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Weiterwohnlichkeit der Welt


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des modernen Zionisten an der „Nacht der Galut“ durch. Mit „einem seltsamen Gefühl“ las Jonas „jene düsteren Verkündigungen eines in der Geschichte einzig dastehenden Strafaktes der beleidigten Gottheit gegen ihr abtrünniges Volk – der Entwurzelung aus der Heimaterde unter die Völker. Erkennen wir doch in diesen prophetischen Drohungen zutiefst die beispiellose Tragik unseres eigenen Völkerdaseins wieder, damals erschaut in visionärer Zukunftsschau und gefordert von dem Glauben an die in der Geschichte sich auswirkende sittliche Weltordnung, heute seit mehr als zwei Jahrtausenden Wirklichkeit und dauernde Gegenwart.“9 Zwar betonte Jonas, wie sehr das kollektive Gedächtnis des jüdischen Volkes davon bestimmt sei, daß das Wohnen im gelobten Land ein Geschenk des Ewigen und keine historische Selbstverständlichkeit sei. Er wandte sich aber zugleich eindeutig gegen die seit dem neunzehnten Jahrhundert typische jüdischliberale Verabschiedung der religiösen Hoffnung auf eine Rückkehr nach Zion und stellte der „moderne[n] liberal-jüdische[n] Missionsidee“, derzufolge gerade das Exil dem Judentum die Möglichkeit einer universal wirksamen Verbreitung des prophetischen „ethischen Monotheismus“ eröffnet habe, die Überzeugung der Propheten von der zukünftigen Wiederherstellung des jüdischen Volkes entgegen: „So sehr sie [die Juden] sich auch mit ihrem Gott identifizierten, so war doch die Vorstellung, daß ihr Volk auf ewig als Zerrbild der Nationen zwischen Leben und Sterben hangen sollte, für sie schlechthin unerträglich.“10 Ausdrücklich spielte er nicht nur auf die von Zionisten nicht selten aufgenommene Ahasver-Metaphorik an, um das Exil im Gegensatz zur liberalen Interpretation als Ort uneigentlicher, „ungesunder“ jüdischer Existenz zu beschreiben, sondern setzte die prophetischen Visionen vom Ende des Exils auch in Beziehung zu Theodor Herzls Programm der Schaffung eines „Judenstaates“ und postulierte damit die Notwendigkeit, in der gegenwärtigen Situation der Steigerung des europäischen Antisemitismus die Verwirklichung der religiösen Zionshoffnung in die eigenen Hände zu nehmen.11

      Nachdem Jonas sein Studium für kurze Zeit unterbrochen hatte, um im Rahmen der Hachschara-Organisation, die jungen Zionisten eine landwirtschaftliche Ausbildung zur Vorbereitung auf die Einwanderung nach Palästina vermittelte, in Wolfenbüttel in einem bäuerlichen Betrieb zu arbeiten, entfaltete sich sein weiterer intellektueller Werdegang scheinbar unabhängig von seinen zionistischen Ambitionen in der fruchtbaren Atmosphäre der Marburger Universität. Hier begegnete er Hannah Arendt und einem Kreis jüdischer Studierender, der ihm intellektuell anregend, aber politisch auf Grund der dort herrschenden apolitischen Begeisterung für Heideggers Philosophie und der Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Krisen der Weimarer Republik äußerst zwiespältig erschien. Dabei interessierte sich Jonas selbst auch nicht für die politische Gestaltung der deutschen Gesellschaft, sondern konzentrierte sich angesichts des Ende der zwanziger Jahre stetig wachsenden Antisemitismus darauf, „daß die jüdische Galut-Existenz – menschlich, psychologisch und politisch – auf die Dauer unhaltbar war und mit Hilfe der zionistischen Lösung überwunden werden mußte.“12 1933 gehörte Jonas folgerichtig zu jenen, die unmittelbar nach Hitlers „Machtergreifung“ das Ende des deutschen Judentums gekommen sahen und daraus die Konsequenz der Emigration zogen. Später hat er diese Überzeugung und die Neigung der deutschen Zionisten, bereits die ersten Entrechtungsmaßnahmen als unwiderrufliche Aufhebung der Integration zu deuten, in einem heftigen Streit mit Hannah Arendt verteidigt.13 Als 1934 Jonas’ von Martin Heidegger und Rudolf Bultmann inspiriertes frühes Meisterwerk Gnosis und spätantiker Geist erschien, hatte er Nazi-Deutschland unter dem Eindruck des antijüdischen Boykotts vom 1. April 1933 längst verlassen, da er zu der Auffassung gelangt war, er könne in einem Land, in dem Juden ihrer Bürgerund Menschenrechte beraubt würden, nicht bleiben, ohne seine Würde zu verlieren. Nachdem er zunächst nach London gezogen war, gelangte er 1935 nach Jerusalem, wo er in die Welt der deutsch-jüdischen Emigranten und der Hebräischen Universität eintauchte. Die Gefühle, die ihn bei seinem Fortgang aus Deutschland erfüllten und seine Entscheidungen in den kommenden Jahren bestimmen sollten, sind in einer Passage seiner Erinnerungen eindrucksvoll beschrieben:

      „An den Tag, als ich Deutschland verließ, erinnere ich mich genau. Es war ein wunderschöner Spätsommertag Ende August, und meine Eltern und ich gingen in unserem Garten auf und ab […]. Bis dahin war keine Träne über alle Geschehnisse vergossen worden, auch nicht über den Beschluß der Auswanderung, aber als es dann soweit war und die letzte halbe Stunde, die letzten zehn Minuten anbrachen, da fingen wir schrecklich an zu weinen. Und ich tat einen heimlichen Schwur, ein Gelöbnis: Nie wiederzukehren, es sei denn als Soldat einer erobernden Armee. Ich habe bereits erwähnt, daß meiner Phantasie ein gewisser militaristischer Zug zu eigen ist, und ich meinte, Juden könnten, gerade weil sie als Weichlinge, Feiglinge und Schwächlinge galten, Ehrenbeleidigungen überhaupt nur mit Blut abwaschen. Und hier – ganz abgesehen von der Bedrohung unserer ökonomischen Existenz, die der Judenboykott ja klar signalisierte, und von der drohenden Ghettoisierung, auf die die Ereignisse hindeuteten – erfaßte mich das Grundgefühl, daß man meine Ehre beleidigt hatte, daß man durch die Absprechung unserer Bürgerrechte und die anderen rechtlichen Schikanen, die wir Juden nun mehr und mehr von Staats wegen erfuhren, unsere Ehre als Menschen verletzte. Ich hatte instinktiv das Gefühl, das könne nur mit der Waffe in der Hand wieder ausgeglichen werden.“14

      Ob Jonas’ jugendliche „dreams of glory“, die entschlossene Emigration 1933 oder das Bewußtsein eines zwangsläufig bevorstehenden Krieges – stets stand dahinter ein empfindsames Bewußtsein der Würde, die er sich als Jude auf keinen Fall nehmen lassen wollte. Diese von Stolz auf sein Judesein und von tiefer Verletzung durch den Antisemitismus bestimmte Haltung und die Begegnung mit den zionistischen Pionieren in Palästina, deren Leistungen man, wie er rückschauend schrieb, „dieser ganzen schmachvollen Judenverleumdung, an die man vom europäischen Antisemitismus gewöhnt war und die ihren Höhepunkt in der Untermenschentheorie der Nazis fand, getrost entgegenstellen konnte“,15 sollten mehr als ein Jahrzehnt seines Lebens existentiell prägen. Aus dem Privatgelehrten, der sich darauf eingestellt hatte, in Deutschland seine religionsgeschichtlichen Studien zur Gnosis fortzusetzen, wurde ein homo politicus, der weit über das bei vielen anderen Zionisten erkennbare persönliche Engagement hinaus für die Sache Palästinas und für die Rettung der Juden Europas aus der Hand der Nazis eintrat und dafür seine akademischen Ambitionen aufs Spiel setzte, und ein Philosoph, der in Auseinandersetzung mit Krieg, Tod und Vernichtung ganz neu über das Leben nachzudenken begann. Wie sehr Jonas bereits vor dem Zweiten Weltkrieg vom Ende des deutschen Judentums überzeugt war und wie sehr ihn die Verfolgungen in Nazi-Deutschland erschütterten, zeigt ein Radiovortrag, den er 1938 in Jerusalem im Gedenken an seinen soeben verstorbenen Lehrer Edmund Husserl hielt. Er begann mit folgenden charakteristischen Worten:

      „Anfang Mai starb Edmund Husserl, einer der Großen der Philosophie unserer Zeit. Er starb in Freiburg, an dessen Universität er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1929 als Haupt einer philosophischen Schule gelehrt und geforscht hat, zu dem die Schüler strömten und von der ein tiefreichender Einfluß auf das philosophische Leben Deutschlands ausging. Er hat eine Generation im Denken erzogen, er hat den Ruhm gekannt und starb vereinsamt in einer verwandelten Umwelt, die ihm nicht einmal mehr Nachrufe widmet. Gegenüber diesem Schweigen im Lande seines Wirkens ist es eine Ehrenpflicht für uns, seiner hier zu gedenken. Er selbst, der das Judentum in jungen Jahren verlassen hatte, ein deutscher Professor war, sich ganz und gar als Diener der europäischen Wissenschaft, als Sachwalter des abendländischen Kulturerbes fühlte, hätte gewiß nie daran gedacht, daß in Jerusalem getan würde, was in Freiburg unterlassen wird. Die Tatsache, daß heute ein Schüler, der vor Jahren zu seinen Füßen gesessen hat, vom Jerusalemer Sender in hebräischer Sprache zu seinem Gedenken sprechen darf, ist für sich selbst ein Symbol für unsere Zeit.“16

      Das Leiden an der Verfemung, Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden, die Jonas in der öffentlichen Ächtung Husserls exemplarisch in ihrer ganzen Härte zum Ausdruck kommen sah, verschärfte sich noch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, die für ihn ganz im Zeichen des Kampfes gegen den Nationalsozialismus standen. Unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf Polen meldete sich der Philosoph freiwillig für den Dienst in der britischen Armee, um gegen die Nazis zu kämpfen. Am 7. September 1939 schrieb er an die Leitung der britischen Streitkräfte in Palästina: „In view of the fact that the British Empire is now engaged in a war against Nazi Germany