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Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart


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dass das Paradigma der ,autopoetischen‘ Verarbeitung mentaler Daten wichtige Fragen offenließ. Der in Fremdsprachen Lehren und Lernen (1999) erschienene Aufsatz „Der Radikale Konstruktivismus: eine sinnvolle Basistheorie für die Fremdsprachendidaktik?“ wurde in verschiedenen Fassungen mehrfach nachgedruckt.

      Unter dem Neologismus eines ,neokommunikativen‘ Ansatzes hat er versucht, Klärung in das begriffliche Wirrwarr des vorherrschenden Methodensynkretismus zu bringen. Eine konsistente Theorie des heutigen Lehrens und Lernens fremder Sprachen entwickelt Marcus Reinfried aus den Begriffen und der Zahl ihrer Belege in der Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht. So gelingt es ihm 42 fachdidaktische Neologismen in einem Tableau bzw. Großkonzept zusammenzuführen, das unter den Oberbegriffen Handlungsorientierung, fächerübergreifendes Lernen, ganzheitliche Spracherfahrung und Lernerorientierung Begriffe aus zwei untergeordneten Stufungen zusammenfasst. Wie folgerichtig das Prozedere erscheint, dokumentiert beispielhaft das folgende Bild:

      

Abb. 1:

      Begriffsknoten „Fächerübergreifendes Lernen“ (nach Reinfried 2001)

      Der knappe Ausschnitt zum Knoten ‚Fächerübergreifendes Lernen‘ und seine neben- und nachgeordneten Verknüpfungen verdeutlichen die gegenseitige Abhängigkeit (Komplexion) der didaktischen Steuerungs- und Kontextbegriffe und ihre semantischen Überlappungen, und zwar auf allen drei Ebenen. Reinfrieds aus der Marburger Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht generiertes Schaubild spiegelt den Gang des fremdsprachendidaktischen Diskurses im Berichtszeitraum. Reinfried selbst erkennt die hierin liegende Relativierung und betont damit die Notwendigkeit einer ständigen Weiterführung. Das in sich keinesfalls abgeschlossene Paradigma des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts bedarf also in der Tat ständiger Aktualisierung. Dies zeigen schon die heute zentralen Bewegungsbegriffe des Fremdsprachenunterrichts, etwa: Kompetenzen, Sprach- und Sprachlernbewusstheit, Text und Medien in unterschiedlichen Kotexten, Sprachmittlung, Hörsehverstehen, neue Lehrerrollen (Lernberater, language learning facilitator) usw.

      Marcus Reinfried hat sich in vielfacher Weise, wie bereits deutlich wurde, für die deutsch-französischen Beziehungen auf dem Feld der historischen Forschung zum Fremdsprachen-, insbesondere zum Französischunterricht, hervorgetan. Hierzu gehört sein langjähriges Engagement im erweiterten Vorstand der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer, als Vorsitzender des VdF-Landesverbandes Baden-Württemberg und nicht zuletzt in der Redaktion der Zeitschrift französisch heute, zu deren Etablierung in der Fachliteratur Reinfried maßgeblich verhalf. Die Französische Republik hat ihn dieser vielen Verdienste wegen mit der Aufnahme in den Orden der Palmes Académiques geehrt.

      Den Autorinnen und Autoren, die sich an dieser Hommage beteiligt haben, sei noch einmal herzlich für Ihre Mitarbeit gedankt. Einige, die aus zeitlichen Gründen verhindert waren, und viele andere, die sich Marcus Reinfried verbunden fühlen, finden sich in der Tabula gratulatoria. Ein besonderer Dank gilt auch allen Mitwirkenden bei der Erstellung der Festschrift, insbesondere Sophie Engelen (Gießen), Nevena Stamenkovic (Gießen) und Anja Hastrich (Gießen).

      Die Beiträger dieses Sammelbandes sind mit Marcus Reinfried auf die eine oder andere Weise beruflich und freundschaftlich mehr oder weniger, z. T. über Jahrzehnte hinweg verbunden. Dies gilt zuvorderst für Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner, die dem Jubilar mit der vorliegenden Festgabe für die Freundschaft und den gemeinsam gegangenen Weg danken möchten.

      Und für den neuen Lebensabschnitt gilt: Vivat, crescat, floreat ad multos annos.

