weiter, während ich mit ihm sprach. Aber trotz seiner Demut und Bescheidenheit glaubte ich in ihm das erste Anzeichen einer keimenden Erbitterung zu entdecken, als er sagte:
»Man hätte mich aber doch wenigstens als Wächter einstellen sollen.«
Ich bekam nur wenig aus ihm heraus. Er machte den Eindruck eines Stumpfsinnigen, und doch schien die Gewandtheit, mit der er mit seiner einen Hand arbeitete, seinen Stumpfsinn Lügen zu strafen. Das brachte mich auf einen Gedanken.
»Wie kam es, dass Ihr Arm in die Maschine geriet?«
Er warf mir einen langen, forschenden Blick zu und schüttelte dann den Kopf.
»Ich weiß nicht. Es ist eben passiert.«
»Fahrlässigkeit?« fragte ich.
»Nein«, antwortete er. »So kann man es nicht nennen. Ich machte Überstunden und war, glaube ich, etwas übermüdet. In den siebzehn Jahren, die ich in der Spinnerei arbeitete, habe ich bemerkt, dass die meisten Unglücksfälle gerade vor Arbeitsschluss vorkommen. Ich möchte wetten, dass in der letzten Arbeitsstunde mehr Unfälle vorkommen als während der ganzen übrigen des Tages. Wenn der Mensch stundenlang anstrengend gearbeitet hat, ist er nicht mehr so gewandt. Ich habe zu viele zerlöchert und zerrissen und bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt gesehen.«
»Viele?« forschte ich.
»Hunderte und aber Hunderte, auch Kinder.«
Bis auf die schrecklichen Einzelheiten stimmte seine Beschreibung des Unfalls mit der überein, die ich bereits vernommen hatte. Als ich ihn fragte, ob er vielleicht eine der Bedienungsvorschriften der Maschine außer acht gelassen hätte, schüttelte er den Kopf.
»Ich riss mit der rechten Hand den Treibriemen ab«, sagte er, »und griff mit der Linken nach dem Steinchen. Ich hielt nicht an, um nachzusehen, ob der Treibriemen wirklich ab wäre. Ich dachte, meine rechte Hand hätte es getan — aber das war nicht der Fall. Ich griff schnell hin, aber der Riemen war nicht ganz herunter, und da wurde mir der Arm abgerissen.«
»Es muss sehr geschmerzt haben«, sagte ich mitleidig.
»Das Krachen der Knochen war nicht schön«, lautete seine Antwort.
Über seinen Prozess war er sich noch nicht ganz klar. Nur so viel wusste er, dass er keinen Schadenersatz erhalten hatte. Er hatte das Gefühl, dass die Aussagen des Direktors und des Werkmeisters die ungünstige Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hatten. Ihre Aussagen, wie er sie hinstellte, »waren nicht, wie sie hätten sein sollen«. Und ich beschloss, diese Zeugen aufzusuchen.
Eines war klar, die Lage Jacksons war erbärmlich. Seine Frau war leidend, und er selbst konnte durch das Rohrflechten und Hausieren den Lebensunterhalt für seine Familie nicht verdienen. Er war mit der Miete im Rückstand, und sein ältestes Kind, ein Junge von elf Jahren, hatte jetzt angefangen, in der Spinnerei zu arbeiten.
»Sie hätten mich als Wächter einstellen sollen«, waren seine letzten Worte, als ich ging.
Als ich dann den Anwalt, der Jackson vertreten, sowie die beiden Werkführer und den Generaldirektor der Spinnerei, die in dem Prozess ausgesagt, gesprochen hatte, begann ich zu fühlen, dass in dem, was Ernst behauptete, etwas Wahres steckte.
Der Anwalt machte den Eindruck eines energielosen, unfähigen Menschen, und bei seinem Anblick wunderte ich mich nicht, dass Jackson seinen Prozess verloren hatte. Mein erster Gedanke war, dass Jackson recht geschehen war, weil er sich einen solchen Anwalt genommen hatte. Im nächsten Augenblick aber kamen mir plötzlich zwei Behauptungen von Ernst zum Bewusstsein: »Die Gesellschaft beschäftigt sehr tüchtige Rechtsanwälte« und »Ingram ist ein scharfsinniger Jurist«. Ich überlegte schnell. Es wurde mir klar, dass die Gesellschaft sich natürlich bessere Juristen leisten konnte als ein Arbeiter wie Jackson. Aber das war das wenigste. Es musste unbedingt einen Grund haben, dass der Prozess ungünstig für Jackson ausgefallen war.
»Warum haben Sie den Prozess verloren?« fragte ich.
