emphatische Standortbezogenheit, die Affirmation von Differenz und der dekonstruktivistische Blick, der explizite Traditionen und implizite Selbstverständlichkeiten als von Interessen gesteuert durchleuchtet, enthalten ein sozialrevolutionäres Potenzial, das auch für identitätspolitische Zwecke nutzbar gemacht werden kann. (Ebd.)
Dieser Stil ist einerseits zweifellos unangemessenUnangemessenheit, denn die Professorin hat die Textverarbeitungskapazität ihres Publikums missachtet. Andererseits ist wissenschaftlicher Stil typischerweise theoretisch-abstrakt, und in dieser Hinsicht (StimmigkeitStimmigkeit zwischen FormulierungFormulierung und Redeinhalt) ist ihr Stil durchaus angemessen. Er signalisiert, dass ein intellektueller ErtragErtragintellektueller erzielt werden soll. Die Formulierungsleistung ist also insgesamt als zwiespältig zu beurteilen (und nicht pauschal zu verurteilen).
Höchst problematisch ist auch das Stilgebot, auf den NominalstilNominalstil als „Krone der Hässlichkeit“ (S. 21) zu verzichten. Als Beispiel wird ein Text aufgeführt, der im Jahre 2012 an Abfallkörben auf Autobahnparkplätzen in Deutschland zu lesen war: „Nur Reiseabfälle. Zuwiderhandlungen werden als unerlaubte Sondernutzung zur Anzeige gebracht.“ (Ebd.) Wolf Schneider nimmt erstens Anstoß am FunktionsverbgefügeFunktionsverbgefüge zur Anzeige bringen, das er durch das einfache Verb anzeigen ersetzt haben möchte, und zweitens am „Bürokratenjargon“ generell. Man könne – so der Stilkritiker – den zweiten Satz des Textes in ein „drastisch besseres Deutsch“ bringen, indem man ihn so formuliert: „Sonst kriegen Sie Ärger!“ Doch sind Schneiders Umformulierungsvorschläge wirklich echte Formulierungsalternativen? Natürlich nicht! Denn würden sie in die Tat umgesetzt, ginge etwas Entscheidendes verloren: der amtliche NachdruckNachdruck, amtlicher, mit dem auf juristische Konsequenzen eines Zuwiderhandelns hingewiesen wird. Würde die Aufschrift an Abfallkörben wie vorgeschlagen umformuliert, trüge sie Merkmale des Alltagsstils: Die Verben anzeigen und kriegen sowie das Substantiv Ärger verweisen auf EinfachheitEinfachheit, das Verb kriegen außerdem auf Umgangssprachlichkeit bei der Wortverwendung. Dies aber wäre unangemessenUnangemessenheit und brächte den anvisierten sozialen ErtragErtragsozialer in Gefahr.
Die PassivformPassivform/-konstruktion, von Wolf Schneider als „hässlichste Form des Verbs“ (S. 17) gegeißelt, ist in grammatischer Hinsicht eine morphologische Alternative zur Aktivform, in stilistischer Hinsicht ein GestaltungsmittelGestaltungsmittel. Eine Form wie werden zur Anzeige gebracht erzeugt nicht nur UnpersönlichkeitUnpersönlichkeit, sie ermöglicht es darüber hinaus, den betreffenden Sachverhalt als allgemeingültig in den Vordergrund zu rücken. Passivformen haben deshalb auch in wissenschaftlichen Texten ihren angestammten Platz. Als formulierungskompetent erweisen sich die Produzenten längerer Texte jedoch nur dann, wenn sie Ersatzformen des Passivs kennen und verwenden, um Monotonie im Stil zu vermeiden.
Wir können uns nicht mit jeder der 20 stilkundlichen Lektionen auseinandersetzen. Ein gewisser Nutzen ist textkommunikativ unspezifizierten Stilregeln nicht abzusprechen. Sie sind dabei behilflich, eigene Formulierungsleistungen auf den Prüfstand zu stellen, sie dahingehend zu prüfen, ob jedes Wort nötig, treffend und am richtigen Platz ist. Fragwürdig werden solche Stilregeln, wenn Formulierungsleistungen ohne Rücksicht auf ein konkretes textkommunikatives Umfeld als Fehlleistung bewertet und mit Auszügen aus poetischenPoetizität/poetisch Texten konfrontiert werden, die als Beispiele für stilistisch vorbildhaftes Formulieren dienen. Dies ist auch insofern ein fragwürdiges Verfahren, als sich genügend Gegenbelege ausfindig machen ließen, d.h. poetische Textpassagen, die als Verstöße gegen Regeln eines guten Stils zu bewerten wären, da sie „garstige Nominalkonstruktionen“ (S. 8), „ausgeleierte Redensarten“ (S. 15) oder „vermaledeite vorangestellte Attribute“ (S. 22) enthalten. Doch es gibt auch Formulierungsberatung der besseren Art – praktische Stillehren, die zielgruppen- und praxisorientiert verfasst sind. Verwiesen sei auf das Buch von Karl-Heinz List (2007), das sich an Führungskräfte in Unternehmen wendet und mit Mustertexten zu unternehmensrelevanten TextsortenTextsorte aufwartet, auch mit Texten zur Firmen-SelbstpräsentationSelbstpräsentation im Internet.
