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Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung


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eingangs beschrieben gesellschaftlichen Herausforderungen und Entwicklungen stellt und auf die Fähigkeit zu selbstbestimmten Handeln in der Fremdsprache und zur kritischen Teilnahme an Diskursen zielt. Aus dieser Perspektive gehört es zu den zentralen Aufgaben des Lehrberufs, individuelle und soziale Lernprozesse zu koordinieren. Welche konkreten Kompetenzen sollten somit in der Ausbildung angebahnt und in der Fortbildung gestärkt werden?

      Auf der einen Seite müssen Lehrende in der Lage sein, das Lernen als einen individuell geprägten Prozess zu begleiten. Hierbei kommt eine Kompetenz zum Tragen, auf die wir bereits im vorangegangenen Abschnitt verwiesen; und zwar jene, Fachwissen über Sprache und Spracherwerb handlungswirksam umzusetzen. Lehrende müssen die Schwierigkeiten einzelner Lernerinnen und Lerner erkennen und deuten lernen, um konstruktive Unterstützung etwa durch Feedback zu Redebeiträgen, bei schriftlichen Korrekturen oder bei der Lernberatung geben zu können. Auch eine faire Bewertung von Leistungen hängt letztlich davon ab, inwieweit Lehrende in der Lage sind, individuelle Lernverläufe zu verstehen.

      Auf der anderen Seite sollten Lehrende aber auch die Fähigkeit entwickeln, das Lernen als einen sozialen Prozess zu ermöglichen und zu begleiten. Den Erkenntnissen der soziokulturellen Ansätze ist es zu verdanken, dass der Fremdsprachenunterricht heute auch als ein Ort betrachtet wird, an dem Menschen gemeinsam Bedeutungen aushandeln oder Probleme lösen. In der Interaktion generieren sie neues Wissen. Dafür müssen die Lernenden aber zunächst einmal die Möglichkeiten erhalten, aus den nach wie vor in fremdsprachlichen Klassenzimmern weit verbreiteten Frage-Antwort-Sequenzen auszubrechen (vgl. Dalton-Puffer 2007; DESI-Konsortium 2008). Lehrende sollten also in der Lage sein, einen Austausch unter den Lernenden zu initiieren und aufrechtzuerhalten, in dem diese in dialogischer Form, wechselseitig und aufeinander bezogen interagieren (vgl. Haneda/Wells 2008; Schart 2015; van Lier 2001). Hierfür ist die Kompetenz grundlegend, eine anregende und angstfreie Arbeitsatmosphäre zu schaffen, Regeln, Routinen und Rituale zu etablieren und persönliche Beziehungen aufbauen. Ein förderliches Unterrichtsklima lässt sich beispielsweise an einer positiven Fehlerkultur erkennen, in der missglückte Formulierungen als Ausgangspunkte für gemeinsames Lernen betrachtet werden und auf eine Balance zwischen Korrektheit und Flüssigkeit geachtet wird. Es zeigt sich auch am Respekt für die Lernenden einer Gruppe, an der gerechten Behandlung der Einzelnen, einem reflektierten Umgang mit ihren Erwartungen, ihren Interessen und auch ihrer Kritik. Nicht zuletzt muss als ein wichtiges Merkmal einer förderlichen Arbeitsatmosphäre im Fremdsprachenunterricht der hohe Anteil von Fremdsprache im Unterrichtsgeschehen erwähnt werden, der sich aus der aktiven Mitarbeit aller Beteiligten ergeben sollte.

      Eine solche Aufzählung von Anforderungen an das Lehrerhandeln kann auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als würde die Lücke, die durch die Abkehr vom Methodenideal früherer Jahrzehnt entstand, nun durch ein Idealbild einer umfassend kompetenten Lehrkraft ersetzt. Tatsächlich aber zeichnet sich ein erfolgreicher Unterricht keineswegs dadurch aus, dass es Lehrenden gelingt, allen oben genannten Merkmalen gerecht zu werden (vgl. Helmke 2014: 818). Diese sind nicht normativ zu verstehen, wie es in Zeiten der Methodendominanz der Fall war, sondern heuristisch. Lehrende müssen Kompetenzen in den erwähnten Bereichen entwickeln, weil sich diese aus den Rahmenbedingungen ihres Berufes ergeben. In einem konkreten Kontext können jedoch einzelne Kompetenzen von vorrangiger Bedeutung sein, während andere weniger gefragt sind. Ausschlaggebend ist daher, ob Lehrende es gelernt haben, ein ihrer Praxis angemessenes unterrichtliches Arrangement zu gestalten.

      Hinter dieser Argumentation steht eine grundlegende Veränderung in der Konzeption von Aus- und Fortbildungen für Fremdsprachenlehrende. Freeman (2016:124) beschreibt sie als einen Prozess, in dem sich die Schwerpunktsetzung von einem methodologischen Denken hin zu einem heuristischen Denken verschob. Letzteres geht davon aus, dass Lehrende eine forschende Haltung gegenüber ihrem Tun einnehmen, die eigenen Handlungsspielräume erkunden und die Folgen ihrer Entscheidungen genauer in den Blick nehmen. Die Kompetenzdimension „Lehren und Lernen“ ist somit eng verknüpft mit der Fähigkeit, sowohl die Bedingungen des beruflichen Handelns als auch sich selbst zu reflektieren. Ein Gedanke, dessen Konsequenzen für die Struktur und auch die Praxis von Aus- und Fortbildungsprogrammen wir in den folgenden beiden Abschnitten genauer betrachten möchten.

