Nutzung der Wikipedia durch Journalisten sein. An einem Beispiel kann dies gezeigt werden: Bei den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris ereignete sich die erste Detonation abends gegen 21:20 Uhr. Bereits um 22:00 Uhr, also lediglich 40 Minuten später, wurde in der französischen Version der Wikipedia ein Artikel zu den Anschlägen initiiert. Rund eine Stunde später folgte dann ein Eintrag in der deutschen Version der Wikipedia, der in der ersten folgenden Stunde insgesamt 71 mal aktualisiert wurde. Bei anderen aktuellen Ereignissen zeigt die Wikipedia-Gemeinschaft ähnliche Reaktionsgeschwindigkeiten. Bei einigen Wikipedia-Autoren ist dieses frühe und schnelle Aktualisieren der Wikipedia unerwünscht und wird mit despektierlichen Begriffen wie Newstickeritis belegt. Auf den Diskussionsseiten der Wikipedia finden sich immer wieder entsprechende Hinweise kritischer Autoren, um dem (nicht regelkonformen) Wunsch mancher, die Wikipedia nicht enzyklopädisch, sondern journalistisch zu bearbeiten, entschieden zu begegnen:
Wikipedia ist kein Nachrichtenportal oder Veranstaltungskalender und dient nicht der aktuellen Berichterstattung. Einen Rahmen für Nachrichten und aktuelle Berichterstattung bietet das Schwesterprojekt Wikinews.1
Um einen eigenen Raum für die journalistische Berichterstattung in den Projekten der Wikimedia-Bewegung zu schaffen, wurde Wikinews als internationales Wikimedia-Projekt zur gemeinschaftlichen Erstellung einer freien und neutralen Nachrichtenquelle gegründet:
Wikinews ermöglicht es jedem Internet-Nutzer, Nachrichten zu einem breiten Themenkreis zu veröffentlichen. […] Das Projekt will die Idee des Bürgerjournalisten (auch Graswurzel-Journalismus) verbreiten.2
Die Hauptseite des Projekts „Wikinews“ findet sich über den folgenden Link: https://de.wikinews.org/wiki/Hauptseite.
Trotz dieses zusätzlichen Angebots ist es nach wie vor gängig, tagesaktuelle Themen auch in der Wikipedia zeitnah zu thematisieren, was diese sicherlich für viele Internetnutzer auch besonders attraktiv macht.
Problematisch ist die hohe Aktualität dann, wenn (noch) ungesichertes Wissen oder gar vorsätzlich eingefügte Falschinformationen ungeprüft übernommen werden, wie der Fall um Karl-Theodor zu Guttenberg zeigt. Ein anonymer Autor fügte 2009 kurz vor dessen Amtseinführung als Bundesminister einen falschen elften Vornamen (Wilhelm) in den Wikipedia-Eintrag zum Politiker ein. Die Falschinformation fand in der Folge Eingang in die Berichterstattung mehrerer überregionaler Tageszeitungen. Im Interview mit der Zeitung „Die Zeit“ sagte der Urheber des falschen Eintrags: „Mich hat […] sehr überrascht, wie viele Medien den Fehler übernahmen. Mich überraschte auch die Tatsache, dass die Wikipedia im Gegensatz zu den Journalisten den Fehler bemerkte und löschte. Und er erst dadurch, dass der falsche Name zu dieser Zeit schon in der Welt war, er wieder in die Wikipedia zurückkam.“3 In der Wikipedia forderte die Wikipedia-Gemeinschaft schnell Einzelnachweise für den elften Vornamen des Politikers, die dann allerdings aus der journalistischen Berichterstattung geliefert werden konnten, wie der anonyme Autor erklärt:
Doch der falsche Vorname verschwand nur kurzzeitig aus der Online-Enzyklopädie. Denn der Einzelnachweis war schnell gefunden: Schließlich konnte man ja bei ‚Spiegel Online‘ nachlesen, dass sich der Minister selbst so nennt. Weil Journalisten ungeprüft von Wikipedia abschreiben und Wikipedia journalistische Texte als glaubwürdige Quelle betrachtet, wurde der erfundene Vorname schnell zur medialen Wirklichkeit.4
Was man als Macht eines selbstreferenziellen Kreislaufs bezeichnen kann, zwang mehrere Medien zum Eingeständnis mangelhafter Recherche-Prozesse. Zwar sind solche Manipulationen eher die Ausnahme, dennoch ist es für Journalisten besonders wichtig, Inhalte der Wikipedia genau zu prüfen.
