was ich sage. Denn dies ist des Richters Tüchtigkeit, des Redners aber die Wahrheit zu reden.
Zuerst nun, ihr Athener, muß ich mich wohl verteidigen gegen das, dessen ich zuerst fälschlich angeklagt bin und gegen meine ersten Ankläger, und hernach gegen der späteren späteres. Denn viele Ankläger habe ich längst bei euch gehabt und schon vor vielen Jahren, und die nichts wahres sagten, welche ich mehr fürchte als den Anytos, obgleich auch der furchtbar ist. Allein jene sind furchtbarer, ihr Männer, welche viele von euch schon als Kinder an sich gelockt und überredet, mich aber beschuldiget haben ohne Grund, als gäbe es einen Sokrates, einen weisen Mann, der den Dingen am Himmel nachgrüble und auch das unterirdische alles erforscht habe, und unrecht zu recht mache. Diese, ihr Athener, welche solche Gerüchte verbreitet haben, sind meine furchtbaren Ankläger. Denn die Hörer meinen gar leicht, wer solche Dinge untersuche, glaube auch nicht einmal Götter. Ferner sind auch dieser Ankläger viele, und viele Zeit hindurch haben sie mich verklagt, und in dem Alter zu euch geredet wo ihr wohl sehr leicht glauben mußtet, weil ihr Kinder wart, einige von euch wohl auch Knaben, und offenbar an leerer Stätte klagten sie, wo sich keiner verteidigte. Das übelste aber ist, daß man nicht einmal ihre Namen wissen und angeben kann, außer etwa wenn ein Komödienschreiber darunter ist. Die übrigen aber, welche euch gehässig und verläumderisch aufgeredet, und auch die selbst nur überredet Andre Überredenden, in Absicht dieser aller bin ich ganz ratlos. Denn weder hieher zur Stelle bringen noch ausfragen kann ich irgend einen von ihnen: sondern muß ordentlich wie mit Schatten kämpfen in meiner Verteidigung und ausfragen, ohne daß einer antwortet. Nehmet also auch ihr an, wie ich sage, daß ich zweierlei Ankläger gehabt habe, die Einen die mich eben erst verklagt haben, die Andern die von ehedem die ich meine; und glaubet, daß ich mich gegen diese zuerst verteidigen muß. Denn auch ihr habt jenen als sie klagten zuerst Gehör gegeben, und weit mehr als diesen späteren.
(19) Wohl! Verteidigen muß ich mich also, ihr Athener, und den Versuch machen, eine angeschuldigte Meinung, die ihr seit langer Zeit hegt, euch in so sehr kurzer Zeit zu benehmen. Ich wünschte nur zwar wohl, daß dieses so erfolgte, wenn es so besser ist für euch sowohl als für mich, und daß ich etwas gewönne durch meine Verteidigung. Ich glaube aber dieses ist schwer, und keinesweges entgeht mir, wie es damit steht. Doch dieses gehe nun, wie es Gotte genehm ist, mir gebührt dem Gesetz zu gehorchen und mich zu verteidigen.
Rufen wir uns also zurück von Anfang her, was für eine Anschuldigung es doch ist, aus welcher mein übler Ruf entstanden ist, worauf auch Melitos bauend diese Klage gegen mich eingegeben hat. Wohl! Mit was für Reden also verläumdeten mich meine Verläumder? Als wären sie ordentliche Kläger, so muß ich ihre beschworene Klage ablesen: »Sokrates frevelt und treibt Torheit indem er unterirdische und himmlische Dinge untersucht und Unrecht zu Recht macht, und dies auch Andere lehrt.« Solcherlei ist sie etwa: denn solcherlei habt ihr selbst gesehen in des Aristophanes Komödie, wo ein Sokrates vorgestellt wird, der sich rühmt in der Luft zu gehn, und viel andere Albernheiten vorbringt, wovon ich weder viel noch wenig verstehe. Und nicht sage ich dies um eine solche Wissenschaft zu schmähen, dafern jemand in diesen Dingen weise ist, – möchte ich mich doch nicht solcher Anklagen vom Melitos zu erwehren haben! – sondern nur ihr Athener weil ich eben an diesen Dingen keinen Teil habe. Und zu Zeugen rufe ich einen großen Teil von euch selbst, und fodere euch auf, einander zu berichten und zu erzählen, so viele eurer jemals mich reden gehört haben. Deren aber gibt es viele unter euch. So erzählt euch nun, ob jemals einer unter euch mich viel oder wenig über dergleichen Dinge hat reden gehört. Und hieraus könnt ihr ersehen, daß es eben so auch mit allem übrigen steht, was die Leute von mir sagen. Aber es ist eben weder hieran etwas, noch auch wenn ihr etwa von einem gehört habt, ich gäbe mich dafür aus Menschen zu erziehen und verdiente Geld damit; auch das ist nicht wahr. Denn auch das scheint mir meines Teils wohl etwas schönes zu sein, wenn Jemand im Stande wäre Menschen zu erziehen wie Gorgias der Leontiner und Prodikos der Keier und auch Hippias von Elis. Denn diese alle, ihr Männer, verstehen das, in allen Städten umherziehend die Jünglinge, die dort unter ihren Mitbürgern zu wem sie wollten sich unentgeltlich (20) halten könnten, diese überreden sie mit Hintansetzung jenes Umganges sich Geld bezahlend zu ihnen zu halten und ihnen noch Dank dazu zu wissen. Ja es gibt auch hier noch einen andern Mann, einen Parier, von dessen