1.2.2 VisualisierungskompetenzVisualisierungskompetenz
Ob mündliche oder schriftliche Texte – Stil muss nicht ausschließlich eine Formulierungsleistung sein. Bei mündlichen Texten können ProsodieProsodie/prosodisch, Mimik und GestikGestik, Geräusche und Musik als sprachbegleitende, -ergänzende oder -ersetzende Zeichen gestaltungsrelevant werden. Bei schriftlichen Texten kommen gegebenenfalls graphische und typographischTypographie/typographische GestaltungsmittelGestaltungsmittel, Farben und Bilder hinzu. Mündliche und schriftliche Texte gibt es auch in Kombination. Beispiele sind Werbespots, Vorträge mit Handouts und/oder (digitaler) Folienpräsentation sowie Nachrichtensendungen im Fernsehen.
Der Begriff VisualisierungVisualisierung erfasst in stilistischer Hinsicht v.a. die VeranschaulichungVeranschaulichen von Informationseinheiten des Textes mit Hilfe von Abbildungen (Fotos), Nachbildungen (Zeichnungen) oder Bildern anderen Typs. ‚VisualisierungskompetenzVisualisierungskompetenz‘ schließt Kenntnisse über Visualisierungsmittel (als Gestaltungsressourcen) ein und die Fähigkeit, verfügbare Visualisierungsmittel in einen Sinn- und Gestaltungszusammenhang mit sprachlichen Zeichen zu bringen.
Visualisierungen sind auf verschiedene Arten textkommunikativer Erträge beziehbar. In der wissenschaftlichen Kommunikation (Erzielen intellektueller ErträgeErtragintellektueller) treten sie erkenntniserleichternd in Erscheinung. VisualisiertVisualisierung werden Kernelemente von Theorien und Experimenten. Als rezeptionsbeschleunigende GestaltungsmittelGestaltungsmittel im Dienste lebenspraktischer ErträgeErtragpraktischer kommen z.B. Piktogramme auf Wetterkarten zum Einsatz: meteorologische Symbole für ‚sonnig‘, ‚regnerisch‘, ‚heiter bis wolkig‘ u.a. Ein Beispiel für die Visualisierung von Gefühlen (Erzielen emotionalEmotionalität/Emotionalisieren-psychischer ErträgeErtragemotional-psychischer) sind Bilder mit religiöser Symbolik in Traueranzeigen: Schwalben stehen sinnbildlich für ‚Auferstehung‘, Rosen für ‚das Blut Christi‘. Die schwarze Umrandung einer Traueranzeige ist ein graphisches Mittel der Trauerbekundung. In der Werbekommunikation (Erzielen persuasiver ErträgeErtragpersuasiver) finden wir Produktabbildungen, aber auch Bilder, die (vermeintliche) Produkteigenschaften veranschaulichen, z.B. die ‚Heimat einer Biersorte‘. Häufig verwendete Bildmotive hierzu sind Dünenlandschaften, bayrische Biergärten oder berühmte Bauwerke wie die Semperoper in Dresden. Werbekommunikative Texte zielen häufig zusätzlich auf formbezogene ErträgeErtragformbezogener. Realisiert werden GestaltungsideenGestaltungsidee, die sich zwischen Sprache und Bild entfalten. Als Beispiel eine Anzeige der „Deutschen Landgestüte“. Die Wiege der Pferdezucht lautet die Werbeschlagzeile, und sie ist mit einem außergewöhnlichen Foto (einer Fotomontage) bebildert. Gezeigt wird ein Fohlen, das in einer buntbemalten, aus Holz gefertigten Wiege liegt. Was ist daran stilistisch-formbezogen bemerkenswert? In der Schlagzeile hat das Substantiv Wiege die lexikalisierte metaphorische BedeutungSemantik ‚Ort, an dem etw. seinen Anfang nimmt‘; das Bild hingegen visualisiert die wörtliche Bedeutung ‚schwingbares Bettchen für einen Säugling‘ und wandelt sie zugleich ab. Die Stelle eines Säuglings nimmt im Bild ein Fohlen ein. Sprache und Bild treten stilistisch-formbezogen in eine phantasieanregende Beziehung zueinander. Gestaltungsideen dieser Art sind auch als textkommunikative Wort-Bild-SpieleWort-Bild-Spiel interpretierbar, und damit ist eine Überleitung zum nächsten Teilabschnitt hergestellt.
1.2.3 Sprach- und TextspielkompetenzTextspielkompetenz
Die Begriffe SprachspielSprachspiel und TextspielTextspiel erfassen kreative Experimente mit sprachlichen bzw. textuellen Einheiten. Die darauf bezogenen KompetenzenSprachspielkompetenz schließen Kenntnisse über Sprachstrukturen und TextmusterTextmuster ebenso ein wie die Fähigkeit, kreativ mit diesen Strukturen und Mustern umzugehen. Textrezipientenseitig ist es die Fähigkeit, sprach- bzw. textspielerisch realisierte GestaltungsideenGestaltungsidee zu erkennen. Im Einzelnen lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende „Spiel-Arten“ unterscheiden:
WortspieleWortspiel: Darunter fallen textkommunikative Spiele
mit ähnlich lautenden Wörtern, z.B. mit den Substantiven