Xiaolong Zhou

Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes


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sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf das mindeste Erkenntniß Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen.“16 Diese Passage steht in vollkommenem Einklang mit dem allgemeinen Geist der kritischen Philosophie, d.h. die unmittelbare Bestimmung des Dinges an sich überschreitet die Grenzen der Erfahrung und ist daher unzulässig. Dies ist jedoch nur die Hälfte der Geschichte, die andere Hälfte lautet wie folgt:

      „Es würde aber andererseits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen, oder unsere Erfahrung für die einzig mögliche Erkenntnißart der Dinge, mithin unsre Anschauung in Raum und Zeit für die allein mögliche Anschauung, unsern discursiven Verstand aber für das Urbild von jedem möglichen Verstande ausgeben wollten, mithin Principien der Möglichkeit der Erfahrung für allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.

      Unsere Principien, welche den Gebrauch der Vernunft blos auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst transscendent werden und die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon Humes Dialogen zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte.“17

      Kant kritisiert hier grundlegend jene Philosophen, die an den Grenzen der Erfahrung festhalten und „die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben“. Er kritisiert diejenigen, die nicht über die Ideen sprechen und sogar dogmatisch die Existenz der Gegenstände der Ideen leugnen. Kant kritisiert hier David Hume. Ich bin jedoch der Meinung, dass auch Hans Vaihingers Konzept zur Zielscheibe dieser Kritik werden würde. Kurz gesagt, es ist völlig falsch, die Existenz Gottes direkt zu leugnen. Dies ist mit Kants Philosophie ganz unvereinbar.

      2.2.3 Die Unterscheidung des dogmatischen und symbolischen Anthropomorphismus

      Im Folgenden soll die Antwort auf die Frage (b) gegeben werden: Ist es ein vulgärer Anthropomorphismus, wenn man Gott als die höchste Intelligenz definiert? Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass Kants Philosophie den Anthropomorphismus nicht ablehnt. Kant behauptet in Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft der KrV: „Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthropomorphism (ohne welchen sich gar nichts von ihm denken lassen würde), nämlich als ein Wesen, das Verstand, Wohlgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben gemäße Begierde und Willen hat etc., zu denken, sondern demselben unendliche Vollkommenheit beizulegen, die also diejenige weit übersteigt, dazu wir durch empirische Kenntniß der Weltordnung berechtigt sein können.“1 Es muss geklärt werden, welche Art von Anthropomorphismus von Kant zugelassen wird.

      In den Prolegomena verdeutlicht Kant seine Position durch seine Kritik an Hume. Hume entwirft den Dialog zwischen Cleanthes, Philo und Demea in Dialogues. Cleanthes unterstützt den teleologischen Beweis der Existenz Gottes (d.h. den physikotheologischen Beweis bei Kant), der als ein Beweis a posteriori gilt. Demea unterstützt den kosmologischen Beweis und den philosophischen Deismus, er plädiert nämlich für den apriorischen Beweis der Existenz Gottes. Philo kritisiert, dass der teleologische Beweis von Cleanthes nur ein Anthropomorphismus sei, und er wirft auch dem apriorischen Beweis von Demea vor, dass der Gott des Deismus tatsächlich keine Auswirkungen auf die Welt hat; damit bezweifelt er letztendlich die Fähigkeit der Menschen, Gott überhaupt zu erkennen.2 Philo vertritt Humes eigenen Standpunkt.3 In den Prolegomena untersucht Kant eingehend die Kritik Humes am Deismus und Anthropomorphismus. Nach Kants Auffassung muss der Deismus den Anthropomorphismus zu Hilfe rufen:

      „Hume hält sich immer daran: daß durch den bloßen Begriff eines Urwesens, dem wir keine andere als ontologische Prädicate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können; es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern: wie seine Causalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen.“4