      Gießen, im Februar 2018

      Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner

      Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers

      Walter Kuhfuß

      Um 1700 enthalten die Lehrbücher des Französischen in der Regel keine Illustrationen, schon gar nicht solche, welche die Lernprozesse der Sprachenschüler unterstützen. Erst in Basedows Elementarwerk und in seinem auf der sinnlichen Anschauungsmethode basierenden Unterricht am Dessauer Philanthropin wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Bild systematisch benutzt, um dem Lerner einen direkten Zugang zu der Bedeutung eines Wortes bzw. eines Satzes zu ermöglichen (Reinfried 1992, 135). Deshalb verwundert es nicht, dass die Lektionen in dem ab 1689 am häufigsten verkauften Lehrbuch des Französischen, Des Pepliers‘ Grammaire Royale et Françoise1, ganz ohne veranschaulichende Bilder auskommen. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrbüchern des Französischen in dieser Zeit enthalten viele (geschätzt zwischen 50 und bis zu 100) Auflagen der Grammaire eine Illustration gegenüber dem Titelblatt, ein Frontispiz: eine kostspielige Investition des Verlegers, die nur bei dem zu erwartenden hohen Absatz des Buches getätigt werden konnte, schließlich musste der Kupferstecher bezahlt und das Bildprogramm entwickelt und künstlerisch umgesetzt werden. Nicht die Lernunterstützung der Sprachschüler war das Motiv für diese Illustrationen, sondern die Visualisierung des zentralen Anliegens von Des Pepliers‘ Grammaire Royale und damit die Werbung für den Kauf des Buches. Im Lauf des 18. Jahrhunderts und mit dem Wechsel der Verlage verändern sich freilich die Frontispize in aufschlussreicher Weise und demonstrieren den kulturellen Wandel eines mythologischen, politischen und pädagogischen Bild- und Ideenprogramms. Das soll am Beispiel einiger ausgewählter Illustrationen gezeigt werden.

      1 Französischlernen à la Cour

      Die Titelformulierung in Des Pepliers‘ Lehrbuch Grammaire Royale in der Auflage von 1693 begründet die autobiographische Legende, die der Autor selbst geschaffen hat: „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“. Mit dem Duc de Bourgogne konnte in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur Louis, Dauphin von Frankreich, Herzog von Burgund (* 6. August 1682 in Versailles; † 18. Februar 1712 in Marly-le-Roi), der älteste Sohn des französischen Thronfolgers Louis de Bourbon und der älteste Enkel Ludwigs XIV. gemeint sein.1 Außer dieser Selbstzuschreibung weiß man nichts von Des Pepliers‘ Leben und deshalb darf man dieser Tätigkeitszuschreibung stark misstrauen.2 Der Autor spielt mit dem höchsten Berufsbild für einen zeitgenössischen Sprachmeister, denn eigentlich hatte Fénelon, der Erzbischof von Cambrai, für die hervorragende Erziehung des jungen Prinzen gesorgt. In diesen hocharistokratischen Kreis zielt Des Pepliers mit seiner autobiographischen Angabe; auch die Titelformulierung Grammaire Royale (,royal‘ heißt im zeitgenössischen Sprachgebrauch königlich, aber auch exzellent3) und die Illustration gehen in die gleiche Richtung – ohne ihn allerdings zu genau festzulegen: Eine kalkulierte Uneindeutigkeit.

      

Abb. 1:

      Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker 1693.

      Das Frontispiz (Abb. 1) zeigt die pädagogische Urkonstellation: Lehrer, Zögling und ,Stoff‘ in einer spezifischen Form, der Prinzenerziehung. Dargestellt werden die Göttin Athene, die Göttin der Weisheit, ein Prinz, der das Lehrbüchlein ergreift, und ein modisch gekleideter À-la-mode-Kavalier mit Justeaucorps-Überrock, Allonge-Perücke und zierlichem Menuett-Schritt, der dem Prinzen das Lehrbuch entgegenstreckt, und der daher der Sprachmeister (und „Erzieher des Duc de Bourgogne“) ist. Die Szene spielt vor einem wuchtigen barocken Portal, durch das der Prinz über einen pappelbestandenen (Des Pepliers!) Weg zu einem Schloss schreitet, das mit seinen Dachstatuen an die Gartenfront des Schlosses von Versailles oder/ und (wohl sehr wahrscheinlich) an die Lustgartenseite des zeitgenössischen Berliner Stadtschlosses erinnern soll – ohne diese allerdings präzise abzubilden4: Die Ambivalenzen sind durchaus gewollt.

      Der Speer der Athene weist mit seiner Spitze über den Architrav hinaus zur Portalinschrift: „Grammaire Royale par M.‘ I.R. des Pepliers“ im Giebel, der von Voluten gekrönt ist – ein Import klassisch-französischer Architektur in diese Berliner Publikation. Die Botschaft ist überdeutlich. Auf dem Weg zum Zentrum der politischen Herrschaft muss sich der Prinz, geleitet von der göttlichen Lehrerin, dem Lehrbuch und dem Sprachmeister mit kontinuierlichem Fleiß dem Studium