Sinclair Lewis

Gesammelte Werke


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der Hotelhalle war sie verlegen. Sie war nicht an Hotels gewöhnt; voll Eifersucht dachte sie daran, wie oft Juanita Haydock von den berühmten Hotels in Chicago gesprochen hatte. Den Geschäftsreisenden, die sich wie Barone in großen Lederstühlen streckten, konnte sie nicht ins Gesicht blicken. Sie wollte, man solle glauben, daß ihr Mann und sie an Luxus und Eleganz gewöhnt seien; sie ärgerte sich ein wenig über die Vulgarität, mit der er, nachdem er »Dr. W. P. Kennicott und Frau« eingetragen hatte, dem Sekretär laut zurief: »Hab'n Sie 'n hübsches Zimmer mit Bad für uns, alter Junge?« Sie warf hochmütige Blicke um sich, als sie aber merkte, daß kein Mensch sich für sie interessierte, kam sie sich töricht vor und schämte sich ihrer Unruhe.

      Sie behauptete: »Diese dumme Halle ist zu überladen«, und bewunderte sie gleichzeitig: die Onyxsäulen mit den vergoldeten Kapitälen, die mit Kronen bestickten Vorhänge an der Tür zum Speisesaal, die mit Seide bespannte Nische, in der hübsche Mädchen unaufhörlich rätselhafte Männer erwarteten, die Zweipfundschachteln mit Konfekt und die vielen Magazine am Zeitungsstand. Es fiel ihr ein Herr auf, der wie ein europäischer Diplomat aussah. Eine Dame in einem Breitschwanzmantel, mit schwerem Spitzenschleier, Ohrringen und schwarzem Hut war in den Speisesaal gegangen. »Himmel! Das ist die erste wirklich elegante Frau, die ich seit einem Jahr sehe!« jubelte Carola. Sie kam sich großstädtisch vor.

      Als sie aber Kennicott zum Fahrstuhl folgte, wurde sie wieder schüchtern. Sobald sie in ihrem Zimmer waren, musterte sie Kennicott kritisch. Das erstemal seit Monaten sah sie ihn wirklich.

      Seine Kleider waren zu schwerfällig und provinziell. Sein schlichter grauer Anzug, von Nat Hicks in Gopher Prairie angefertigt, hätte ebensogut aus Eisenblech sein können; er hatte keinen besonderen Schnitt, keine leichte Anmut wie der des Diplomaten. Seine schwarzen Schuhe waren derb und schlecht geputzt. Seine Krawatte war langweilig braun. Unrasiert war er auch.

      Doch sie vergaß das alles, als sie die genialen Einrichtungen im Zimmer erblickte. Sie lief umher, drehte die Hähne an der Badewanne auf, aus denen das Wasser hervorschoß, nicht tröpfelte wie zu Hause, riß den neuen Waschlappen aus seinem Ölpapierkuvert, probierte die Lampe mit dem rosa Schirm über dem Doppelbett, zog die Schubladen des nierenförmigen Nußbaumschreibtisches heraus, um das Briefpapier zu untersuchen, nahm sich vor, allen Bekannten zu schreiben, bewunderte den bordeauxroten Samtlehnstuhl und den blauen Teppich, probierte den Eiswasserhahn und jubelte auf, als das Wasser wirklich kalt herauskam. Sie schlang die Arme um Kennicott und küßte ihn.

      »Gefällt's dir, mein Mädel?«

      »Es ist herrlich. Es ist so lustig. Ich hab' dich lieb, weil du mich hergebracht hast, du bist wirklich ein lieber Kerl!«

      4

      Sie waren in einem langen getünchten Saal, dessen Vorderteil von einem plumpen Vorhang abgeschlossen war. Auf den Klappstühlen saßen Leute, die frisch gewaschen und aufgebügelt aussahen: die Eltern der Schüler, Studentinnen, pflichtgetreue Lehrer.

      »Die Sache sieht mir ziemlich faul aus. Wenn das erste Stück nicht gut ist, wollen wir abhauen«, sagte Kennicott hoffnungsvoll.

      »Schön«, gähnte sie. Mit verschleierten Augen bemühte sie sich, das Personenverzeichnis zu lesen, das zwischen langweiligen Inseraten von Klavieren, Musikalienhändlern, Restaurants und Konfekt verborgen war.

      Das Stück von Schnitzler sah sie mit nicht sehr großem Interesse an. Die Schauspieler bewegten sich und sprachen steif. Gerade als der Zynismus des Einakters ihre im Dorf eingeschläferte Frivolität wieder zu wecken begann, war es aus.

      »Na, das hat mir nicht gerade sehr viel Eindruck gemacht. Wollen wir uns nicht drücken?« bat Kennicott.

      »Ach, probieren wir's noch mit dem nächsten, ›Wie er ihren Mann belog‹.«

      Der Witz Shaws amüsierte sie und verblüffte Kennicott.

