Christina Falkenroth

Die Passion Jesu im Kirchenlied


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      „Sed vera fides dicit: Credo quidem filium deum passum et resuscitatum. Sed hoc totum pro me, pro peccatis meis, de quo certus sum. … Fides vera extensis brachiis amplectitur laeta filium dei pro sese traditum et dicit: Dilectus meus mihi et ego illi.“ 3

      Der wahre Glaube ergreift die Passion, indem er mit Gewißheit darauf schaut, daß der Gottessohn für die Sünden des Glaubenden gelitten hat. Er umfaßt Christus freudig wie eine Braut ihren Geliebten (Hld 2,16). Er weiß um das Leiden Christi für den Menschen und verläßt sich darauf, daß er nun ihm zugehört. Subjekt des Ergreifens ist der Glaube. Indem er als in erster Ursache von Gott gewirkt zu verstehen ist, ist in diesem Akt der Zueignung nicht der Mensch der sich das Heil aneignender, sondern Gott als der im Glauben im Menschen Handelnde derjenige, der ihm dieses zueignet.

      „Mit einem Wort: Durch den Glauben an Christus wird die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit. Alles, was ihm gehört, ja er selbst, wird unser Eigentum. Aus diesem Grunde proklamiert der Apostel in Röm 1,17 diese Gerechtigkeit als Gerechtigkeit Gottes: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus Glauben.‘ Ein solcher Glaube wird in Röm 3, 28 sogar als ‚Gerechtigkeit Gottes‘ bezeichnet: Wir halten dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerecht wird. Es ist das eine grenzenlose und alle Sünde augenblicklich verschlingende Gerechtigkeit, weil an Christus unmöglich Sünde haften kann. Wer nun aber an Christus glaubt, der haftet an Christus, ist eins mit Christus und hat dieselbe Gerechtigkeit wie er. So ist es unmöglich, daß noch Sünde in ihm bleibt.“4

      Indem die Sünde des Menschen vermittels des Glaubens nun durch die Gerechtigkeit Gottes ersetzt ist, gibt es nichts mehr an ihm, das dem Tod den Zugriff auf ihn ermöglichen würde.

      In diesem Zusammenhang wird deutlich, inwiefern der Begriff des Glaubens für die reformatorische Perspektive auf den Einzelnen vor Gott von Bedeutung ist.

      Das Heilswerk Gottes vollzieht sich außerhalb des Menschen, vor seiner Zeit und ohne seine Mitwirkung. Im Glauben aber wird die so erworbene iustitia aliena dem einzelnen zugeeignet.

      Der Glaubensbegriff verbindet das kollektive und das individuelle, das dem Inhalt der christlichen Religion im reformatorischen Verständnis Eigen ist.

      Diese Verbindung wird im Lied offenbar, indem der Kampf zwischen Tod und Leben in einer mythischen Vorzeitigkeit und die Zueignung im Glauben und ihre sinnliche Erfahrbarkeit im Mahl in direkter Zuspitzung auf das „wir“ der feiernden Gemeinde und ihre Gegenwart formuliert ist.

      Der Glaube taucht an zwei Stellen des Liedes als handelndes Subjekt auf, ausgerichtet in zwei verschiedene Richtungen: auf den alten und auf den neuen Herrn. Zuerst wie oben gesehen auf den Tod als Begrenzung von dessen Macht und in der letzten Strophe ausgerichtet auf den Stifter des Glaubens, Christus: „Der Glaub will keins andern leben“. Der Glaube ist nicht nur Vollzug des Heilswirkens Gottes am Menschen, sondern er bedeutet auch umgekehrt eine Ausrichtung des Glaubenden auf Christus. Sein Wollen ist nunmehr ganz auf den neuen Herrn gerichtet, der ihn aus der Herrschaft des Todes befreit hat. Diese Bewegung entspricht dem Greifen nach dem Sohn Gottes. So wird deutlich, daß das Greifen nicht allein eine Bewegung der Abwehr der Macht des Todes ist, sondern gleichzeitig die Bewegung auf den Herrn zu, der nun die Herrschaft über den Glaubenden errungen hat. Der Glaube „will“ die Übereignung an den neuen Herrn. Der Mensch in seiner ganzen Existenz will im Glauben diesem angehören; man kann darin ein Abbild der Willenseinheit des Sohnes mit dem Vater sehen. In dem Wollen ist sichtbar, daß es sich bei der Herrschaft Christi um eine – von Christus initiierte – beiderseitige Ausrichtung von Christus und Glaubendem aufeinander hin handelt. Daß der Glaubende Christus als seinen Retter vor dem Tod erkannt hat, ist durch sein „Wollen“ implizit deutlich geworden: Glauben ist nicht nur Ergreifen, sondern auch Erkennen.

