Die aber welche, ob man Krieg führen oder sich freundschaftlich auseinandersetzen solle, im Stande ist kundigerweise zu entscheiden, sollen wir diese für eine andere als jene setzen oder für dieselbe mit ihr?
Der jüngere Sokrates: Dem vorigen zufolge notwendig für eine andere.
Fremder: Also werden wir auch annehmen müssen, daß (305) letztere über die erstere herrscht, wenn wir es dem vorigen gemäß bestimmen wollen.
Der jüngere Sokrates: Das denke ich.
Fremder: Welche nun sollen wir wohl wagen einer so gewaltigen und großen Kunst als die gesamte Kriegskunst ist zur Herrin zu setzen, ausgenommen jene wahrhaft königliche?
Der jüngere Sokrates: Keine andere.
Fremder: Also nicht als die Staatswissenschaft dürfen wir, da sie ja nur eine dienende ist, die Wissenschaft des Feldherren setzen?
Der jüngere Sokrates: Nicht füglich.
Fremder: Wohl, laß uns nun auch die Wirksamkeit der Richter, welche gehörig richten, betrachten.
Der jüngere Sokrates: Das wollen wir.
Fremder: Vermag sie nun wohl etwas mehr, als daß sie in Bezug auf allerlei Verkehr alles gesetzliche was von dem gesetzgebenden Könige festgestellt ist zusammenfassend ihr Urteil fällt mit Hinsicht darauf was als Recht festgestellt ist und was als Unrecht, ihre eigentümliche Tugend darin beweisend, daß sie niemals durch Geschenke oder Furcht oder Mitleid oder irgend andere Feindschaft oder Freundschaft bewogen, irgend gegen des Gesetzgebers Anordnung die gegenseitigen Beschuldigungen schlichten will.
Der jüngere Sokrates: Nichts anderes; sondern wie du es erklärt hast, so weit geht eigentlich das Gebiet ihrer Wirksamkeit.
Fremder: Also auch von der Stärke der Richter finden wir daß sie nicht die königliche ist, sondern eine Wächterin der Gesetze und eine Dienerin von jener.
Der jüngere Sokrates: So scheint es ja.
Fremder: Und soviel ist zu sehen, wenn man alle die bisher beschriebenen Künste betrachtet, daß keine von ihnen sich irgend als Staatskunst gezeigt hat. Denn die wahrhaft königliche soll nicht selbst etwas verrichten, sondern nur über die, welchen Verrichtungen obliegen soll sie herrschen, als Anfang und Antrieb zu allem wichtigsten im Staat nach Zeit und Unzeit erkennend, die Andern aber sollen was ihnen aufgetragen ist verrichten.
Der jüngere Sokrates: Richtig.
Fremder: Deshalb auch herrschen auch die jetzt durchgenommenen weder über einander noch jede über sich selbst, sondern mit einem eigenen Geschäft hat es jede von ihnen zu tun, und führt daher auch ihren besonderen Namen von der Eigentümlichkeit dieses Geschäftes.
Der jüngere Sokrates: So scheint es wenigstens.
Fremder: Aber die über alle diese herrschende, die Gesetze und alles andere im Staate besorgende und alles auf das richtigste zusammenwebende, diese könnten wir doch wenn wir ihr Geschäft mit ihrem Namen umfassen wollten mit dem größten Rechte, wie mich dünkt, die Staatskunst nennen?
Der jüngere Sokrates: Allerdings.
Fremder: So könnten wir sie jetzt wohl auch nach dem Muster der Webekunst durchgehn, nun uns auch alle Gattungen die im Staate vorkommen können bekannt geworden sind?
Der jüngere Sokrates: Gar sehr gern.
Fremder: Also die königliche Zusammenflechtung scheint es müssen wir erklären wie sie beschaffen ist, auf welche Weise sie in einander flicht, und was für ein Gewebe sie uns dadurch liefert.
Der jüngere Sokrates: Offenbar.
(306) Fremder: Ein gar schwer darzulegendes Geschäft ist uns also nun notwendig geworden, wie es scheint.
Der jüngere Sokrates: Auf alle Weise doch muß es erklärt werden.
Fremder: Daß nämlich ein Teil der Tugend mit einer andern Art derselben gewissermaßen im Streit sein könne, werden die in Reden Streitbaren gar leicht angreifen können mit Bezug auf die geltenden Meinungen.
Der jüngere Sokrates: Das verstehe ich nicht.
Fremder: Vielleicht so. Die Tapferkeit denke ich doch hältst du dafür daß sie ein Teil der Tugend sei?
Der jüngere Sokrates: Freilich.
Fremder: Und die Besonnenheit für verschieden zwar von der Tapferkeit; aber auch sie für einen Teil derselbigen wie jene?
Der jüngere Sokrates: Ja.
Fremder: Über diese beiden nun muß ich einen wunderbaren Satz aufzustellen wagen.
Der jüngere Sokrates: Was für einen?
Fremder: Daß die beiden auf gewisse Weise gar sehr mit einander in Feindschaft und Zwietracht stehn in gar vielen Dingen.
Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?
Fremder: Keinesweges freilich eine gewöhnliche Meinung. Denn man sagt ja daß alle Teile der Tugend unter einander freund sind.
Der jüngere Sokrates: Ja.
Fremder: Laß uns also, aber recht wohl aufmerkend, zusehn, ob dies so ganz allgemein gilt, oder ob es nicht auf alle Weise etwas darunter gibt was mit dem Verwandten im Streit liegt.
Der jüngere Sokrates: Ja, sagtest du nur wie wir es untersuchen sollen.
Fremder: In allen Dingen müssen wir wohl alles das aufsuchen was wir schön nennen, es aber in zwei entgegengesetzte Arten aufstellen.
Der jüngere Sokrates: Erkläre dich noch deutlicher.
Fremder: Schnelligkeit und Schärfe, sowohl körperlich als in der Seele und in den Bewegungen der Stimme, und sowohl in diesen selbst als in den Bildern davon und allem was die Tonkunst nachahmend und die Malerkunst in Abbildern darstellt, hievon hast du wohl selbst schon etwas gelobt oder es Andere loben gehört.
Der jüngere Sokrates: Wie sollte ich nicht?
Fremder: Erinnerst du dich auch wohl auf welche Weise sie dies bei allen dergleichen Dingen tun?
Der jüngere Sokrates: Nein.
Fremder: Wenn ich nun nur im Stande wäre, so wie ich es denke es dir auch deutlich zu machen durch die Rede.
Der jüngere Sokrates: Wie solltest du das nicht?
Fremder: Du scheinst so etwas für leicht zu halten. Laß es uns also an den einander fast entgegengesetzten Gattungen betrachten. In gar vielen Handlungen nämlich und gar oft wenn wir uns der Schnelligkeit, Kräftigkeit und Beweglichkeit des Gedankens oder des Leibes oder auch der Stimme erfreuen, benennen wir dies alles lobend mit einem und demselben Namen, nämlich der Tapferkeit.
Der jüngere Sokrates: Wie so?
Fremder: Das ist kräftig und tapfer, pflegen wir ja zu sagen, und schnell und mannhaft und derb eben so, und so oft wir die erwähnte Benennung gemeinsam allen diesen Naturen beilegen, loben wir sie damit.
Der jüngere Sokrates: Ja.
Fremder: Wie aber die ruhige Art des Werdens, loben wir die nicht ebenfalls in vielen Handlungen?
(307)