      2.5 Identität und Rolle

      Wie bereits weiter oben beschrieben wurde, erlebte die Fremdsprachenforschung seit Beginn der 1990er Jahre eine Zeit der Neuorientierung. Mit der Lehrperson rückte ein Thema in den Fokus des Forschungsinteresses, dem in den Jahrzehnten zuvor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Zugleich begann man damit, sich verstärkt lokalen Kontexten zuzuwenden. Mit einer Sammlung von Fallstudien lieferten Bailey/Nunan (1996) einen programmatischen Titel für diese neue Tendenz der Fremdsprachenforschung: Voices from the Language Classroom. Als Ergebnis konnten solche Forschungsarbeiten (s.a. Freeman/Richards 2006) eine große Vielfalt an Wechselwirkungen beschreiben, die das Unterrichtsgeschehen bestimmen und seiner Steuerung durch methodische Handlungsanweisungen enge Grenzen setzen. Es zeigte sich, weshalb das Gelingen von Lernprozessen in besonderer Weise von den einzelnen Lehrpersonen abhängt: Ihre Entscheidungen und ihr Handeln im Klassenraum sind geprägt von biografischen Erfahrungen, individuellen Überzeugungen, Motiven und auch Persönlichkeitsmerkmalen.

      Lehrerinnen und Lehrer wurden von nun an in ihrer Persönlichkeit wahrgenommen. Diese Perspektive war zwar im Zuge der Verwissenschaftlichung der Lehrerausbildung vorrübergehend in den Hintergrund getreten, ganz neu war sie allerdings nicht. Denn mit dem „Persönlichkeitsansatz“ hatte es in der Geschichte der Pädagogik bereits einmal eine Phase gegeben, in der die Lehrpersonen im Zentrum des Forschungsinteresses standen. Dieser Ansatz musste jedoch scheitern, weil er den Zusammenhang zwischen Lehrperson und Lernerfolg vor allem mit charakterlichen Dispositionen zu erklären versuchte (Helmke 2015: 33f).

      Dass Persönlichkeitsmerkmale im Unterrichtsgeschehen wirksam werden, steht dennoch außer Frage und empirisch lässt sich der vorteilhafte Einfluss von Enthusiasmus ebenso nachweisen wie der nachteilige von Reizbarkeit oder sozialer Befangenheit (vgl. Mayr 2014). Werden die Effekte des Unterrichts jedoch allein mit dem Sein von Lehrenden verknüpft und nicht mit ihrem dem geplanten oder gezielten Tun, wie Herzog/Makarova (2014: 85) es formulieren, bleibt man letztlich der traditionellen, aber nach wie vor sehr verbreiteten Vorstellung des „geborenen Lehrers“ verhaftet.

      Die Fremdsprachenforschung entdeckte daher die Lehrperson als zentralen Akteur der Lehr- und Lernprozesse wieder, folgte dabei jedoch nicht der ursprünglichen Zielsetzung des Persönlichkeitsansatzes. Es konnte nicht darum gehen, die ideale Lehrpersönlichkeit zu identifizieren. Das ergab sich schon als notwendige Konsequenz aus der fehlgeschlagenen Suche nach der idealen Methode, in die man über Jahrzehnte hinweg vergeblich investiert hatte. Vielmehr richteten sich die Forschungsbemühungen darauf, ein besseres Verständnis für das Zusammenspiel von Individualität und professionellen Kompetenzen in jeweils singulären Kontexten zu entwickeln.

      Diese Perspektivenerweiterung der Fremdsprachenforschung führte auch in der Aus- und Fortbildung zu einem grundsätzlichen Umdenken. Erkennt man den hohen Stellenwert des subjektiven Faktors an, kann man sich nicht mehr darauf beschränken, didaktisches Theorie- oder Methodenwissen zu vermitteln, allein in der Hoffnung, dass Lehrende es in erfolgreiche Praxis übersetzen werden. Wie wenig begründet diese Haltung ist, zeigen die ernüchternden Ergebnisse von Studien, die sich den Erfahrungen von Lehramtsstudierenden in Praktika widmen (z.B. Elsner 2010; Gabel 1997; Schädlich 2015) oder den Berufseinstieg untersuchen (Appel 1995, siehe auch Wahl 2013: 7f.). Die Herausforderung besteht deshalb darin, dem subjektiven Faktor in allen Phasen des Aus- und Fortbildungsprozesses gerecht zu werden und die Professionalisierung als eine Form der Rollenausgestaltung und Identitätsbildung zu verstehen.

      Welche Kompetenzen dabei von Bedeutung sind, lässt sich anhand der Unterscheidung von Rolle und Identität beschreiben (Kanno/Stuart 2011). Rollen werden von außen an die Individuen herangetragen. In dieser Hinsicht sollte in der Aus- und Fortbildung ein besseres Verständnis dafür entwickelt werden, was sich die Gesellschaft von Lehrerinnen und Lehrern verspricht, welches Lehrerbild staatliche und institutionelle Curricula zeichnen oder welche Erwartungshaltungen die Lernenden und ihre Eltern hegen. Auch die Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, wie wir sie zu Beginn dieses Beitrags schilderten, gehört zweifellos