des Glücks und des Vertrauens schenken, Momente, wo man sich aufgehoben und geborgen weiß, wo man zu lächeln wagt. – „Wo ist dein Lächeln geblieben?“ Diese Frage einer demenzkranken Frau während eines pandemiebedingten Lockdowns hat ihre Pflegerin dermaßen erschüttert, dass diese darauf in Tränen ausgebrochen ist. Der Mund-Nasen-Schutz verdeckte das vertraute Gesicht der Bezugsperson, verdeckte die Lebensfreude. Die Corona-Pandemie führte im privaten wie im öffentlichen Bereich zu einem schmerzlichen Verlust von Unmittelbarkeit. Die Sehnsucht nach Begegnung und Berührung war dabei nicht mehr nur den Einsamen vorbehalten, sie war für alle Menschen eindrücklich präsent. Viele Beziehungen konnten in ihren sinnlichen Dimensionen nicht mehr gepflegt werden, und sei es nur der Stammtisch oder die Kaffeerunde.
Wir erleben die (Wieder-)Entdeckung einer sonst im öffentlichen Diskurs häufig vernachlässigten Dimension. Nicht zuletzt die Pandemie öffnete neuen Raum für das Thema Zärtlichkeit. Zärtlichkeit ist eine Form der Zuneigung, der etwas Sanftes und Zerbrechliches anhaftet. In Zeiten einer verstärkt wahrgenommenen Vulnerabilität ist sie die Antwort auf die Sehnsucht nach Berührung. Papst Franziskus hat zur Verankerung der Kategorie der Zärtlichkeit innerhalb der Kirche richtungsweisende Pflöcke eingeschlagen. Er steht damit in einer Reihe von Ansätzen, die der Dominanz der Vernunft und ihrer Spielarten, die unser Denken und Handeln vielfach nach wie vor prägt, entgegentreten.
Niedere Sinnlichkeit?
Geschmäcker sind verschieden. De gustibus non est disputandum. – Über Geschmäcker lässt sich nicht diskutieren und streiten. Vonseiten der Philosophie und der Ästhetik gibt es eine weitgehend negative Einschätzung des Geschmacksinnes. Diese Marginalisierung des Geschmacks in der philosophischen und ästhetischen Tradition war im Wesentlichen dessen Flüchtigkeit und der Verhaftung ins Materielle geschuldet. Riechen und Schmecken wurden von Platon und Aristoteles als „niedrig“ eingestuft.2 Auch Immanuel Kant und Friedrich Hegel teilten diese Ansicht und waren der Meinung, der Geruchssinn sei untauglich für kognitive Erkenntnisse und ästhetische Urteile. Kant verhandelt Geruch und Geschmack als Genusssinne und grenzt diese von den Sinnen der Wahrnehmung ab. Über den Geschmack urteilt er nicht ganz so negativ wie über den Geruch. So schreibt er über seinen „ihm eigentümlichen Vorzug (…), dass dieser die Geselligkeit im Genießen befördert, was der vorige nicht tut.“3 Entscheidend ist für Kant, dass Sinne und Sinnlichkeit für die Begründung der Sittlichkeit keine konstitutive Bedeutung haben. Er fragt zunächst in der Kritik der praktischen Vernunft nach den Bedingungen der Möglichkeit von Sollensaussagen. Nicht die Religion, nicht empirische Praxis oder die Sinnlichkeit können diese Frage beantworten, sondern nur die reine Vernunft. Der Mensch ist ein intelligibles Wesen, d.h. er ist in der Lage, in der Vernunft unabhängig von sinnlichen, auch triebhaften, Einflüssen zu denken und zu entscheiden. Kants Schrift Über Pädagogik4 zielt darauf ab, ganz im Sinne des Aufklärungsideals, Menschen zur geistigen Beweglichkeit zu führen. Es geht um eine Disziplinierung, eine Kultivierung (gegen die Verrohung), eine Zivilisierung (Vermittlung von „Weltklugheit“ als Klugheit im Umgang mit Menschen) und eine Moralisierung im Prozess der Erziehung und Bildung.
