Haltungen, wann welche der vielen möglichen Wirklichkeitskonstruktionen nützlich sind. An dieser Frage setzen die Steuerungskonzepte an. Bateson sagte, die Kategorie »Stuhl« sei kein weiterer Stuhl. Techniken geben Orientierung im praktischen Vorgehen, erklären aber nicht aus sich heraus, wann ihr Einsatz sinnvoll ist. Um die Frage zu entscheiden, wann ich welche Technik einsetze, brauche ich Konzepte auf einer logisch nächsthöheren Stufe.
Insofern bieten Steuerungskonzepte keine weiteren Techniken, sondern sie sind Metakonzepte für das Navigieren in komplexen Beratungsprozessen. Sie sind abstrakt, da sie nicht beantworten, wie ich in der Beratung konkret vorgehe. Sie helfen aber, die Frage zu beantworten, welche Wirklichkeitsbeschreibungen und Techniken wann sinnvoll eingesetzt werden können. Zugleich verdeutlichen sie, welche Wirklichkeitsvorstellungen mit welcher Technik implizit eingeführt werden und welche Konsequenzen dies haben kann. Sie können Orientierung anbieten angesichts der überwältigenden Komplexität und Möglichkeiten, die sich in Beratungsprozessen ergeben. So helfen sie, einerseits Komplexität zu reduzieren, wo wir in Orientierungslosigkeit versinken würden, und andererseits Komplexität in Situationen zu erhöhen, in denen wir sonst Scheuklappen aufhätten. Deshalb beinhalten viele dieser Konzepte eine Auswahl von Perspektiven. Welche Perspektive nehme ich gerade ein? Habe ich überhaupt eine Perspektive? Welche anderen Perspektiven könnte es noch geben? Welche der möglichen Perspektiven koppelt bei dem Klienten an? Welche ergibt für mich als Berater am meisten Sinn? Habe ich gewohnheitsmäßige Perspektiven, bei denen ich typischerweise lande? Wie kann ich sie wieder verlassen?
In diesem Buch wird eine Vielzahl solcher Metakonzepte beschrieben. Diese Konzepte nähren schöpferische Beraterkraft auf sinnvolle, rationale Art. Sie sollen aber nicht eine zweite Quelle unserer schöpferischen Beraterkraft, die kreative Inspiration, vergessen machen. Deshalb fügen wir zunächst einen Abschnitt über Intuition an. Die Kraft der Intuition wird im Verständnis der Steuerungskonzepte gleichsam als Pendant zur Kraft der rationalen Metatheorie verstanden. Erspüren und Denken sind in diesem Konzept kein Widerspruch, sondern hilfreiche Ergänzungen.
1.3 Intuition und Selbststeuerung
Jeder Klient ruft durch seine Selbstpräsentation und durch die von ihm erzählte Geschichte zwangsläufig innere Bilder beim Berater hervor. Genau genommen, können wir Wirklichkeiten von Klienten gar nicht getrennt, sondern nur in Vermengung mit unseren eigenen Wirklichkeitsbildern wahrnehmen: eine Mischung aus Wahrnehmung und »Wahrgebung«, wie dies Gunther Schmidt ausdrückt. Die Wirklichkeitsbilder des Beraters wecken oft unbemerkt bestimmte Perspektiven, mit denen er dann auf die Beratung schaut. Aber auch vorgegebene, vielleicht gewohnheitsmäßige Perspektiven rufen unbemerkt die zu ihnen passenden inneren Bilder aller Beteiligten auf den Plan. Daher ist wichtig, sich innerer Bilder und gerade aktiver Perspektiven bewusst zu werden.
In der Beratung zu einem Führungskonflikt zeigt sich der Vorgesetzte recht engagiert, aber auch rigide, während der Mitarbeiter sich einerseits um Erfüllung der Aufträge bemüht, andererseits auch merkwürdig vermeidend wirkt. Spontan entsteht eine Beratungswirklichkeit, die sich um Klärung unterschwelliger Motivationen in dieser Beziehung dreht. Der Berater ist auf Beziehungsaufrichtigkeit, gegenseitige Würdigung sowie auf Klarheit in der Sache und auf Ausgleich bedacht.
Im Hintergrund solcher Bildercollagen wirken persönliche Erfahrungen des Beraters in allen Lebensbereichen und aus allen Zeiten, die durch die aktuelle Situation irgendwie zum Schwingen kommen. Zum Teil berühren sie nicht in Sprache präsente Erfahrungen, lösen aber als Reaktionen Vermutungen, Bewertungen, Reaktionsweisen und Lösungsversuche aus. Zum anderen Teil wecken berufliche Erfahrung und durch Schulung geprägte Bilder Vorstellungen von Diagnosen, Zusammenhängen und Vorgehensweisen. Solche benennbaren Wirklichkeitsbilder, aber auch letztlich im Dunkeln bleibende fließen in die Selbststeuerung unmittelbar ein. Das ist der enorme Vorteil von Intuitionen. Ohne dass wir genau wissen müssen, wie, greifen sie auf die Fülle der Lebenserfahrung zu, integrieren blitzschnell Eindrücke auf den verschiedensten Ebenen zu einem Bild und einem Selbststeuerungsimpuls und setzen diesen Impuls unmittelbar in Handlung um. Sind es kreative und durch berufliche Umsicht geläuterte Intuitionen, kann sich der Berater von ihnen leiten lassen und muss sich gewissermaßen nur selbst supervidieren, damit er nicht auf Abwege gerät. Die Zusammenhänge von Intuition und Professionalität sind an anderem Ort ausführlich dargestellt (Schmid u. Gérard 2008).
