nach unten dreht, und keine Zeit lang bei etwas bleibt. – Vollkommen richtig, sprach ich, redest du. – Und, o Phaidon, wäre das nun nicht ein Jammer, wenn es doch wirklich wahre und sichere Reden gäbe, und die man auch einsehen könnte, wenn einer, weil er auf solche Reden stößt, die ihm bald wahr zu sein scheinen bald wieder nicht, sich selbst nicht die Schuld geben wollte und seiner Kunstlosigkeit, sondern am Ende aus Mißmut die Schuld gern von sich selbst auf die Reden hinwälzte, und dann sein übriges Leben in Haß und Schmähungen gegen alle Reden hinbrächte, und so der Wahrheit und Erkenntnis der Dinge verlustig ginge? – Beim Zeus, sagte ich, ein großer Jammer. – So laß uns denn, sprach er, zuerst dafür uns hüten, und dem in unserer Seele keinen Eingang verstatten, als ob an allen Reden am Ende wohl gar nichts tüchtiges wäre; sondern vielmehr, daß wir nur noch nicht recht tüchtig sind, aber tapfer sein und trachten müssen tüchtig zu werden, du und die übrigen des ganzen künftigen Lebens wegen, ich aber eben (91) des Todes wegen. So daß ich vielleicht gar jetzt nicht sonderlich philosophisch mich in dieser Sache verhalte, sondern wie die ganz ungebildeten rechthaberisch. Denn auch diese, wenn sie über etwas streiten, kümmern sich nicht darum, wie sich das wohl eigentlich verhält wovon die Rede ist, sondern nur daß den Anwesenden das annehmlich erscheine, was sie selbst festgestellt haben, danach trachten sie. Und ich scheine gegenwärtig nur soviel mich von ihnen zu unterscheiden, daß ich nicht danach trachten will, daß den Anwesenden das was ich behaupte wahr erscheine, außer beiläufig, sondern daß es mir selbst nur recht gewiß sich so zu verhalten scheine. Ich berechne nämlich, lieber Freund, und siehe nur wie eigennützig, wenn das wahr ist, was ich behaupte, ist es doch vortrefflich, davon überzeugt zu sein; wenn es aber für die Toten nichts mehr gibt, werde ich doch wenigstens diese Zeit noch vor dem Tode den Anwesenden weniger unangenehm sein durch Klagen; dieser mein Irrtum aber dauert nicht mit aus, denn das wäre ein Übel, sondern wird in kurzem untergehn. So gerüstet also, sprach er, o Simmias und Kebes, mache ich mich an die Rede. Ihr aber, wenn ihr mir folgen wollt, kümmert euch wenig um den Sokrates, sondern weit mehr um die Wahrheit; und wenn ich euch dünke etwas richtiges zu sagen, so stimmt mir bei, wenn aber nicht, so widerstrebt mir auf alle Weise, damit ich nicht im Eifer mich und euch zugleich betrügend, euch wie eine Biene den Stachel zurücklassend davon gehe.
Wohlan denn, fuhr er fort, erinnert mich zuerst was ihr sagtet, wenn ihr vielleicht findet, daß ich es nicht recht behalten habe. Simmias, denke ich, ist ungewiß, und fürchtet, die Seele möchte, obwohl etwas göttlicheres und schöneres als der Leib, doch vor ihm untergehen, indem sie ihrer Natur nach eine Stimmung sei. Kebes aber schien dieses zwar mir zuzugeben, daß die Seele ja dauerhafter sei als der Leib, aber das könne doch niemand wissen, ob nicht die Seele, wenn sie nun viele Leiber oft verbraucht hat, den letzten Leib doch zurückläßt und nun selbst umkommt, und dieses dann eben der Tod ist, der Untergang der Seele, denn der Leib geht ja doch immer unter ohne Aufhören. Ist es dieses, o Simmias und Kebes, was wir jetzt zu betrachten haben? Sie gaben beide zu, dieses sei es. – Und die vorigen Reden, sprach er, nehmt ihr die alle nicht an, oder einige zwar, andere aber nicht? – Einige sprachen sie, andere aber nicht. – Was sagt ihr also von jener Rede, sprach er, in welcher wir behaupteten, alles Lernen sei Erinnerung, und wenn sich dies so verhalte, müsse notwendig unsere Seele anderswo vorher sein, ehe sie an den Leib gebunden (92) worden? – Ich meines Teils, sprach Kebes, war damals wunderbar überzeugt davon, und bleibe auch jetzt dabei wie bei nichts anderem. – Und mir, sagte Simmias, geht es eben so, und es sollte mich wundern, wenn ich jemals hierüber anders dächte. – Aber du mußt doch anders denken, o thebischer Freund, sprach Sokrates, wenn nämlich jene Meinung bestehen soll, daß eine Stimmung ein zusammengesetztes Ding ist, und daß die Seele als eine Stimmung aus dem was in dem Leibe unter sich gespannt ist bestehe. Denn du wirst doch nicht sagen wollen, die Stimmung sei eher vorhanden als dasjenige da ist, woraus sie hervorgehen muß, oder willst du das? – Keinesweges, o Sokrates, sagte er. – Merkst du nun aber wohl, sagte er, daß dir dieses herauskommt, wenn du sagst, die Seele sei eher als sie in menschliche Gestalt und Leib komme, sie sei aber zusammengesetzt aus dem, was dann noch nicht ist? Die Stimmung wenigstens ist nicht so, der du sie vergleichst; sondern die Leier und die Saiten und die Töne sind vorher ungestimmt da, und zuletzt von allen entsteht die Stimmung, und geht zuerst