Sinclair Lewis

Sinclair Lewis: Die großen Romane


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drohte mit dem Finger. »Nein, nein, Sie sind zu bescheiden. Ich bin überzeugt, wir können alle sehen, daß Sie einfach blendenden Sinn für Humor haben. Übrigens, Doktor Kennicott würde nicht eine Dame heiraten, die keinen hat. Wir alle wissen, wie gern er Spaß macht!«

      »Sicher. Bin ein alter Spaßvogel. Komm, Carrie; gehen wir«, sagte Kennicott.

      Raymie beschwor: »Und wofür interessieren Sie sich am meisten unter den Künsten, Frau Kennicott?«

      »Oh –« Da sie merkte, daß der Reisende »Zahnheilkunst« murmelte, sagte sie verzweifelt aufs Geratewohl: »Architektur«.

      »Das ist eine wirklich hübsche Kunst. Ich hab' immer gesagt – wie Haydock und Simons die neue Front vom Bon Ton-Gebäude fertig gemacht haben, ist der Alte zu mir gekommen, wissen Sie, Harrys Vater, ich sag' immer D. H. zu ihm, und er hat mich gefragt, wie mir's gefällt, und da hab' ich gesagt: ›Passen Sie auf, D. H.‹, hab' ich gesagt – wissen Sie, er wollte die Front ohne Verzierung lassen, und da hab' ich gesagt: ›Es ist ja alles recht gut, wenn man moderne Beleuchtung und viel Platz im Schaufenster hat,‹ hab' ich gesagt, ›aber wenn Sie das schon machen, dann müssen Sie auch ein bißchen Architektur haben‹, das hab' ich gesagt, und er hat gelacht und hat gesagt, daß ich vielleicht recht hab', und dann hat er ein Gesims machen lassen.«

      »Blech!« bemerkte der Reisende.

      Raymie zeigte die Zähne wie eine kriegerische Maus. »Na, und wenn's Blech ist? Es ist doch nicht meine Schuld. Ich hab' D. H. gesagt, er soll's aus geschliffenem Granit machen lassen. Sie gehen mir auf die Nerven!«

      »Gehen wir! Komm, Carrie, gehen wir!« rief Kennicott.

      Raymie begleitete sie ins Vorzimmer und gab Carola heimlich zu verstehen, sie dürfe sich nichts aus der Ungehobeltheit des Reisenden machen – er gehöre zur misera plebs.

      Kennicott kicherte: »Na, Kind, was meinst du? Ist dir ein künstlerischer Mensch wie Raymie lieber als so langweilige Burschen wie Sam Clark und ich?«

      »Lieber! Gehen wir nach Haus, spielen wir Pinochle, lachen wir, seien wir albern, kriechen wir ins Bett und schlafen wir, ohne zu träumen. Es ist schön, ganz einfach solide Bürgerin zu sein!«

      3

      Aus Gopher Prairis Wochenschrift »Der Unverzagte«:

      »Eines der entzückendsten Ereignisse der Saison fand Dienstag abend in dem hübschen neuen Haus von Sam und Frau Clark statt, als viele unserer hervorragendstes Bürger zusammenkamen, um die liebliche junge Frau unseres beliebten Ortsarztes Dr. Kennicott willkommen zu heißen. Alle Anwesenden sprachen von den vielfältigen Reizen der jungen Frau, vormals Fräulein Carola Milford in St. Paul. Spiele und heitere Veranstaltungen, fröhliches Geplauder und Konversation waren an der Tagesordnung. Zu vorgerückter Stunde wurden angenehme Erfrischungen gereicht, und die Gesellschaft trennte sich, nachdem man des öfteren seinem Vergnügen über die vergnügte Veranstaltung Ausdruck verliehen hatte. Unter anderen bemerkte man die Damen Kennicott, Elder …«

      ###

      »Dr. Will Kennicott, seit etlichen Jahren einer unserer beliebtesten und geschicktesten Chirurgen, bereitete der Stadt eine köstliche Überraschung, als er von einer ausgedehnten Hochzeitsreise in Colorado diese Woche mit seiner entzückenden jungen Frau, dem geborenen Fräulein Carola Milford aus St. Paul, deren Familie eine gesellschaftlich hervorragende Stellung in Minneapolis und Mankato einnimmt, zurückkehrte. Frau Kennicott ist eine Dame mit vielfachen Reizen, nicht nur von bezaubernder äußerer Erscheinung, sondern sie ist auch hervorragende Absolventin einer Schule im Osten und hat im vergangenen Jahr an prominenter Stelle einen wichtigen Vertrauensposten an der städtischen Bibliothek St. Pauls bekleidet, in welcher Stadt Dr. ›Will‹ das Glück hatte, sie kennenzulernen. Die Stadt Gopher Prairie heißt sie in ihrer Mitte willkommen und prophezeit ihr viele glückliche Jahre in der betriebsamen Stadt der Zwillingsseen und der Zukunft. Herr und Frau Kennicott werden zunächst im Haus des Doktors in der Poplar Street Aufenthalt nehmen, das bisher seine entzückende Mutter geführt hat, welche nunmehr in ihr eigenes Haus am Lacqui-Meurt zurückgekehrt ist, eine Schar von Freunden zurücklassend, die ihre Abwesenheit schmerzlich empfinden und hoffen, sie bald wieder bei uns zu sehen.«

      4

      Carola wußte, wenn sie je etwas von den »Reformen« ins Werk setzen wollte, von denen sie geträumt hatte, müßte sie zunächst einen Ausgangspunkt haben. Was sie während der ersten drei oder vier Monate nach ihrer Heirat verwirrte, war nicht mangelnde Erkenntnis dafür, daß sie einen Entschluß fassen müsse, sondern einfach sorglose Freude an ihrem ersten eigenen Haus.

