Joachim Knape / Olaf Kramer / Dietmar Till
Populisten – rhetorische Profile
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ePub-ISBN 978-3-89308-002-1
Einordnungen
Paradigma Populist: Agitator und Volksversteher
Kann man bei politischen Akteuren, denen man das Prädikat Populist zuschreibt, auch spezifische kommunikative Verhaltensweisen erkennen, die sich zu Merkmalen einer Art Kommunikatorrolle verdichten lassen? Der erste Versuch, solche Kommunikatortypen nach strukturalistischen Prinzipien zu modellieren, stammt schon aus der Antike. Von Theophrast, dem Aristoteles-Schüler und späteren Leiter der platonischen Akademie in Athen. Theophrast gibt seinen 30 äußerst kurz gehaltenen Charakterisierungen, die zwischen Psychologisierung und Sozialtypik schwanken, Überschriften wie Der Schmeichler, Der Verleumder oder Der Gerüchtemacher. In seiner Darstellung des Bedenkenlosen finden sich bei aller historischen Distanz bisweilen Merkmale, die Zuschreibungen an moderne Populisten ähneln. Am Bedenkenlosen falle sein „Beharren bei schändlichen Worten und Taten“ auf, schreibt Theophrast. Er „schimpft auf die Mächtigen“ und ist „dem Charakter nach ein Marktschreier, ein Exhibitionist und zu allem fähig“. Er „scheint auch einer von denen zu sein, die die Massen um sich sammeln und aufhetzen“ oder die in rechtlichen Auseinandersetzungen mal als Opfer, mal als Ankläger auftreten.
Die bei Theophrast zusammengetragenen Impressionen haben ihren analytischen Sinn, auch wenn sie nicht nach wissenschaftlichen Kriterien modelliert worden sind. Wollte man heute eine erste, etwas strengere Typologie erstellen, so würde man bei den Kommunikatoren unterscheiden müssen zwischen (1) Berufstypen wie Journalist, Pressesprecher, Schriftsteller, Talkmaster, aber auch Pfarrer oder Anwalt; (2) Verfahrenstypen wie Diskutant, Mediator, Moderator, Redner oder auch Märchenerzähler sowie (3) Funktionstypen wie Kritiker, Prophet, Schwätzer, Verführer, Verräter, aber auch Guru oder Politiker.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, das Konzept des Populisten als eines bestimmten Paradigmas unter den Kommunikatoren zu modellieren. Ziel ist es, in einer vorläufigen Annäherung nicht die politische Programmatik, sondern das kommunikative Interaktionsverhalten dieser vage erkennbaren Kommunikatorgruppe zu umschreiben. Dazu sollen als Analysekategorien die drei Aspekte 1. Actus (Aktivitätsmuster), 2. Habitus (Haltung) und 3. Status (soziale Rolle) herangezogen werden, die sich durchaus noch erweitern ließen, hier aber aus pragmatischen Gründen ausreichen müssen und können.
1. Actus
Beginnen wir mit den erkennbaren Handlungs- oder Aktivitätsmustern, wobei die Frage ihrer individualpsychologischen Bedingtheit hier nicht erörtert werden soll (vgl. Mertens 2014, 41). Bei den Handlungen geht es um sinnhafte, bewusst-planmäßige und intersubjektive (also Mitmenschen einbeziehende) Aktivitäten im Rahmen alltäglicher Lebenswelt, die hier konkret im politischen Kommunikationsraum betrachtet werden. Aus rhetorischer Sicht stellen sich diese als strategisches Handeln dar. Die entsprechenden populistischen Handlungsroutinen lassen sich auf den Ebenen der Texte und der Medien besonders gut beobachten – die Rhetorik spricht dann von Redekalkülen und von Medienkalkülen. Für die Redekalküle und deren Ergebnisse kann man den in der Forschung eingeführten Begriff der Agitation zur Charakterisierung heranziehen, hier im Sinne einer ideologisch besonders eingefärbten, interaktional besonders intensiven, inhaltlich besonders einseitigen und in Hinsicht auf die üblichen Verhaltenskonventionen besonders radikalen und grenzüberschreitenden Sprache. Der Populist hat das Problem, dass ihm soziale Anerkennung fehlt und dass er seine noch nicht etablierte, noch schwache oder gar ausgegrenzte Sache stärken muss. Dieses Anliegen bedingt den permanenten Subversionsgestus, den man in diesem Zusammenhang besser Unterminierungsgestus nennen sollte. Denn bestehende, als elitär angeklagte politische oder kommunikative Ordnungsmodelle sollen durch ständigen Angriff, was ich Infestation nenne, unterminiert werden. Als direkte kommunikative Ziele erweisen sich hier das Aufrühren von Sensation (Aufmerksamkeit um jeden Preis), das Skandalisieren der bestehenden politischen Verhältnisse und die Provokation.
