Deutungen in Mythologie, Philosophie, Poesie und Kunst wurden unter den Griechen aus ihren verschlossenen Kammern auf offnen Markt getragen, und Schönheit fieng an, das Hauptgesetz der Poesie und Kunst, nur bei jeder auf eigne Art, zu werden. Homer, der Sohn eines himmlischen Genius, ward der Vater schöner Dichter und schöner Künstler: und glücklich ist das Land, dem in der sinnlichen Poesie und der noch sinnlichern Kunst, der Geist seiner Zeit in Religion und Sitten und Gelehrsamkeit und Cultur so wenig Zwang auflegt, als Griechenland in seinen schönsten Zeiten. Ich wundre mich, daß Winkelmann in seinen Schriften diese Abstreifung fremder, alter, Allegorischer Begriffe nicht mehr bemerkt, und in ihrer Nutzbarkeit gezeiget hat: es ist ein Hauptknoten in dem Faden der Kunstgeschichte: »wie die Griechen so manche fremde drückende Ideen in die ihnen eigne schöne Natur verwandelt haben!«
Von hieraus gienge der sicherste Weg, um zwischen inne durch Bedeutung und Schönheit, durch Allegorie und Schönheit der Kunst und Poesie unbeschädigt durchzukommen: ich würde aber mit einmal zu tief in den Unterschied der dichtenden und bildenden Kunst tauchen müssen – also zurück zu unsern Prolegomenen.
1 Laok. p. 103.
2 Laok. p. 104 = 436
3 Laok. p. 95.
4 p. 104.
5 Laok p. 103.
6 p. 104.
VIII.
Wenn Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Kunst ist: freilich, so muß Laokoon nicht schreien, sondern lieber nur beklemmt seufzen: denn wenn schon Sophokles zu seinem Theatralischen Auftritt einen brüllenden Philoktet eben so ungereimt fand, als Leßing den stoischen Philoktet findet: wie viel mehr der Künstler, bei welchem ein Seufzer und ein Schrei des offnen Mundes ewig dauret.
Ohne es nun durch eine Handvoll Vermuthungen ausmachen zu wollen, wer den andern nachgeahmet, ob der Künstler den Dichter, oder der Dichter den Künstler? führe ich nur Eins an, was Hrn. Leßing in dem Augenblicke1 nicht beigefallen, daß es außer Pisander,2 der nur als eine Quelle Virgils im Unbestimmten angegeben wird, es Griechen gegeben, wo Virgil den nähern Gegenstand, die Geschichte Laokoons selbst, geschöpft haben könne. Daß unter Sophokles verlohrnen Stücken auch ein Laokoon sey, hat Hr. L. selbst angeführt,3 und Servius meinet, daß Virgil die Geschichte Laokoons aus dem Griechischen des Euphormio geschöpfet – Vermuthungen, die wenigstens weiter bringen können, als der leere Name eines Pisanders, oder ein Quintus Calaber, der es nicht verdiente, von Hrn. Leßing4 auch nur als ein halber Gewährsmann angeführt zu werden: denn was geht seine ganze Giganten-Erzählung unsern Virgil, oder Laokoon an?
Quintus Calaber ist ein später Schriftsteller, ein übertreibender Dichter, ein seyn wollendes Original – mehr Umstände braucht es nicht, ihm bei dieser Sache den Zutritt eines Zeugen strittig zu machen. Er dichtet bei seinem Laokoon so weit in die Welt hinein, daß die Dichterische Fabel kaum mehr Fabel bleibt: sie wird ein abentheuerliches Riesenmährchen. Warum muß unter dem warnenden Trojaner die Erde erbeben? Wenn Troja durch die List der Minerva fallen soll; was brauchts die ganze Macht Jupiters, Neptunus und Pluto? Warum müssen seine unschuldigen Augen verblinden? warum muß er rasen? Etwa um noch blind und verstockt fortzufahren in seinem Rathe, und also als ein trotzender Gigante gegen die Götter zu erscheinen? – Etwa weiter durch diesen verstockten Rath noch erst die neue Verbrecherstrafe der Drachen zu verdienen – Was brauchts den gutgesinneten Patrioten erst in einen Himmelsstürmer, in einen tollen Verbrecher umzuschaffen, und nachher gar – Unschuldige für ihn leiden zu lassen? Laokoon selbst geschieht nichts von den Drachen: seine armen unschuldigen Kinder werden ergriffen, und zerfleischt, – abentheuerliche, abscheuliche Scene, ohne Wahl und Zweck, ohne Zusammenordnung und dichtenden Verstand!