      Hier bezieht sich Kant auf Humes Kritik am Deismus, dass nämlich der vom Deismus erkannte Gott nur ontologische Prädikate besitze und nur als eine Ursache der Welt bezeichnet werde. Allerdings ist dies nicht genug, die Beziehung zwischen Gott und Welt in concreto zu bestimmen. Angesichts dieser Schwierigkeit ist es zwingend, dass sich der Deismus notwendig zum Theismus verhält, indem er die empirischen Prädikate wie Verstand und Willen in sich aufnimmt. Allerdings wird diese Aufnahme der empirischen Prädikate unvermeidlich einen Anthropomorphismus verursachen. Kant weist weiter darauf hin: „Seine gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, von dem er dafür hält, er sei von dem Theism unabtrennlich und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts als ein Deism übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann.“5 Hume zufolge gibt es ein Dilemma für die menschliche Vernunft: man muss entweder den Deismus akzeptieren, der aber „zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen“ kann, oder zum Theismus tendieren, der jedoch mit dem Anthropomorphismus unzertrennlich verbunden ist.

      Kant akzeptiert Humes Ansicht, dass der reine Deismus nicht als Grundlage der Religion und Moral dienen kann. In Abschnitt 1.1 wurde folgende Passage aus der Vorlesung über Rationaltheologie zitiert: „Davon können wir nun aber unmöglich schon begnügen lassen; denn so würde uns ein solcher Gott nichts helfen; er wäre zwar ein Ding, das aber ganz isoliert für sich ist, und in keinem Verhältniße mit uns stehet. Zwar muß dieser Begriff von Gott den Anfang aller unserer Erkenntniß von Gott ausmachen, aber allein für sich genommen, ist er unbrauchbar, und, ohne daß wir mehr von Gott erkennen könnten, ganz für uns entbehrlich. Soll uns dieser Begriff Nutzen schaffen; so müssen wir sehen, ob nicht jene ontologischen Prädikate aus Beispiel in concreto angewandt werden können. Und das thut der Theist, indem er sich Gott als die oberste Intelligenz denkt. Wenn wir nun Gott auch Prädikate in concreto beilegen wollen; so müssen wir die Materialien zum Begriff von Gott aus empirischen Principien und Kenntnissen nehmen.“6 Kant sagt hier klar, dass ein solcher Gott, nämlich das ens realissimum, uns nichts helfe und isoliert sei; damit sei er unbrauchbar. Um diese Idee zu nutzen, denkt der Theist Gott als die höchste oder oberste Intelligenz und nimmt die Prädikate (Verstand und Wille) aus der Erfahrung hinzu. Die Haltung, die Kant in dieser Passage einnimmt, ist der von Hume ähnlich.7

      Jetzt muss der Deismus die Prädikate Gottes der Erfahrung entnehmen und damit notwendigerweise zum Theismus und letztendlich zum Anthropomorphismus führen. Zur Frage, ob der Übergang vom Deismus zum Theismus und Anthropomorphismus gänzlich irrational und unerlaubt ist, sind Kant und Hume unterschiedlicher Meinung: Hume lehnt diesen Übergang nachdrücklich ab; im Gegensatz dazu kritisiert Kant Humes Ablehnung. Kant ist der Auffassung, dass es nicht gerechtfertigt ist, den Anthropomorphismus restlos abzulehnen:

      „Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urtheil blos auf das Verhältniß einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntniß liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sind. Denn alsdann eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus; wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der That nur die Sprache und nicht das Object selbst angeht.“8

      Diese Passage bringt viele der oben diskutierten Themen zum Ausdruck: wir beschränken unsere Erkenntnis auf das Verhältnis Gottes zur Welt, damit diese sich Erkenntnis nicht auf Gott an sich bezieht. Offenkundig greift diese Passage die Analogie auf, und dadurch macht Kant deutlich, wie man durch die Analogie Gott denken kann: „wir sind genöthigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei.“9 Daher bezieht sich diese Passage darauf, wie man Gott als die höchste Intelligenz behandelt. Kant sagt hier, dass wir uns an die Grenzen der Erfahrung halten können, wenn wir Gott nicht an sich selbst bestimmen, sondern ihm die höchste Intelligenz in Bezug auf das Verhältnis zwischen Gott und der Welt zuschreiben. Dadurch