entscheidenden Interpenetrationsmomente von Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft liegen in ihrem Verständnis der Objektebene und ihren zentralen Annahmen begründet. Zu Letzteren gehören die uneinholbare Historizität und machtförmige Aushandelbarkeit von Ordnungsmustern und der kräftezentrierte Effektcharakter von Positionen. Die historischen, machtförmigen und kräfteorientierten Prozesse lassen sich besonders gut in der Kopplung von Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft begreifen, weil Medien, und zwar disparate, an diesen Prozessen signifikant partizipieren. Bezüglich der Objektebene kann festgehalten werden, dass es sowohl Diskursanalyse als auch Medienkulturwissenschaft um die »Entfaltung einer Streuung«3 mit dem Ziel geht, »eine Dezentralisierung vorzunehmen, die keinem Zentrum ein Privileg zugesteht«4.
Die mediensyntagmatische Herangehensweise ist ein Mittel par excellence zur Dezentralisierung. Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft begreifen Familialität als Familienpolitik und dispersiv.
Die Fokussierung auf Dispersionen bedeutet, dass der Gegenstand Familialität – eingebettet in medienkulturelle und diskursive Zusammenhänge – facettenreich als Oberflächenphänomen analytisch beobachtet wird, ohne eine Tiefendimension oder ontologische Dinglichkeit vorauszusetzen. Giesen hat bereits präfigurierende Medialität mit Foucaults Dispositivbegriff in Verbindung gebracht5. Foucaults Verständnis des Dispositivs, wonach dieses als ›Netz‹ aus verschiedenen ›Elementen‹ (beispielsweise architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen oder administrativen Maßnahmen6) konfiguriert wird, kann mit dem Begriffspaar ›Medialität‹ und ›Medium‹ korreliert werden. Die Einzelbegriffe jeder Paarung (Netz-Element; Medialität-Medium) sind laut Giesen wechselseitig und autokonstitutiv aufeinander bezogen7. Weiterhin kann die Heterogenität der Elemente des Dispositivs mit jener medialen Disparatheit – Giesen nennt seinen weiten Medienbegriff einen panmedialen – verbunden werden8. Die Entsprechung zwischen Medialität und jenem netzartigen Dispositiv gilt auch für Medialität und Diskursivität. Jene medial-diskursiven familialen Observanzen von Gewicht treten »an die Stelle des rätselhaften Schatzes der ›Dinge‹ von vor dem Diskurs«9. Letztlich werden »diese Gegenstände ohne Beziehung zum Grund der Dinge definier[t], indem man sie aber auf die Gesamtheit der Regeln bezieht [Hervorhebung M.P.], die es erlauben, sie als Gegenstände eines Diskurses zu bilden«10. Der Rückgriff auf Diskurs und Medienkultur suggeriert die autokonstitutive medial-diskursive Bezüglichkeit der Observanzen von Gewicht. Im Zusammenhang mit der autokonstitutiven Bezüglichkeit der Observanzen von Gewicht kann eine weitere produktive Passung zwischen Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft verdeutlicht werden. Medial-diskursive Observanzen von Gewicht sind signifikant existent, und zwar ohne einen (essentialistischen) »Grund der Dinge« anzunehmen. Ich verfolge hier keineswegs eine Medien-Vergötzung. Krämer ist zuzustimmen, wenn sie im Zusammenhang mit Performativität, Medialität und Zeigen ein bedeutungsvolles Dahinterliegen ablehnt:
»Doch wenn alles, worauf es ankommt, sich zeigt, so heißt das auch: Was ›von Bedeutung ist‹, liegt nicht hinter der Erscheinung, ist keine unsichtbare Tiefenstruktur, welche jenseits der Oberfläche des Wahrnehmbaren [Hervorhebung M.P.] durch Verfahren der Interpretation zu erschließen wäre.«11
Das Augenmerk liegt also nicht auf einer zu erschließenden medialen Tiefendimension, sondern auf jener wahrnehmbar existenten Erscheinung an der Oberfläche. Was hier im Kontext von Medialität spezifiziert wird, kann unmittelbar und produktiv auf Diskursivität bezogen werden. Foucault qualifiziert den diskursiven Gegenstand seiner Analyse nicht als ein Tiefenphänomen, das zu befreien wäre: »der Gegenstand wartet nicht in der Vorhölle auf die Ordnung, die ihn befreien und ihm gestatten wird, in einer sichtbaren und beredten Objektivität Gestalt anzunehmen; er ist sich selbst nicht präexistent«12. Gegenständlichkeit existiert nicht aus sich selbst heraus und bedingungslos. Die Verneinung selbstbedingender Existenz des diskursiven Gegenstandes bedeutet aber nicht, dass Letzterer nicht existiert. Gegenteiliges kann gerade angenommen werden: »Er existiert [Hervorhebung M.P.] unter den positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen.«13 In Verbindung mit relationalen Bezüglichkeiten ist der Gegenstand existent, und zwar an der Oberfläche.
