Fabienne Scheer

Deutsch in Luxemburg


Скачать книгу

Diskurses, zu dem es gehört. (ebd.).

      In einem nicht unerheblichen Teil der Arbeit werden die Reaktionen von Diskursteilnehmern1 auf Ereignisse dargelegt und analysiert. Für die einzelnen Teildiskurse werden die zentralen Aussagen herausgefiltert. Texte des Korpus werden nur noch mit Blick auf ihre Kontextualisierungsfunktion für die Interpretation von Aussagen betrachtet (vgl. Bluhm et al. 2000: 8, mit Bezug auf Jung 1996). Aufgrund ihrer schlechten Lesbarkeit stellte es sich als unmöglich heraus, die abfotografierten Presseartikel des Medienkorpus in ein Textverarbeitungsprogramm einzuspeisen. Das führte dazu, dass sich die Struktur bzw. der Analyse- und Schreibstil der Arbeit entsprechend veränderten. Das ganze Korpusmaterial wurde manuell, ohne Computerunterstützung, analysiert, was verschiedene sprachstrukturelle Verfahrensweisen der Diskurslinguistik aus Praktikabilitätsgründen ausschloss. Dazu gehörten etwa Analysen auf der Wort- und propositionalen Ebene (Analysen von Schlüsselwörtern, von Mehrwortverbindungen, die in das Wissen der Rezipienten eindringen, die Analyse von Relationshinweisen, Implikaturen, Syntax, Tempus, Modalität …). Dort, wo es um die Freilegung des kollektiven Wissens der Gesellschaft und um die soziale Stratifizierung von Wissen geht, wird die Analyse von Argumentationsmustern angewandt. Diese maßgeblich von Martin Wengeler (2003) in die Diskurslinguistik eingeführte Methode der Toposanalyse hat sich als praktisches Verfahren zur Herausarbeitung kollektiven Wissens erwiesen. Auf diese Weise können die in den Texten wiederkehrenden Aussagen, die dort dominanten Denkmuster, herausgearbeitet werden (vgl. Wengeler 2013: 152). Das Ziel einer Toposanalyse ist die Analyse des kollektiven Wissens durch Sprachanalyse (vgl. Wengeler 2010: 77). Jung und Wengeler (1999: 154) fassen das Verständnis des Topos-Begriffs für die linguistische Untersuchung von Argumentationsmustern in Diskursen wie folgt zusammen:

      Zu ihrer Analyse eignet sich der rhetorische Topos-Begriff, nicht in dem auf Curtius beruhenden bildungssprachlichen Verständnis als zu einem sprachlichen Klischee geronnener Gemeinplatz oder als eine Art literarisches Motiv, sondern als vielseitig verwendbarer, für den Argumentierenden bereitliegender Sachverhaltszusammenhang, der zur argumentativen Begründung konkreter zur Diskussion stehender Positionen herangezogen wird.

      Bei diesen dominanten Denkmustern, die den Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg bestimmen, handelt es sich letztlich um Überzeugungen der dominierenden Sprachgruppe, derjenigen mit Familiensprache Luxemburgisch bzw. luxemburgischer Bildungssozialisation. Ihr Wissen wird hauptsächlich anhand der sich im Medienkorpus artikulierenden öffentlichen Meinung offengelegt.2 Wie noch ersichtlich werden wird, werden die Printmedien vor allem von dieser Sprachgruppe rezipiert.3 Die Benennungen solcher kontextspezifischer Argumentationsmuster, die immer wieder im Diskurs verwendet und zu einer bestimmten Zeit als konsensträchtig akzeptiert werden, entwickelten sich im Verlauf der Analyse des Korpusmaterials. Sie wurden in Anlehnung an Kienpointner (1992: 246) benannt, der eine Typologie von Argumentationsmustern erstellt hat, die in der alltäglichen Kommunikation immer wieder vorkommen.

      In nahezu allen Kapiteln geht es nicht allein um das gängige Sprachwissen, sondern auch um das konkrete Sprachhandeln, die alltägliche Praxis im Umgang mit Mehrsprachigkeit in Luxemburg. Im medialen Diskurs wird – wie bereits ausgeführt – nicht die Praxis jeden sozialen Feldes verhandelt. Außerdem stimmt die real sich abspielende Praxis nicht immer mit den im Mediendiskurs herrschenden Diskurspositionen überein. Die Praktiker, die für die vorliegende Arbeit interviewt wurden, waren ein wichtiges Medium um Informationen zu diesem alltäglichen Handeln in Bereichen wie Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung oder auch über den Alltag in Luxemburgs Klassenzimmern zu erhalten. Sie waren zugleich Diskursteilnehmer, aber sind selbst nicht das ‚Objekt’ der Untersuchung. Sie sind bzw. waren Zeugen der mich auf ihren Berufsfeldern interessierenden Prozesse (vgl. Gläser/Laudel 2010: 12). Warnke und Spitzmüller (2008: 22) betonen:

      Kurzum: Wir halten die Analyse sozialer Strukturen für eine wichtige Aufgabe der Diskursanalyse, und eine Diskurslinguistik kann hier insbesondere auf soziolinguistisches Know-how zurückgreifen. Und wir halten eine Diskurslinguistik, die diese Komponente nicht berücksichtigt für unterspezifiziert, da sie den Diskurs als soziale Praktik in und mit der Sprache nicht hinreichend berücksichtigt (Warnke/Spitzmüller 2008: 22).