Der Anwalt war bestürzt und sah mich einen Augenblick zerquält an, und ich empfand Mitleid mit dem armseligen Menschen. Dann begann er zu jammern. Ich glaube, das Jammern war ihm angeboren. Er jammerte über die Zeugenaussagen. Sie wären alle zugunsten der Gegenpartei ausgefallen. Nicht ein einziges Wort zugunsten Jacksons hätte man aus ihnen herausbringen können. Sie hätten gewusst, wo die Butter für ihr Brot zu holen war. Jackson sei ein Dummkopf. Er wäre durch Ingram eingeschüchtert und verwirrt worden. Ingram sei glänzend im Kreuzverhör. Er hätte Jackson veranlasst, nachteilige Antworten zu geben.
»Wie konnten seine Antworten nachteilig sein, wenn er das Recht auf seiner Seite hatte?« fragte ich.
»Was hat das mit Recht zu tun?« fragte er zurück. »Sehen Sie alle diese Bücher.« Er wies mit der Hand auf eine Reihe von Bänden an den Wänden seines winzigen Bureaus. »Alles, was ich in ihnen gelesen und studiert habe, hat mich gelehrt, dass Gesetz und Recht zweierlei sind. Fragen Sie jeden Anwalt, den Sie wollen. In der Sonntagsschule lernt man, was Recht ist. Aus diesen Büchern aber lernt man eines: Gesetz.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Jackson im Recht war und doch verurteilt wurde?« forschte ich. »Wollen Sie sagen, dass es keine Gerechtigkeit in Caldwells Gericht gibt?«
Der kleine Anwalt starrte mich einen Augenblick an, dann aber schwand die Energie aus seinen Zügen.
»Ich hatte keine Möglichkeit«, begann er wieder jammernd. »Sie haben Jackson zum Narren gemacht und mich auch. Welche Möglichkeiten hatte ich auch. Ingram ist ein großer Jurist. Wäre er das nicht, würden ihm dann die Sierra-Spinnereien, das Erston Land-Syndicate, die Berkeley Consolidated, die Oakland, San Leandro und Pleasenton Elektrizitätswerke die Führung ihrer Rechtsgeschäfte übertragen haben? Er ist Trustanwalt, und ein Trustanwalt wird nicht umsonst bezahlt. Wofür meinen Sie wohl, zahlt die Sierra-Spinnerei allein ihm zwanzigtausend Dollar jährlich? Natürlich, weil er ihnen zwanzigtausend Dollar jährlich wert ist. Ich bin nicht so viel wert. Wäre ich es, so stünde ich nicht abseits, darbte und übernähme Prozesse wie den Jacksons. Was, glauben Sie, hätte ich bekommen, wenn ich den Prozess gewonnen hätte?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach hätten Sie Jackson ausgeplündert«, antwortete ich.
»Selbstverständlich!« rief er ärgerlich. »Ich muss doch auch leben, nicht wahr?«
»Er hat Frau und Kinder«, tadelte ich ihn.
»Ich auch«, erwiderte er. »Und außer mir kümmert sich kein Mensch in der Welt darum, ob sie darben oder nicht.«
Seine Züge wurden plötzlich weich, er öffnete seine Uhr und zeigte mir die auf die Innenseite des Deckels geklebte Photographie von einer Frau und zwei kleinen Mädchen.
»Das sind sie, sehen Sie sie an. Wir haben schwere Zeiten durchgemacht, schwere Zeiten. Ich hatte gehofft, sie aufs Land schicken zu können, wenn ich Jacksons Prozess gewann. Sie brauchen Landluft, aber ich kann es mir nicht leisten, sie fortzuschicken.«
Als ich mich zum Gehen anschickte, verfiel er wieder in sein Jammern.
»Ich habe nicht die geringsten Aussichten. Ingram und der Richter Caldwell sind befreundet. Ich will nicht sagen, dass diese Freundschaft den Prozess entschieden haben würde, wenn ich im Kreuzverhör die Zeugen zu den richtigen Aussagen bekommen hätte. Aber Caldwell tat doch sein möglichstes, um zu verhindern, dass ich das richtige Beweismaterial zusammenbekam. Caldwell und Ingram gehören derselben Loge und demselben Klub an. Sie sind Nachbarn in einer Gegend, wo ich es mir nicht leisten kann zu wohnen. Und ihre Frauen besuchen sich immer. Sie haben ihre gemeinsame Whistpartie und lauter ähnliche Dinge.«
»Und glauben Sie noch, dass Jackson im Recht war?« fragte ich, indem ich einen Augenblick auf der Schwelle stehen blieb.
»Ich glaube nicht, ich weiß nicht«, lautete die Antwort. »Zuerst glaubte ich auch, dass er Aussichten hätte. Aber ich sagte meiner Frau nichts davon. Ich wollte ihr keine Enttäuschung bereiten. Ihr Herz hing an einem Aufenthalt auf dem Lande, so schwer das auch zu machen war.«
»Warum lenkten Sie nicht die Aufmerksamkeit auf die