1.4 Wikipedia als PR-Kanal
Zunehmend wird Wikipedia von PR-Experten auch als PR-Kanal verstanden und rückt somit aufgrund ihrer Reichweite in den Fokus von Unternehmen, Parteien und Non-Profit-Organisationen. Gerade in der frühen Phase der Wikipedia versuchten beispielsweise Firmen, das Bild ihrer Vergangenheit, ihrer Produkte oder einzelner Unternehmensangehöriger zu beschönigen. Die PR-Experten editierten die Wikipedia-Beiträge dann in (scheinbarer) Anonymität als nicht-angemeldete Nutzer (sogenannter IPler), um Manipulationsversuche zu vertuschen. Wiki-Projekte wie Wikiscanner oder Wikiwatchdog ermöglichen es jedoch, solche heimlichen Bearbeitungen aufzudecken. In Wikiwatchdog beispielsweise lassen sich zu einer IP-Adresse, die einer bestimmten URL zuzuordnen ist, alle Bearbeitungen eines Unternehmens sichtbar machen. So können für den 5. Mai 2005 Änderungen am Eintrag Wal-Mart von einer IP-Adresse nachvollzogen werden, die einer URL des Unternehmens zuzuordnen ist (Wal-Mart Stores Inc.). Vor der Bearbeitung durch eine IP-Adresse des Unternehmens war im Eintrag zum Unternehmen Folgendes zu lesen:
As of 2004, about 70 % of the products sold in Wal-Mart stores have at least a component manufactured in China.1
Dieser Absatz im Eintrag zu Wal-Mart wurde durch einen Internetnutzer mit einer Unternehmens-IP auf grundlegende Weise sprachlich abgewandelt und ersetzt:
Eve [!] today, though, Wal-Mart buys merchandise and services from more than 68,000 U.S [!] suppliers and supports over 3.5 million supplier jobs in the United States.2
Solche perspektivisch formulierten Änderungen laufen der Regel des Wikipedia-Projekts vom „Neutralen Standpunkt“ zuwider und werden deshalb – häufig innerhalb kürzester Zeit – von der Wikipedia-Gemeinschaft rückgängig gemacht. Diese negativen Beispiele waren Grund dafür, dass das bezahlte Schreiben in Wikipedia zunächst sehr kritisch gesehen wurde.
Die Auffassung der Wikipedia-Gemeinschaft zu bezahltem Schreiben durch PR-Experten hat sich in den letzten Jahren jedoch gewandelt: Zwischenzeitlich werden in einem eigens eingerichteten Wikipedia-Projekt die Rahmenbedingungen für bezahltes Schreiben festgelegt. In vielen Fällen ist es durchaus wünschenswert, dass Mitarbeiter einer Organisation die enzyklopädisch relevanten Informationen über ihren Arbeitgeber in der Wikipedia aktualisieren. Häufig haben sie intern einen besseren und schnelleren Zugang zu Daten- und Wissensbeständen. Die Wikipedia-Gemeinschaft hat deshalb die Möglichkeit für Organisationen und Institutionen eröffnet, über einen sogenannten verifizierten Nutzer-Account ganz offiziell und transparent beispielsweise zum eigenen Firmen-Eintrag in der Online-Enzyklopädie beizutragen.
Weitere Informationen zum Projekt „bezahltes Schreiben“ finden sich unter dem folgenden Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Umgang_mit_bezahltem_Schreiben.
Begleitend haben Wikipedia-Autoren auch Leitfäden erarbeitet, die bezahlte Beiträge von PR-Agenturen oder von institutionell angebundenen PR-Experten reglementieren.
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