      »Kommt mir lausig frech vor. Aber 's ist pikant. Ich glaub' nicht, daß ich viel von 'nem Stück halten kann, wo der Mann wirklich will, daß einer seiner Frau den Hof macht. Das hat noch nie 'n Mann getan. Wollen wir?«

      »Ich möchte noch gern diesen Yeats sehen, ›Land der Sehnsucht‹. Ich habe es im College so geliebt.« Sie war jetzt ganz wach und redete ihm zu. »Ich weiß, du hast dir nicht viel aus Yeats gemacht, wie ich dir laut aus ihm vorgelesen habe, aber du wirst selbst finden, daß du ihn auf der Bühne ganz einfach bewundern wirst.«

      Die meisten Darsteller waren schwerfällig wie Eichenstühle, die laufen sollten, das Bühnenbild war ein kunstvolles Arrangement aus Batikschals und schweren Tischen, doch Maire Bruin war schlank wie Carola, sie hatte noch größere Augen, ihre Stimme klang wie eine Glocke. In ihr lebte Carola, auf ihrer Stimme wurde sie von diesem verschlafenen Kleinstadtgatten und diesen höflichen Eltern in das stille Kämmerchen einer Strohhütte getragen, wo sie sich in grüner Dämmerung an einem Fenster, das von Lindenzweigen gestreichelt wurde, über eine alte Chronik beugte.

      »Na – Herrgott – 'n hübsches Ding, die das Mädel da gespielt hat – fesche Person«, sagte Kennicott. »Willst du dir noch das letzte ansehen? He?«

      Sie fuhr zusammen. Sie antwortete nicht.

      Wieder wurde der Vorhang zur Seite gezogen. Auf der Bühne sah man nichts als lange grüne Vorhänge und einen Lederstuhl. Zwei junge Männer in braunen Gewändern, die wie Möbelüberzüge aussahen, machten große Bewegungen und sprachen langsam rätselhafte Sätze voller Wiederholungen.

      Es war das erstemal, daß Carola Dunsany hörte. Sie hatte Verständnis für Kennicott, als dieser unruhig in seiner Tasche nach einer Zigarre suchte und sie unglücklich wieder zurücksteckte.

      Ohne zu begreifen, wann oder wie, ohne daß sich ein greifbarer Wechsel in dem einherstelzenden Singsang der Bühnenpuppen ereignete, wurde sie sich einer anderen Zeit und eines anderen Ortes bewußt.

      Stattlich und erhaben unter hochmütigen Zofen, eine Königin in Gewändern, die flüsternd über den Marmorboden fegten, schritt sie in der Säulenhalle eines zerfallenden Palastes einher. Im Hof trompeteten Elefanten, standen dunkelhäutige Männer mit rotgefärbten Bärten, die blutbefleckten Hände auf ihre Degenknäufe gestützt, und bewachten die Karawane aus El Sharnak, die Kamele mit Lasten topasbrauner und zinnoberroter Stoffe von Tyrus. Hinter den Wachtürmen der äußeren Mauer flammte und gellte die Dschungel, brannte die Sonne wild auf vertrocknete Orchideen. Ein Jüngling kam durch die stahlgebuckelten Tore hereingeschritten, durch die schwertzerhauenen Tore, die höher waren als zehn großgewachsene Männer. Er trug eine biegsame Rüstung, und unter dem Rand seiner gehämmerten Sturmhaube ringelten sich verliebte Locken. Seine Hand war ihr entgegengestreckt, noch bevor sie sie berührte, konnte sie die Wärme spüren –

      »Verflucht und zugenäht! Was soll denn das ganze Zeugs heißen, Carola?«

      Sie war keine syrische Königin. Sie war Frau Dr. Kennicott. Mit einem Ruck fiel sie in einen getünchten Saal und sah zwei verschüchterte Mädchen und einen jungen Mann in zerdrückten Trikots an.

      Während sie aus dem Saal gingen, polterte Kennicott freundlich:

      »Teufel, was sollte das letzte Stück denn eigentlich bedeuten? Das hatte doch weder Hand noch Fuß, soviel ich verstehen konnte. Wenn das das ernste Theater ist, dann ist mir immer noch 'n Cowboyfilm lieber! Gott sei Dank, das ist überstanden, und wir können schlafen gehen. Vielleicht können wir ein bißchen Zeit sparen, wenn wir drüben bei Nicollet einsteigen. Aber eins muß ich schon sagen: warm genug war's in der Bude. Die müssen 'ne große Heißluftheizung haben, denk' ich. Wieviel Kohlen die wohl für den ganzen Winter brauchen?«

      Im Wagen klopfte er ihr zärtlich auf das Knie, für eine Sekunde war er der im Panzer einherschreitende Jüngling; dann war er wieder Doktor Kennicott aus Gopher Prairie, und die Hauptstraße hatte sie wieder. Niemals, ihr ganzes Leben lang, würde sie Dschungel und Königsgräber zu sehen bekommen. Seltsame Dinge waren in der Welt, es gab sie wirklich; doch sie würde sie nie sehen.

      Sie würde sie auf der Bühne neu schaffen!

      Sie würde die Theatergesellschaft