘ (bisher) etwas zurückhaltender um. Symptomatisch ist da vielleicht der untertreibende Buchtitel Gutes Übersetzen. Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens, hrsg. von Albrecht Buschmann (2015).4 Dass gutes/kreatives Übersetzen von Literatur keinesfalls nur mit einzelnen schwierigen Stellen und punktuellen Lösungen, wie Kußmaul sie in unermüdlicher Genauigkeit bespricht und Bayer-Hohenwarter sie in aufwendigen Verfahren misst und sortiert, gleichzusetzen ist, kommt mir als Literaturübersetzer und Übersetzungstheoretiker offensichtlich vor. Kreatives Literaturübersetzen hat auch mit lebendiger Mündlichkeit, mit Performanz, mit Einfühlungsvermögen, mit ästhetischer Kompetenz, mit Mimesis, mit Kunst zu tun, mit Gesichtspunkten jedenfalls, die bei Kußmaul und Bayer-Hohenwarter, die sich ja auf die Auswertung von Think-aloud-Protokollen ihrer Studierenden beschränkten, gar nicht vorkommen können.5 Im Folgenden soll daher über die kreativen Spielräume beim Literaturübersetzen weniger punktuell nachgedacht werden, wobei wir uns von der Rhetorik leiten lassen.

      Dass Rhetorik und Übersetzen seit Ciceros „ut orator“ enge Verwandte sind, ist allgemein bekannt;6 aber der Begriff ‚Kreativität‘ oder ‚Originalität‘ spielt in der Rhetorik keine Rolle; das Stichwort fehlt daher auch im zwölfbändigen Historischen Wörterbuch