Chris von Rohr

Götterfunken


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      Buchstaben ziehen mich seit jeher in ihren Bann. Ich halte diese Erfindung der Menschheit, mit Linien in verschiedenen Formen zu kommunizieren, für genial. Obschon wir lediglich 26 Lettern zur Verfügung haben, sind wir in der Lage, damit einen emotionellen Tsunami loszutreten und Stimmungen zu transportieren, die wir, objektiv gesehen, doch gar nicht in dieses Gewusel von Zeichen packen können. Und doch geht es – grosses Kino! Ein befreundeter Verleger nennt mich einen Stilisten – das gefällt mir. Ich probiere immer wieder, dem Inhalt eine gewisse Farbe und Rhythmus beizumischen. Musikalisch ausgedrückt: Den Sprachswing. Phasenweise gelingt es.

      Unsere ganz persönliche Art, wie wir aus den einzelnen Lauten Wörter formulieren und daraus Sätze komponieren, liefert auch ein Bild davon, wie es in unserer Seele aussieht. Obwohl ich das im Text gar nicht beschreibe. Das Schreiben und Lesen hat eine metaphysische Dimension. So kann mich nach der Lektüre eines Buches, eines Interviews oder der Kolumne eines anderes Schreibakrobaten gar das Gefühl heimsuchen, den Verfasser zu kennen, ich fühle mich ihm seelenverwandt und ginge am liebsten etwas mit ihm schlürfen … kennen Sie das?

      Kürzlich paarte sich das Buchstabenwunder in den Tiroler Bergen mit einem anderen sinnlichen Grossereignis im Leben des Menschen – dem Essen. Ich fand folgendes Angebot auf der Kinderkarte: Teller und Besteck zum Krachmachen – 0.00 Euro.

      Sprache kann uns – einerlei, ob in gesprochener oder geschriebener Weise – auf einen Schlag aufheitern, entzücken und beflügeln. Ebenso vermag sie uns binnen eines Atemzugs aus der Bahn zu werfen oder vibrieren zu lassen. Jeder von uns erinnert sich an eine unfeine Bemerkung, die sich schmerzhaft in die Seele gebrannt hat und auch nach Jahren nicht verschwinden will. Andererseits trage ich verbale Schätze in mir, lieb und teuer. An denen halte ich mich in Zeiten des Zweifelns fest.

      Sprache ist offensichtlich ein Machtinstrument. Manchmal, wenn ich in einer Zwickmühle bin, wo eine schwierige Situation eine Reaktion von mir erfordert, mache ich erst ein Gedankenspiel: Welches wäre die direkteste und niederschmetternste Antwort, die ich geben könnte? Was weiss ich zu sagen, das sitzt? Danach überlege ich mir die witzigste oder charmanteste Antwort, die ich auf diese unangenehme Sache geben könnte.

      Normalerweise wähle ich ehrlichen, ungeschönten Klartext, wobei die Haltung des Empfängers schon eine Rolle spielt. Muss ich jemanden fadengerade aufklären, auf seinen Platz verweisen oder will ich ihm eher Mut machen und den Sand von den Schultern klopfen? Meist finde ich so meinen Weg.

      Bereits Grundschulen und Eltern müssen sich heute mit dem Thema Cybermobbing befassen. Das Internet wird als beinahe rechtsfreier Raum für allerlei Schimpf und Schmutz benutzt. Wer dem verbalen »Nahkampf« nicht gewachsen oder zu feige ist, dem bieten sich einschlägig platte Formen an, um Dreck hinter dem Gesicht hervor auf den Bildschirm zu schleudern. Das ist oft nicht schön und grausam.

      Ich gebe mit meiner Art zu kommunizieren vieles von mir preis. Sprache ist eine individuelle Stil- und Charakterfrage. Ebenso wie die Art zu gehen, die Schrift oder die Kleidung es sind. Auch in der Sprache zeigt sich, ob ich eher ein Trendsetter und Wiederkäuer bin oder ein eigenständiger Anwender. Ich liebe es, mit der Sprache zu spielen und hie und da gelang mir ein Volltreffer. Die Ausdrücke »Dumpfgummi« und »Blockflötengesichter« verbreiten viel Freude und »Meh Dräck« wurde gar zum Wort des Jahres gekürt. In unseren Songs hingegen bevorzuge ich Englisch. Ich suche Ausdrücke, die Google und YouTube, in dieser Zusammensetzung, noch nicht kennen. »Hoodoo Woman«, »Dög Song«, »Bedside Radio«, »Easy Rocker«, »Long Stick Goes Boom« …

      Der begnadete Künstler David Bowie, der die Popund Modewelt revolutionierte, sagte mal: Würde Gott zu den Menschen sprechen, täte er das auf Deutsch. Das könnte stimmen, denn es gibt kaum eine Sprache, die einerseits so dramatisch verspielt und andererseits so zackig präzis ist. Die schönsten deutschen Wörter für mich sind: Geborgenheit, Sternenstaub, Morgenland, Schmetterling, Fernweh und Vergissmeinnicht. Sie beschreiben auf unglaubliche Art ein Gefühl, für das ich sonst kein Wort kenne. Pure Musik! Aber auch »lieben« ist wunderschön, weil es nur ein »i« von »leben« entfernt ist. Und »Lust« beschreibt aufs Vortrefflichste diesen Zustand. »Hafenkran« tönt etwas härter – ist es auch. Übrigens: wenn man diesen wunderbar stolzen, verlebten Kran schon unbedingt in Zürich hinstellen musste, warum liess man ihn dann nicht auch mindestens ein paar Jahre da stehen? Er hätte dem herausgeputzten Zürich sicher nicht geschadet. Der perfekte Kontrast zu den Limmatquai-Kafis, Sonnenbrillenshops und Nobelboutiquen.