Kant hatte Religion auf Moral reduziert. Er begnügte sich mit der Hoffnung, zu der unbegreiflichen und niemals gewissen „Revolution der Gesinnung“ durch „eigene Kraftanwendung“ zu gelangen.5 Freiheit und Liebe nur zum Postulat des Sollens zu erheben, ist aber „selber Bestandstück der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.“6
Der beschädigte Eros
Die Entfremdung von der konkreten Sinnlichkeit und Individualität ist Folge einer egalitär-solidarischen Rekonstruktion kommunikativen Handelns.7 Diese geht von der Symmetrie, von einer fiktiven Gleichheit aller aus8. Die konkrete Wirklichkeit von Leid, Angst, Unterdrückung und Tod wird dabei aber ausgeklammert. Im Blick ist nur der imaginär gleiche Andere, nicht aber ein konkretes, antlitzhaftes Du. „Aus der unterschiedslosen Güte gegen alles droht denn auch stets Kälte und Fremdheit gegen jedes.“9 Eine bestimmte Form der Gleichheit ist so wieder nur Ausdruck eines herrschenden Bewusstseins, auch wenn sie unter dem Vorzeichen von Demokratie und Emanzipation läuft. Für Adorno ist die Unfähigkeit zu unterscheiden ein Zeichen von sexueller Rohheit und Barbarei: Diese Unfähigkeit lebt auch in spekulativen Systemen, wenn Autonomie in der Metaphysik ihr Recht verficht, „alles Begegnende auf sein Wesen so umstandslos zu reduzieren wie Landsknechte die Frauen der eroberten Stadt. Die reine Tathandlung ist die auf den gestirnten Himmel über uns projizierte Schändung.“10 Wenn das bürgerliche Bewusstsein bloß die Verdoppelung, die Wiederholung, die identische Gleichung im Anderen seiner selbst sucht und das Andere als Anderes ablehnt, so ist von einer Ideologie der Gleichheit zu sprechen, weil es sich erstens um falsches, bloß in der Fiktion, nicht aber in geschichtlicher Konkretion vorhandenes Bewusstsein handelt und zweitens ein partikulares Sonderinteresse universalisiert wird. Das Diktat der Gleichheit hebt somit Begegnung, Freiheit und Geschichte auf. Ein Bewusstsein, das bloß Verdoppelung, Gleichung und Bestätigung duldet, mündet in der Inhumanität11. Der Drang nach Bestätigung in vollkommener Symmetrie entspringt dem Todestrieb: „Ihre Sucht nach Gleichheit ist im Grunde nur der aktivistische Schein einer regressiven Todessucht, die den Anderen vergehen lässt. Der Eros der Begierde ist bloßes Epiphänomen des herrschenden Todestriebes (Thanatos).“12
Macht ohne Empathie?
Die Rede von der „Macht“, von den „Mächtigen“ und von der Ohnmacht hat meist keinen guten Klang und ist oft kritisch und abschätzig besetzt. Das hängt mit massiven Erfahrungen des Missbrauchs von Macht zusammen. Formen dieser Übermacht sind Zwang und Gewalt, wenn die Starken die Schwächeren drücken und erdrücken, ohne irgendwelche Beziehungen zu Recht und Güte. Mächtigkeit in der Form der Gewalt, der Vergewaltigung und des Unrechts wird zur Erstarrung, zum Kalten, zum Schneidenden. Eine andere Form der Übermacht heißt, wie Alfred Delp in seinen Predigten ausführt, Feindseligkeit: Leben wäre dabei nicht auf Geschenk und auf Güte und Versöhnung, sondern auf Kampf eingestellt.13 Macht ist suspekt, Macht korrumpiert. Aber: Die Kritik an der Macht allein ist noch nicht rational. Nicht gesehen wird bei diesem fundamentalen Verdacht der Macht gegenüber, dass es auch eine „Machtausübung der Machtlosen“ gibt. Diese ist nach Arnold Gehlen sogar hochgefährlich14. Wer bekommt durch Ächtung oder Kriminalisierung von Macht und Gewalt denn de facto die Macht zugespielt? Der Verzicht auf Macht kann ein Mittel sein, eine andere durchzusetzen.
Ohne menschliche Nähe und Freundschaft, ohne Berührung verkommen die Menschen emotional: In Folge wendet „der Mensch sein Interesse ab vom Leben, von den Menschen, von der Natur und den Ideen – kurz, von allem, was lebendig ist; er verwandelt alles Leben in Dinge, einschließlich seiner selbst und der Manifestationen seiner menschlichen Fähigkeiten der Vernunft, des Sehens, des Hörens, des Fühlens und Liebens. (…) Der ganze Mensch wird zum Bestandteil der totalen Maschinerie, welche er kontrolliert und die gleichzeitig ihn kontrolliert. Die Welt ist zu einer Welt des ‚Nichtlebendigen‘ geworden; Menschen sind zu ‚Nichtmenschen‘ geworden – eine Welt des Toten.“15 Diese Entfremdung des Menschen von seiner ureigenen Lebendigkeit wird in totalitären Systemen massiv zugespitzt.
Ideologie und Terror
Hannah Arendt spricht im Essay „Ideologie und Terror“ als Spezifikum totaler Herrschaft „die nahtlose Verfugung von Terror und Ideologie“ an, sodass es keinen Raum mehr für Freiheit, Individualität und Empathie geben kann.16 1961 stand Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht, eines der „Ungeheuer“, die für die massenhafte Tötung der Juden verantwortlich waren. Das vermeintliche Ungeheuer stellte sich während des Prozesses als pflichtbewusster Bürokrat dar, der nur die Befehle eines Höheren ausgeführt hatte. Das veranlasste Hannah Arendt, ihrem Prozessbericht den Titel zu geben: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Das Wort von der Banalität des Bösen sollte die Durchschnittlichkeit des Täters bezeichnen; es legte nahe zu sagen: Die große Masse war nicht besser