      Die zentralen ‚Aussagen’ der Experten wurden aus den Interviews herausgefiltert und dem Wissen auf anderen Diskursebenen bzw. dem konkreten Material, das auf den entsprechenden sozialen Feldern ‚erzeugt’ wurde, gegenübergestellt. Soziolinguistische Konzepte, die das Handeln in mehrsprachigen Gesellschaften erklären, wurden für die Interpretation des Mentalitätenwissens und zur Erklärung von dessen Veränderung genauso herangezogen (Domänenkonzeption, Mündlichkeit und Schriftlichkeit [Koch/Oesterreicher] …) wie Erkenntnisse der angewandten Sprachwissenschaft.

      V. Der Bildungsdiskurs

      An kaum einem anderen Ort in Luxemburg äußert sich die spezifische Mehrsprachigkeit des Landes in einer sichtbareren Form als in den öffentlichen Schulen. Bereits in der Grundschule nehmen das Erlernen der zwei Bildungssprachen Deutsch und Französisch sowie der Nationalsprache Luxemburgisch über 40 % der vorhandenen Unterrichtszeit ein (vgl. Engel de Abreu et al. 2015: 15). Die offizielle Dreisprachigkeit des Landes und die Hierarchie der drei Sprachen werden hier stabil gehalten und reproduziert. Reformen des Sprachencurriculums haben somit direkte Auswirkungen auf die Bewertung und Bedeutung der einzelnen Sprachen im Land (vgl. Hu et. al 2015: 63). Neben den drei Sprachsystemen, die in der Grundschule aufgebaut werden, kursiert zwischen den Schulstunden und in den Köpfen der meisten Schülerinnen und Schüler eine Vielzahl weiterer Sprachen.

      Die deutsche Sprache übernimmt in der luxemburgischen Grundschule bedeutende Funktionen: Sie ist aufgrund ihrer Nähe zum luxemburgischen Sprachsystem die Alphabetisierungssprache und die Hauptausbildungssprache. Mit dem Übergang in die Sekundarschule verändert sich, zumindest für die Schüler, die ein klassisches Gymnasium besuchen, die Sprachenhierarchie schrittweise zugunsten der französischen Sprache. Das Französische übernimmt nach Abschluss der neunten Klasse des Gymnasiums die Funktion der Sprache, in welcher der Lernstoff in nahezu sämtlichen Fächern vermittelt wird. Die Bildungselite soll auf diese Weise einen Sprachstand im Französischen erreichen, der den Sprechern eines Landes gerecht wird, das seit 1970 ständiges Mitglied der Organisation internationale de la Francophonie (OIF), dem Zusammenschluss der französischsprachigen Länder, ist.1 Englisch steht ab der achten Klasse auf dem Lehrplan. Weitere Sprachen, etwa Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Latein oder Altgriechisch können zusätzlich erworben werden. Die Spracherwerbsmöglichkeiten, die das luxemburgische Schulsystem grundsätzlich bietet und die Sprachkompetenzen, die auf diese Weise erreicht werden können, erscheinen beneidenswert. Nicht selten sind sie aber auch der Grund für Schulversagen und versperren Schülern mögliche Ausbildungswege. Die Eindrücke, die in und außerhalb der Schule im Austausch mit Experten gewonnen wurden und die Diskussionen, die im wissenschaftlichen Fachdiskurs sowie im medialen Laiendiskurs seit 1983 geführt wurden, zeigen wie sich die Sicht auf Sprache, auf eine Muttersprache und auf Mehrsprachigkeit in der luxemburgischen Gesellschaft seitdem verändert hat. Über den gesamten Erfassungszeitraum des Diskurses, seit über 30 Jahren, muss sich das Bildungssystem mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Kindern mit Migrationshintergrund kein gerechtes Lernumfeld zu bieten. Seit der Veröffentlichung der ersten Pisa-Ergebnisse gilt dieser Vorwurf auch im Bezug auf die Bildungschancen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Die schulischen Sprachanforderungen und besonders der Stellenwert der deutschen Sprache werden als die Kernprobleme angesehen.2 Die Schule ist „the institution where more High German is spoken than anywhere else“, findet Schmid (2001: 149). Außerhalb der Schule ist sie dagegen vielfach eine stille Sprache, die zwar viel gelesen und geschrieben wird, aber eigentlich nur in Interaktion mit deutschen Sprechern als gesprochene Sprache verwendet wird. Die Deutschlehrerin Nadine Vandivinit bestätigte im Experteninterview den Eindruck, dass es eine Diskrepanz zwischen der Position des Deutschen in der Schule und der außerschulischen Relevanz der Sprache gibt:

       F.S.: „Wat ass dann d’Roll vun der däitscher Sprooch? Ass et eng geliefte Sprooch?“

      Nadine Vandivinit (Deutschlehrerin): „Zu Lëtzebuerg?“

       F.S.: „Jo.“

      Nadine