      Wussten Sie übrigens, dass Vanille aus dem lateinischen Vagina abgeleitet ist und Klavier ursprünglich aus Schlüssel hervorging? Fabelhafte Etymologie! Dann gibt es noch die unübersetzbaren Wörter, jene, die einmalig sind in einer bestimmten Sprache. Besonders angetan bin ich von den schönen japanischen Zeichen die Komorebi bedeuten. Das heisst: Das Sonnenlicht, das durch die Bäume scheint. Das Zusammenspiel von Blättern und Sonne. Wunderbar! Oder im Spanischen: Sobremesa: die Zeit, in der man sich mit Menschen austauscht nach einer Mahlzeit.

      Im Indonesischen gibt’s das Wort Jayus – das steht für einen schlecht erzählten Witz, der überhaupt nicht funny ist. Und im Hawaiianischen sagen sie Pana Po’o, was den Akt beschreibt, wenn du etwas vergessen hast und dich am Kopf kratzt. Im Schwedischen steht Mangata für die glimmernde Reflektion des Mondes auf dem Wasser und die Inuit sagen Iktsuarpok, wenn sie ungeduldig sind und schauen, ob jemand kommt. Waldeinsamkeit beschreibt das Gefühl wenn du allein im Wald bist, verbunden mit der Natur.

      Natürlich hat Nietzsche recht, wenn er sagt, dass Wörter nicht alles sagen können. Sie sind nur Symbole für Beziehungen zwischen Sachen und Menschen. Sie können nicht die absolute Wahrheit ausdrücken.

      Das mag sein, aber sie beschreiben etwas kraftvoll und auf wunderbare Art und Weise. Wer dazu mehr wissen möchte, dem empfehle ich das grossartige Buch von Guy Deutscher, Im Spiegel der Sprache, in dem der Linguist den Zusammenhang einer Sprache und ihrer Sprecher verdichtet. »Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd.«

      Die scherzhafte Vermutung Karls V., dass verschiedene Sprachen nicht in allen Situationen gleich gut zu gebrauchen sind, findet wohl auch heute noch breite Zustimmung. Doch ist sie aus sprachwissenschaftlicher Sicht haltbar? Sind alle Sprachen gleich komplex oder ist Sprache ein Spiegel ihrer kulturellen Umgebung – sprechen »primitive« Völker »primitive« Sprachen? Und inwieweit sieht die Welt, wenn sie »durch die Brille« einer anderen Sprache gesehen wird, anders aus?

      Dieses Buch von Guy Deutscher ist eine sagenhafte Tour durch Länder, Zeiten und Sprachen. Auf seiner Reise zu den aktuellsten Ergebnissen der Sprachforschung geht man mit Captain Cook auf Kängurujagd, prüft mit William Gladstone die vermeintliche Farbblindheit der Griechen zur Zeit Homers und verfolgt Rudolf Virchow in Carl Hagenbecks Völkerschau auf dem Kurfürstendamm im Berlin des 19. Jahrhunderts. Mitreisende werden mit einer glänzend unterhaltsamen Übersicht der Sprachforschung, mit humorvollen Highlights plus unerwarteten Wendungen und klugen Antworten belohnt.

      »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« (Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus), stimmt, und ich bin – alterseidank – längst niemandem mehr ausgeliefert, der mir nicht passt und nicht gut tut. Meine Ohren führe ich an Orte, wo eher meine Lachfalten gefördert werden denn die Sorgencanyons. Sonst bin ich wohler daheim mit einer guten Buchstabensuppe. In dem Sinne: Salem Aleikum, gehen wir in Frieden, aber gehen wir … mindestens 10 000 Schritte pro Tag, empfiehlt Hausdoktor Ali Mabulu.

      »Danke, dass Sie an der Zukunft der Schweiz mitwirken«, meinte der neue Bundespräsident bei seiner Neujahrsansprache.

      Ich lag auf meiner Denkercouch und sinnierte darüber, was der Bundespräsident uns damit sagen wollte. Zwei Riesenraben flogen am Fenster vorbei. Ich nahm ein paar abgelegte Artikel der letzten Wochen zur Hand und staunte, was da alles drinstand.

      Das Bundesgericht verfügte, dass private Weihnachtsbeleuchtungen um ein Uhr abzuschalten seien – Achtung! – ab dem sechsten Januar schon um 22 Uhr! Eine Bündner Gemeinde will ein Verbot von Gartenzwergen durchsetzen und Hobbyfeuerwerker müssen ab jetzt einen teuren Kurs