      Das Danken als rechte Betrachtung der Passion Christi

      Luther hat in seinem oben dargestellten Sermon den inneren Weg des rechten Betrachtens des Leidens Christi beschrieben. Demnach erschrickt der Betrachter über die Leiden Christi, weil er erkennt, daß er diese mit seiner Sünde verschuldet hat. Er wird ihm gleich im Leiden (conformatio), indem er sich in seinem Gewissen martert, aber er schreitet weiter, denn angesichts der Liebe Christi und der Liebe Gottes des Vaters, die in der Passion zum Ausdruck kommen, wirft er getrost seine Sünde auf Christus, weil er gewiß ist, daß dieser die Sünde trägt und zunichte macht.

      Der Weg vom Erschrecken zum Trost führt im weiteren Denken Luthers weiter zum Dank:

      In seiner Predigt vom Karfreitag 1533 formuliert Luther:

      „Deshalb sollen wir das Leiden Christi so lernen, daß wir wissen, es sei uns zugut geschehen, auf daß wir solches Leiden nicht anders ansehen als eine ewige Hilfe. Seinen blutigen Schweiß, seine Angst in der Nacht und sein Kreuz soll ich so deuten und sagen: Das ist meine Hilfe, meine Stärke, mein Leben, meine Freude. Denn das alles ist geschehen, auf daß wir Frucht und Nutzen davon sollen haben und daß wir glauben, es sei uns zugute geschehen, und daß wir ihm von Herzen danken. Wer das tut und vom Leiden Christi diesen Gebrauch macht, der ist ein Christ.“

      In seinem Lied setzt Luther bei diesem dritten Schritt ein. Als erste affektive Handlung legt er dem Singenden hier folgende bei: „Des wir sollen froh sein, Gott loben und ihm dankbar sein und singen Halleluja.“

      Im Laufe der Entwicklung hat sich Luther immer mehr von dem Versuch, den compassio-Gedanken umgedeutet zu erhalten, abgewandt und sich mehr einem neuen Schwerpunkt, der „Exklusivität des Sühneleidens Christi“1, genähert. Der inklusive Charakter des Leidens führt zur Gefahr des Mißbrauches des compassio-Gedankens, bei dem das Mitauferstehen des Glaubenden doch auf dem eigenen Mitleiden beruht, wodurch die von Christus erworbene Gerechtigkeit abgewertet wird und der Mensch eine eigene Gerechtigkeit aufrichtet2. Aber gerade im Selbstbehauptungswillen des Menschen gegenüber Gott liegt seine Sünde, denn er verkennt, daß die Schwere der Sünde des Menschen nicht durch eigene Verdienste aufgewogen werden kann. Um dieser Gefahr zu wehren, verlagert Luther den Schwerpunkt seines Passionsverständnis auf die Exklusivität des Sühnehandelns Christi, die für die rechte Passionsbetrachtung Erkenntnis der Liebe Christi und Dank bedeutet.

      Das große Gewicht, das Luther in „Christ lag in Todes Banden“ auf das exklusive Geschehen des Kampfes zwischen Leben und Tod legt, die Deutung des Sterbens Jesu auf dieser universalen Ebene, die die menschliche Existenz zwischen dem Machtbereich des Tod und der Herrschaft Christi ansetzt, die Betonung dessen, daß Christus „für uns“ in diesen Kampf eintritt und die eindeutige affektive Lage des Menschen, die aus reiner Freude, Dank, Lob und Gesang besteht, all diese Elemente seines Liedes verweisen auf diesen Schwerpunkt: Der Betrachtende soll das Kreuzesereignis als seine „Stärke, Leben und Freude“ (s.o.) deuten und Christus „von Herzen danken“.

      Die Perspektive auf das Kreuz im Sermon und im Lied

      In seinem Lied, das er fünf Jahre nach Erscheinen des Sermons gedichtet hat, kommen Grunderkenntnisse daraus zur Sprache, doch haben sich Schwerpunkte der Passionsbetrachtung verschoben.

      Luther läßt sein Lied, verstanden als Betrachtung des Handelns Christi am Kreuz, an einem anderen Ort einsetzen. Mit dem og. Schwerpunkt, den Luther in seinem Lied auf das Danken legt, setzt er dort an, wohin ihn die Passionsbetrachtung nach dem Sermon erst geführt hat. Steht im Sermon zu Beginn das Erschrecken und die Erkenntnis der eigenen Sünde, die dann erst zum Erkennen der Liebe Gottes, die in der Passion wirkt, führt, so ist im Lied Freude und Dank der Beginn; und das Gedenken an Sünde und Verlorenheit an den Tod wird im Rahmen des Dankens betrachtet und als etwas Überwundenes zur Sprache gebracht. Im Sermon findet sich nach der Selbsterkenntnis und der Gotteserkenntnis die Aufforderung zum Annehmen der Tat Christi, indem man die Sünde mit „ganzem Wag“ auf ihn wirft. An dieser Stelle erst wird die Befreiung für den Betrachter wirksam. Im Lied hat die Befreiung schon vor der Zeit im duellum mirabile, das außerhalb des menschlichen Wirkungsbereiches steht, stattgefunden.

      Die Erkenntnis der Liebe Gottes ist im Sermon ein Schritt auf dem Weg von verschiedenen Erkenntnisschritten. Im Lied ist es das Zentrum: Im „Hie ist das