wieder unter. Wie kann dir nun diese Rede mit jener zusammenstimmen? – Gar nicht, sprach Simmias. – Und doch, sprach er, sollte ja wohl wenn irgend eine Rede die von der Stimmung gut zusammenstimmen. – Das sollte sie wohl, sagte Simmias. – Diese aber, sagte er, stimmt dir doch nicht; also sieh zu, welche von beiden du wählen willst, die daß das Lernen Erinnerung ist, oder die daß die Seele Stimmung ist. – Viel lieber jene, o Sokrates, sagte er. Denn diese letztere ist mir ohne allen Beweis gekommen nur aus einer gewissen Wahrscheinlichkeit und Angemessenheit, woher auch die meisten Menschen zu ihren Meinungen kommen; ich weiß aber, daß die Reden, die sich nur durch einen solchen Schein bewähren, leere Prahler sind, und wenn man sich nicht wohl mit ihnen vorsieht, einen gar leicht betrügen, in der Meßkunst und in allem andern. Jene Rede aber von dem Lernen und der Erinnerung beruht auf einem annehmungswürdigen Grunde; denn es war gesagt worden, daß unsere Seele auch ehe sie in den Leib komme eben so sei, wie jenes Wesen ihr eignet, welches den Beinamen führt dessen was ist. Und dieses habe ich, wie ich mich selbst überzeuge, ganz mit Recht und mit gutem Grunde angenommen. Daher ist nun notwendig, wie ich sehe, daß ich es weder mir noch einem andern gelten lasse, welcher sagt, die Seele sei eine Stimmung. – Und was sprach er, o Simmias, sagst du hiezu? scheint dir wohl der Stimmung oder irgend einer andern Zusammensetzung zuzukommen, daß sie sich anders verhalten könne, wie jenes, woraus sie besteht? – Keinesweges. – Auch (93) nicht irgend etwas anderes tun, wie ich denke, oder leiden außer dem, was jenes tut und leidet? – Er stimmte ein. – Also kommt auch wohl der Stimmung nicht zu, das anzuführen, woraus sie zusammengesetzt ist, sondern zu folgen? – Das dünkte ihn auch so. – Weit gefehlt also, daß die Stimmung entgegengesetzt sich bewegen oder klingen oder sonst wie entgegengesetzt sein könnte ihren Teilen. – Weit gefehlt, sagte er. – Und wie, ist nicht ihrer Natur nach jede Stimmung grade so Stimmung wie sie gestimmt ist? – Das verstehe ich nicht, sagte er. – Nicht, sagte er, wenn sie besser gestimmt ist oder in höherem Grade, falls dieses geschehen kann, wird sie dann nicht auch mehr Stimmung sein und in höherem Grade? wenn aber in geringerem und weniger, dann auch nicht so sehr und weniger? – Freilich. – Findet nun das wohl auch bei der Seele statt, daß eine Seele auch nur im allergeringsten mehr und in höherem Grade oder weniger und in geringerem als die andere eben dieses, Seele, sein kann? – Nicht im mindesten, sagte er. – Wohlan denn, beim Zeus, sprach er, von der einen Seele sagt man doch, daß sie Vernunft hat und Tugend und gut ist, von der andern aber, daß sie Unvernunft und Verderben hat und schlecht ist, und das sagt man doch mit Recht? – Mit Recht freilich. – Die nun sagen, daß die Seele eine Stimmung ist, was werden die wohl sagen, daß dieses sei in den Seelen, die Tugend und das Laster? etwa wiederum eine andere Stimmung und Verstimmtheit? so daß die eine gestimmt ist, die gute, und in ihr selbst, die doch Stimmung ist, eine andere Stimmung hat, die andere aber wiederum ungestimmt ist, und keine andere in sich hat? – Ich weiß es nicht zu sagen, sprach Simmias; offenbar aber müßte so etwas sagen, wer jenes voraussetzt. – Darüber aber sind wir ja vorher einig geworden, daß keine Seele mehr oder weniger Seele ist als die andere, und dies ist doch eben so viel, als daß keine Stimmung mehr oder weniger Stimmung ist als die andere; nicht wahr? – Freilich. – Die aber weder mehr noch weniger Stimmung ist, ist auch weder mehr noch weniger gestimmt. Ist es so? – So ist es. – Die aber weder mehr noch weniger gestimmte, hat die wohl größeren oder geringeren Anteil an dem Wesen der Stimmung oder gleichen? – Gleichen. – Also auch die Seele, wenn die eine eben dieses, Seele, weder mehr noch weniger ist als die andere, ist sie also auch weder mehr noch weniger gestimmt? – So ist es. – Und steht es so, so hat auch die eine weder mehr noch weniger Anteil an Verstimmtheit oder Stimmung? – Freilich nicht. – Und steht es wiederum so: könnte dann wohl die eine mehr oder weniger als die andere Anteil haben an Tugend und Laster, wenn doch das Laster Verstimmtheit ist und die Tugend Stimmung? – Nicht mehr. – Oder vielmehr, o Simmias, wenn wir es recht genau nehmen, wird keine Seele irgend Anteil am Laster haben, wenn sie (94) Stimmung ist. Denn da die Stimmung immer vollkommen eben dieses ist, Stimmung: so kann sie an der Verstimmtheit gar niemals Anteil haben. – Freilich nicht. – Dann also auch nicht die Seele, da sie vollkommen Seele ist, am Laster. – Wie ginge das wohl nach dem gesagten? – Nach dieser Rede also werden uns alle Seelen aller Lebendigen gleich gut sein, wenn sie doch