      Im Stolz auf ihr Hausfrauentum liebte sie jede Einzelheit – den Brokatlehnstuhl mit dem schwachen Rücken, ja sogar den Messinghahn am Heißwasser-Reservoir, sobald sie einmal durch ihre Versuche, ihn blitzblank zu putzen, mit ihm vertraut geworden war.

      Sie hatte ein Mädchen gefunden, die rundliche, strahlende Bea Sorenson aus Scandia Crossing. Bea war in ihrem Bemühen, gleichzeitig respektvoller Dienstbote und Busenfreundin zu sein, drollig. Sie lachten gemeinsam darüber, daß der Ofen nicht zog, und daß die Fische in der Pfanne so schlüpfrig waren.

      Wie ein Kind, das im Schleppkleid Großmama spielt, stolzierte Carola zu ihren Einkäufen in die Stadt, rief den Hausfrauen am Weg Grüße zu. Alles grüßte sie, auch Fremde, und ließ sie fühlen, daß man sie brauchte, daß sie hierher gehörte. In den Stadtgeschäften war sie lediglich eine Kundin gewesen – ein Hut, eine Stimme, eine Plage mehr für abgearbeitete Kommis. Hier war sie Frau Doktor Kennicott, man wußte, welches Obst ihr das liebste war, und wie man sich ihr gegenüber benehmen sollte, man dachte daran und fand es der Mühe wert, sich darüber zu beraten … auch wenn es nicht der Mühe wert war, sich danach zu richten.

      Das Einkaufen war eine Wonne lebhafter Beratungen. Gerade die Kaufleute, deren Schlafmützigkeit sie bei den zwei oder drei Gesellschaften, die zu ihrer Begrüßung gegeben worden waren, am langweiligsten gefunden hatte, waren die angenehmsten Vertrauten, wenn sie etwas hatten, worüber sie reden konnten – Zitronen oder Baumwoll-Voile oder Fußbodenöl. Mit dem Hanswurst Dave Dyer, dem Drogisten, führte sie einen langen lustigen Krieg. Sie behauptete, er übervorteile sie bei den Magazin- und Konfektpreisen; er behauptete, sie sei eine Detektivin aus den Zwillingsstädten. Er versteckte sich hinter dem Rezeptiertisch, und wenn sie mit dem Fuß aufstampfte, kam er hervor und winselte: »Wirklich, ich hab' heute keine Gaunerei begangen – vorläufig noch nicht.«

      Sie konnte sich nie auf ihren ersten Eindruck von der Hauptstraße besinnen; sie empfand nie wieder die gleiche Verzweiflung über diese Häßlichkeit. Nach zwei Einkaufstagen hatte alles andere Proportionen bekommen. Da sie das Minniemashie-Hotel nie betrat, hörte es auf für sie zu existieren. Clarks Eisenwarengeschäft, Dyers Drogerie, die Lebensmittelgeschäfte von Ole Jenson, Frederick Ludelmeyer und Howland & Gould, die Fleischereien, der Kramladen – alles das dehnte sich aus und verbarg alle anderen Gebäude. Wenn sie in Herrn Ludelmeyers Laden kam, und er ächzte: »Guten Morgen, Frau Kennicott. Na, das ist mal ein schöner Tag«, sah sie nicht, wie verstaubt die Regale, wie dumm das bedienende Mädchen war; und sie dachte nicht an die stumme Auseinandersetzung, die sie bei ihrem ersten Besuch in der Hauptstraße mit ihm hatte.

      Sie konnte nicht die Hälfte von dem bekommen, was sie zum Essen einkaufen wollte, doch das gab dem Ganzen einen etwas abenteuerlichen Anstrich. Wenn sie es durchsetzte, in Dahl & Olesons Fleischerei Kalbsmilch zu bekommen, war der Triumph so groß, daß sie vor Vergnügen trällerte und den starken klugen Fleischhauer Herrn Dahl bewunderte.

      Sie freute sich an der gemütlichen Behaglichkeit des Dorflebens. Sie hatte die alten Männer gern, Farmer, Bürgerkriegsveteranen, die sich bei ihren Plaudereien manchmal auf dem Bürgersteig auf die Fersen hockten wie rastende Indianer und bedächtig über den Bordstein spuckten.

      Sie entdeckte in den Kindern Schönheit.

      Früher hatte sie geargwöhnt, daß ihre verheirateten Freundinnen ihre Leidenschaft für Kinder übertrieben. Doch in ihrer Arbeit in der Bibliothek waren die Kinder Individuen für