Zusammenfassend hinsichtlich einer Methodologie der Medienkulturwissenschaft, die diskursanalytische Werkzeuge integriert, kann demnach (im Rückgriff auf Krämer und Foucault) gesagt werden: Worauf es ankommt, zeigt sich, aber nicht als ontologische Innerlichkeit; das medial Bedeutsame zeigt sich wie das diskursiv Bedeutsame, bei dem es nicht um »innere Konstitution« geht, sondern um »das, was ihm gestattet, in Erscheinung zu treten«14.
Martin Zierold verweist im Kontext von Erinnerung und einer Arbeit, die dezidiert medienkulturwissenschaftlich perspektiviert ist, auf eine Doppelrolle der Medien:
»Sie [Medienangebote, M.P.] können selbst Resultate von Erinnerungsprozessen sein und formulieren oftmals, was gesellschaftlich als relevante Voraussetzungszusammenhänge angesehen werden soll [Hervorhebungen M.P.].«15
Die Doppelrolle von Medien besteht darin, dass sie eine Wirkung von Erinnerungen sind und selber gesellschaftliche Konstitutiva bewirken. Diese mediale Doppelrolle kann auf Diskurselemente bezogen werden. Das Diskurselement mütterliche Schuldgefühle etwa ist ein Resultat von Sedimenten in unserer Gesellschaft und gleichzeitig ein Voraussetzungszusammenhang für gesellschaftliche Prozesse.
Noch einmal zugespitzt: In der vorliegenden Arbeit wird ein Zugang gewählt, der sich an eine an Foucault und Butler orientierte Diskursanalyse anlehnt und in actu zwangsläufig spezifisch konkretisiert und formt. Die Zugriffsart bestimmt sich dann durch »reflektierte[…] Unfügsamkeit«16. Angenommen wird die von Foucault ausgesprochene »Einladung«17 besonders im Hinblick auf das Analysemittel Kritik. Der kritische Gestus ist als eine ethische Zugriffsart zu verstehen, die zweiflerischen Vorbehalt geradezu forciert und katalysiert, um Überschreitungen zu begünstigen:
»Die kritische Ontologie unserer selbst darf beileibe nicht als eine Theorie, eine Doktrin betrachtet werden, auch nicht als ständiger, akkumulierender [sic!] Korpus von Wissen; sie muß als eine Haltung vorgestellt werden, ein Ethos, ein philosophisches Leben, in dem die Kritik dessen, was wir sind, zugleich die historische Analyse der uns gegebenen Grenzen ist und ein Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung.«18
Hier wird besonders die angesprochene Möglichkeit der Überschreitung von (familialen) Grenzen angestrebt. Durchgängig werden vielfältige Grenzen verschoben, was insofern wichtig ist, als »es für die meisten Eltern relativ enge Grenzen des Verhaltens gibt, innerhalb derer die optimale Versorgung des Kindes gewährleistet ist.«19 Die vorliegende Arbeit lässt sich daher keiner einzelnen universitären Disziplin zuordnen. Ich verzichte auch auf eine Aufzählung von Disziplinen, an denen die Arbeit partizipiert, nicht zuletzt, um entgrenzend zu wirken20. Ich vertrete eine poststrukturalistische21 Haltung sensu Butler und Foucault, um selbstverständliche Grenzen zu verschieben. Selbstverständlichkeiten basieren im Anschluss an Butler (und Foucault) auf einer Verleugnung ihrer Historizität. Es wird ein Preis gezahlt, um eindeutige Grenzen aufrechtzuerhalten. In einer Auseinandersetzung mit den Annahmen Foucaults schreibt Butler über den zu zahlenden Tribut:
»Damit scheint gesagt zu sein, dass die Formen der Rationalität, durch die wir uns verständlich machen, durch die wir uns selbst erkennen und uns anderen öffnen, historisch geprägt und nicht ohne einen Preis eingesetzt sind. Wenn sie natürlich, selbstverständlich werden, wenn sie Gründungsfunktion übernehmen und anscheinend unverzichtbar werden, dann stellen sie nicht nur die Bedingungen dar, unter denen wir leben und zu leben haben, dann hängt unser Leben selbst von der Verleugnung ihrer Geschichtlichkeit, von der Verleugnung des Preises ab, den wir für sie zahlen.«22
Wenn nun Grenzen, Bewertungen, Ontologien historisch gewachsen sind, dann sind sie veränderbar. Nun kann angenommen werden, dass Medien in der Medienkultur nicht nur durchspielen, was diskursiv sagbar ist, sondern geradezu zeigen, was diskursiv möglich/unmöglich ist23.
Als positive Grenzverwischung dienen beispielsweise die topografisch-bezeichnungspraktischen Verschiebungen der Komödie Almanya. Willkommen in Deutschland24 (Deutschland 2011, Regie: Yasemin Samdereli, Roxy Film Produktion in Koproduktion mit Infafilm,