Mit welchen Mitteln wird dabei gearbeitet? Zunächst einmal wird eine Gegen-Topik aufgebaut. Systematisch wird hier inhaltlich an gedanklichen Kernen einer Anti-Mainstream-Programmatik gearbeitet, die z.B. den Appell an niedere Instinkte nicht scheut (Fremde als Bedrohung der ‚eigenen‘ Frauen), Tabuwörter einsetzt oder vermeintliche ideologische Leerstellen (bisherige Tabus) positiv füllt und besetzt. In der Selbstdarstellung ordnet der Populist das als Ausdruck seiner politischen Tapferkeit und seines Freimuts, der Parrhesie, ein. Die populistischen Analysen laufen auf eine Monokausalitäts- und Miserenanalyse hinaus (Griechen, Flüchtlinge oder Mexikaner seien die Generalursache für die Misere usw.) sowie auf den großen Mängelnachweis beim herrschenden System und den Nachweis des Misslingens der alten Strukturen mit ihren letztlich korrupten Vertretern. An der alten Ordnung muss gerüttelt werden. Die Analysen und Nachweise werden monothematisch zugespitzt mit hoch selektiven Themensetzungen: Identität, Nation, Klassenkampf, Migranten, Fremdes versus Eigenes, die da oben – wir hier unten. Vorgetragen wird das mit einem Exklusivitätsgestus, der die eigene Deutungshoheit betont, keinen Zweifel zulässt und die politischen Gegner oder die Presse skrupellos als Lügner oder Volksmanipulateure denunziert. Der ‚mündige‘ Bürger ist nicht die Zielgruppe der Agitation, denn (so etwa die Maßgaben eines unter dem Namen der AfD im Internet auffindbaren Wahlkampfpapiers von 2016): Es geht „für den Wahlerfolg der AfD nicht darum, zu den zentralen Themen differenzierte Ausarbeitungen und technisch anspruchsvolle Lösungsmodelle vorzulegen und zu verbreiten, die nur Spezialisten aus der politischen Klasse interessieren, die Wähler aber überfordern“, sondern nur darum, „den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen“ (Alternative für Deutschland, 9).
Aus der Kampfpositionierung des populistischen Newcomers oder Aufsteigers ergeben sich Präferenzen für eine Gruppe populistisch signifikanter, im politischen Normalgeschäft meist gemiedener (sonst nur punktuell verwendeter) oder eher tabuisierter Sprechakttypen. Sie bilden eine Art populistisches Sprechakt-Cluster. Dazu gehören permanentes Anklagen, rücksichtsloses Denunzieren, Drohen, provozierendes Feindbildproduzieren, tabuverletzendes Irritieren, Polemisieren, Polarisieren (‚wir‘ gegen ‚die da oben‘), Verleumden, Verunsichern, Tabubruch sowie Grenzabbau bei der political correctness, dann aber auch bedenkenloses Zurückrudern. Die Antithese als Denkfigur verhilft zu radikalen und eingängigen Gegenüberstellungen: „Staatszerfall“ (Höcke) versus neues nationales Staatsideal; Altparteien versus neue Aufbruchsbewegung; Elite versus echte Volksvertreter; Feind versus Freund. Im Sinne der klassischen Propagandakonzeption soll die Wiederholung spezieller Forderungen und Behauptungen zur Dramatisierung der Miserenanalyse beitragen (bei jeder Gelegenheit den Rücktritt der Bundeskanzlerin fordern, ständig auf die Migrationsproblematik verweisen usw.). So heißt es im genannten Strategiepapier von 2016: „Die stete Wiederholung dessen, wofür man bereits bekannt ist, bringt mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen.“ Und in der Argumentation soll nie die ganze Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht werden; das meint: Lieber nicht über den Preis irgendwelcher Forderungen sprechen, denn „Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“ (Alternative für Deutschland, 9).
Auf der Ebene des strategischen Medienkalküls sticht das Prinzip der parasitären Kommunikation hervor. Statt teure Anzeigen zu schalten oder mit relevanten Äußerungen