Ich bleibe also bei Virgil und dem Künstler. Virgil mag aus Pisander, aus Euphormio, und woher es sey, geschöpft haben: so schöpfte er als Dichter, als Epischer Dichter, als Homer der Römer. Er kleidete also auch diese Erzählung in ein Episches Gewand: er goß sie in eine Art von Neuhomerischer Form; und in solcher Gestalt tritt sie uns vor Augen. Wir haben einen Schriftsteller,5 der sich die Mühe gegeben, Virgil mit den Griechen zu vergleichen, und ihn daher zu erläutern; Schade aber, daß ihm in seiner Vergleichung bloß Worte, Bilder und einzelne Lappen vor Augen sind. Die Manier seiner Poesie aus Homer und andern Griechen zu erklären, ist ihm nicht eingefallen, sonst müßte sich auch in dieser Erzälung von Laokoon der Dichter zeigen, der nach Homer zeichnen wollte. – Vielleicht wird meine Vermuthung, welche Stelle Homers Virgil nachgeahmet, etwas zu unserm Zwecke thun.
Aeneas mitten im Erzälen,6 kommt auf die Geschichte Laokoons, und siehe! –
hîc aliud maius miseris multoque tremendum
obiicitur magis atque improvida pectora turbat.
Laocoon – –
Wem fällt nun nicht gleich bei Eröfnung dieser Schlangenscene der Homerische Nestor7 ein, der auch eine solche Schlangenscene mit einem ähnlichen ενϑ εφανη μεγα σημα eröffnet? Der Vorfall bei beiden ist verschieden; die Manier der Erzälung ist völlig dieselbe. Bei Homer erzält der gesprächige Alte, wie vor ihrer Abfahrt die Griechen rings um eine Quelle den Unsterblichen Opfer gebracht, wie darauf nahe an einem Pappelbaume sich ein großes Wunderzeichen sehen lassen: ein rothgefleckter gräulicher Drache, den Jupiter selbst gesandt, schoß unter dem Fuß des Altars plötzlich hervor, schlang sich zum Pappelbaume hinan, wo die Brut, die zarte Brut eines Sperlings auf dem Gipfel des Baums hinter Blättern versteckt nistete – acht an der Zahl, und die Mutter der Jungen war die neunte. Ohne Erbarmen würgte der Drache die winselnden Kleinen; die Mutter aber – zwar flatterte sie klagend um ihre geliebte Brut, allein auch sie ward am Flügel von ihm umschlungen, ergriffen und mitten in ihrem Geschrei erwürgt u.s.w. – Mich dünkt, Virgil habe in der Epischen Einkleidung des Laokoon Homer im Gedanken gehabt; nur daß er das Epische so verstärkte, daß aus Homers einfacher Erzälung ein völlig ausgemaltes Bild ward, – gegen das ich doch lieber Homers einfache Erzälung zurückwünschte.
In Homer sind alle Griechen schon, in Erwartung: rings um eine Quelle gelagert, mit dem Opfer an die Unsterblichen beschäftigt, und also in der Fassung, auf ein himmlisches Zeichen zu merken, so bald es erschiene. Bei Virgil ist alles unstät, zerstreut, auf den Griechischen Betrüger horchend, und nicht auf Laokoons Opfer; die Schlangen erscheinen, und was für ein Geräusch, was für ein Plätschern im Meer müssen sie machen, ehe sie bemerkt werden. »Zwo Schlangen kommen von der Höhe des Meers herab: in ungeheure Ringe geschlungen, (mich schaudert es zu sagen!) liegen sie auf der See und streben gemeinschaftlich ans Ufer. Mitten aus den Fluthen hebt sich ihre Brust empor: über die Wasser ragen ihre Blutrothen Kämme: ihr übriger Körper ist mit der langen Oberfläche der See gleich, und krümmt seinen unmäßlich langen Rücken in Ringen heran. Es entsteht ein Geräusch bei schäumender See, und schon sind sie am Ufer: ihre Augen funkeln, ihre Zungen züngeln, zischen« – welch entsetzlich lange Vorbereitung, so Episch, so Malerisch, daß