Aufenthalt ich erfuhr. Ich traf nämlich auf einen Mann der den Sophisten mehr Geld gezahlt hat als alle übrigen zusammen, Kallias den Sohn des Hipponikos. Diesen fragte ich also, denn er hat zwei Söhne: Wenn deine Söhne, Kallias, sprach ich, Füllen oder Kälber wären, wüßten wir wohl einen Aufseher für sie zu finden oder zu dingen, der sie gut und tüchtig machen würde in der ihnen angemessenen Tugend, es würde nämlich ein Bereuter sein oder ein Landmann: nun sie aber Menschen sind, was für einen Aufseher bist du gesonnen ihnen zu geben? wer ist wohl in dieser menschlichen und bürgerlichen Tugend ein Sachverständiger? denn ich glaube doch du hast darüber nachgedacht, da du Söhne hast. Gibt es einen, sprach ich, oder nicht? O freilich, sagte er. Wer doch, sprach ich, und von wannen? und um welchen Preis lehrt er? Euenos der Parier, antwortete er, für fünf Minen. Da pries ich den Euenos glücklich, wenn er wirklich diese Kunst besäße und so vortrefflich lehrte. Ich also würde gewiß mich recht damit rühmen und groß tun, wenn ich dies verstände: aber ich verstehe es eben nicht, ihr Athener. Vielleicht nun möchte jemand von euch einwenden: Aber Sokrates, was ist denn also dein Geschäft? woher sind diese Verläumdungen dir entstanden? Denn gewiß, wenn du nichts besonders betriebest vor Andern, es würde nicht solcher Ruf und Gerede entstanden sein, wenn du nicht ganz etwas anders tätest als andere Leute. So sage uns doch was es ist, damit wir uns nicht auf Geratewohl unsere eignen Gedanken machen über dich. Dies dünkt mich mit Recht zu sagen wer es sagt, und ich will versuchen euch zu zeigen, was dasjenige ist, was mir den Namen und den übeln Ruf gemacht hat. Höret also, und vielleicht wird manchen von euch bedünken ich scherzte: glaubet indes sicher, daß ich die reine Wahrheit rede. Ich habe nämlich, ihr Athener, durch nichts anders als durch eine gewisse Weisheit diesen Namen erlangt. Durch was für eine Weisheit aber? Die eben vielleicht die menschliche Weisheit ist. Denn ich mag in der Tat wohl in dieser weise sein; jene aber deren ich eben erwähnt sind vielleicht weise in einer Weisheit, die nicht dem Menschen angemessen ist; oder ich weiß nicht was ich sagen soll, denn ich verstehe sie nicht, sondern wer das sagt, der lügt es und sagt es mir zur Verläumdung. Und ich bitte euch, ihr Athener, erregt mir kein Getümmel, selbst wenn ich euch etwas vorlaut zu reden dünken sollte. Denn nicht meine Rede ist es, die ich vorbringe: sondern auf einen ganz glaubwürdigen Urheber will ich sie euch zurückführen. Über meine Weisheit nämlich, ob sie wohl eine ist und was für eine, will ich euch zum Zeugen stellen den Gott in Delphoi. Den Chairephon kennt ihr doch. Dieser war mein Freund von Jugend auf, und auch euer des Volkes Freund war es, und ist bei (21) dieser letzten Flucht mit geflohen, und mit euch auch zurückgekehrt. Und ihr wißt doch, wie Chairephon war, wie heftig in allem, was er auch beginnen mochte. So auch als er einst nach Delphoi gegangen war, erkühnte er sich hierüber ein Orakel zu begehren; nur, wie ich sage, kein Getümmel ihr Männer. Er fragte also, ob wohl Jemand weiser wäre als ich. Da läugnete nun die Pythia, daß Jemand weiser wäre. Und hierüber kann euch dieser sein Bruder hier Zeugnis ablegen, da jener bereits verstorben ist. Bedenket nun, weshalb ich dieses sage; ich will euch nämlich erklären, woher doch die Verläumdung gegen mich entstanden ist. Denn nachdem ich dieses gehört, gedachte ich bei mir also: Was meint doch wohl der Gott? und was will er etwa andeuten? Denn das bin ich mir doch bewußt, daß ich weder viel noch wenig weise bin. Was meint er also mit der Behauptung ich sei der weiseste? Denn lügen wird er doch wohl nicht; das ist ihm ja nicht verstattet. Und lange Zeit konnte ich nicht begreifen was er meinte; endlich wendete ich mich gar ungern zur Untersuchung der Sache auf folgende Art. Ich ging zu einem von den für weise gehaltenen, um dort, wenn irgendwo, das Orakel zu überführen und dem Spruch zu zeigen: Dieser ist doch wohl weiser als ich, du aber hast auf mich ausgesagt. Indem ich nun diesen beschaute, denn ihn mit Namen zu nennen ist nicht nötig, es war aber einer von den Staatsmännern, auf welchen schauend es mir folgendergestalt erging, ihr Athener. Im Gespräch mit ihm schien mir dieser Mann zwar vielen andern Menschen auch am meisten aber sich selbst sehr weise vorzukommen, es zu sein aber gar nicht. Darauf nun versuchte ich ihm zu zeigen, er glaubte zwar weise zu sein, wäre es aber nicht; wodurch ich dann ihm selbst verhaßt ward und vielen der Anwesenden. Indem ich also fortging, gedachte ich bei mir selbst, als dieser Mann bin ich nun freilich weiser. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas tüchtiges oder sonderliches wissen; allein