Im obigen Fallbeispiel (Führungskonflikt) hat vielleicht der Berater selbst engagierte Beziehungen zwischen Männern erlebt. Besonders bei wachsender Autonomie kam es in seiner Lebenserfahrung zu unausgesprochenen Widerständen der Jüngeren und Sorge um Autoritäts- und Beziehungsverlust bei den Älteren. Ob sich die Beziehungen gut entwickelten oder nicht, hing in diesem Milieu davon ab, ob offene Aussprache, Abgrenzung und Ausgleich wechselseitiger Erwartungen bei gegenseitiger Würdigung gelangen.
Intuitiv kann für den Berater sehr schnell eine Überzeugung entstehen, mit welcher Wirklichkeit er es zu tun hat und wie mit ihr umzugehen wäre. Teilen Klienten und Berater diese entstehende Wirklichkeit, können sie sie gemeinschaftlich weiter entfalten und sich wechselseitig koordiniert steuern.
Führungskraft und Mitarbeiter zögern zunächst, nach unausgesprochenen Motiven und Beziehungsfragen Ausschau zu halten, lassen sich aber zunehmend darauf ein, zumal sie merken, dass dies sie entlastet und ihre Beziehung entspannt.
Intuition leistet also Komplexitätsreduktion und sofortige koordinierte Steuerung. Allerdings bleibt die Frage, ob die entstehende Wirklichkeit geeignet ist, die Wirklichkeiten außerhalb der Beratung sinnvoll zu repräsentieren, und ob mit ihr das wirkliche Leben sinnvoller und wirkungsvoller gestaltet werden kann. Nicht alle in Schwingung kommenden Bilder und die Reaktionen darauf und nicht alle gelernten beruflichen Schemata liefern im Einzelfall einen angemessenen Beitrag zur Wirklichkeit der Klienten. Daher ist es wiederum wichtig, diese Bilder von einem Metastandpunkt aus zu befragen. Sonst erliegt man leicht ihrer Verführung. Irgendetwas gemeinsam Plausibles und Berührendes ist mit etwas Geschick immer herzustellen, doch sollte geklärt werden, ob die entstehende Beratungswirklichkeit dem Anliegen und den Verantwortungen, den Kontexten und Entwicklungen und der Lebenswirklichkeit der Klienten gerecht wird. Intuitionen können für die aktuelle Begegnung auch falsch oder unwesentlich sein, müssen also geläutert und auf professionelle Belange ausgerichtet werden.
Urteilsfähigkeit bildende professionelle Metaloge geschehen in Supervisionen und werden in Weiterbildungen zur guten Gewohnheit. Und es helfen Steuerungsmodelle, die möglichst wenig bestimmten Schulen und ihren Welt- und Menschenbildern verpflichtet sind, hilfreiche Metafragen zu stellen.
Im obigen Fallbeispiel könnte der Berater unter einer ergänzenden Perspektive danach fragen, wann und in welchem Zusammenhang der geschäftlichen Entwicklung dieser »Ablösungskonflikt« entstanden ist und ob beide in anderen beruflichen Beziehungskontexten ähnliche Dynamiken kennen. Vielleicht machen sich beide nicht klar, dass die Aufgaben des Mitarbeiters durch eine schwierige Kundenbeziehung zunehmend dilemmahaft geworden sind. Damit würde sich eine neue Perspektive auftun, die zu ganz anderen Fragen an die Klienten einlädt. Vielleicht ist es in dieser Organisation nicht üblich, sich zunehmende Hilflosigkeit einzugestehen und dies zu kommunizieren, auch wenn man nicht recht weiß, worin die Paradoxien bestehen. Beide müssten dies aber vielleicht tun, um zusammen die Widersprüche zu erkennen und an die Klärung von Aufträgen in den beteiligten Beziehungen gehen zu können. Die eher »privaten« Qualitätsveränderungen der Beziehung, ja sogar der »Führungskonflikt« sind vielleicht Folge, nicht aber Ursache der Belastungen.
Wie auch immer, hierzu ist der Dialog zwischen bewussten und unbewussten inneren Bildern, innerhalb der Person und zwischen den Personen wichtig. Die Arbeit mit inneren Bildern als Übung in diesem Dialog und als Methodik für Organisationen ist an anderem Ort dargestellt (Schmid 2004b). Je mehr sich Berater und Klienten der ihrem Zusammenwirken zugrunde liegenden Wirklichkeitsbilder bewusst werden und sich darüber austauschen, umso größer ist die Chance, über Zufallsplausibilitäten oder professionelle Schablonen hinauszukommen. Weiterbildungen und Beratungen, die solchen spontan aufsteigenden Bildern Beachtung schenken, werden einem vielschichtigen und positiv kritischen Umgang mit Wirklichkeitserzeugung eher gerecht. Diesem Dialog Aufmerksamkeit in der Beratung wie auch sonst im Leben und bei der Arbeit zu schenken bereichert