Alexandra Lavinia Zepter

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)


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Raum nach vorne bewegt hatten.1

      Noch ein abschließender und zum nächsten Abschnitt überleitender Gedanke zur Sprachverarbeitung: Den Proband:innen der Studie wurde zur Ermittlung der jeweils eingenommenen Perspektive das Meeting-Szenario vorgelegt und sie mussten den betreffenden Satz „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ interpretieren. Um die Satzbedeutung zu bestimmen, muss der jeweilige Satz (wie jede sprachliche Äußerung) kognitiv verarbeitet werden. Wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, wurde hierbei auf die eigene unmittelbare körperliche Erfahrung zurückgegriffen. Damit liefert die Studie von Boroditsky & Ramscar unterstützende Daten für die Annahme, dass Erfahrungsspuren bei der Sprachverarbeitung reaktiviert werden. Noch expliziter belegen dies die Reaktionszeitexperimente, die wir im folgenden, letzten Abschnitt des Kapitels vorstellen.

      2.3 Sprachverarbeitung und körperliche Erfahrungsspuren: Evidenz durch ReaktionszeitexperimenteReaktionszeitexperimente

      Die enge Verknüpfung von Sprache und nicht-sprachlichen Erfahrungen bei der Bedeutungs­konstitution konnte inzwischen auch durch bildgebende Studien untermauert werden. So fanden beispielsweise Hauk, Johnsrude & Pulvermüller (2004) in einer EEG-Studie heraus, dass die visuelle Präsentation von Verben wie lick (‚lecken‘), pick (‚greifen‘) oder kick (‚treten‘), die das Gesicht, die Hand oder den Fuß involvierende Tätigkeiten beschreiben, zu unterschiedlichen Aktivierungen in den korrespondierenden Arealen des motorischen und prämotorischen Kortex führen. Also das alleinige Lesen des Wortes pick bewirkt ein kortikales Aktivierungsmuster, das zumindest teilweise der Aktivierung einer tatsächlichen Greifhandlung entspricht (Bryant et al. 2018: 33f.).

      Aber auch behaviorale Untersuchungen, bei denen die Proband:innen auf sprachliche Stimuli mit bestimmten Verhaltensmustern reagieren, liefern empirische Evidenz für den Ansatz der Erfahrungsspuren – so auch die zahlreichen Reaktionszeitexperimente der Embodied-Cognition-Forschung. Deren Ergebnisse stützen die Annahme, dass bei der sprachlichen Verarbeitung von Bedeutung, die in der einen oder anderen Weise etwas mit Bewegung oder Wahrnehmung zu tun hat, die gleichen kognitiven Bereiche beansprucht werden wie bei originärer Bewegung und Wahrnehmung.

      Bevor wir auf einige Reaktionszeitexperimente etwas genauer eingehen, vorab ein kurzer Einblick in die zugrundeliegende Logik der experimentellen Vorgehensweise: In der Regel müssen die Proband:innen beurteilen, ob ein Satz sinnhaft (Der Mann öffnet die Tür) ist oder nicht (Die Banane öffnet das Wasser). Dies sollen sie so schnell wie möglich tun. Die Reaktionszeit, die sie benötigen, um auf eine bestimmte Antworttaste zu drücken, wird gemessen. Die Proband:innen halten die Identifikation von Sinnhaftigkeit für ihre einzige Aufgabe, auf die sie daher ihre volle Aufmerksamkeit richten. Verborgen bleibt ihnen das eigentliche Forschungsinteresse: Um zur Antworttaste zu gelangen, müssen die Proband:innen eine bestimmte Bewegung ausführen und diese Bewegung ist entweder passend zur Bedeutung des sinnhaften Satzes oder konfligiert mit ihr.

      Welche Überlegungen stecken hinter diesem Setting? Wenn Sprachverarbeitung nichts mit originärer Bewegung zu tun hat, dann sollten auch keine Unterschiede in den Reaktionszeiten auftreten. Wenn dagegen bei der Sprachverarbeitung über Erfahrungsspuren von Bewegung die gleichen kognitiven Bereiche aufgerufen werden wie bei tatsächlichen Bewegungen, dann sollten Sprachverarbeitungsprozesse und Bewegungsprozesse ggf. miteinander in Konflikt geraten können, was sich in einer längeren Reaktionszeit niederschlagen sollte. Umgekehrt wäre bei einer Passung von Satzbedeutung und ausgeführter Bewegung eine kürzere Reaktionszeit zu erwarten. Derartige Befunde würden belegen, dass der kognitive Prozess des Satzverstehens aufs Engste mit der kognitiven Aktivierung von motorischen Prozessen verknüpft ist. Ebendiese Evidenz für Embodied Cognition und Erfahrungsspuren im Prozess der Sprachverarbeitung liefern die folgenden experimentellen Studien – für die Satzebene wie auch für die Wortebene.

      Sprachverarbeitung auf SatzebeneSprachverarbeitung auf Satzebene – motorische Aktionenmotorische Aktionen mit entgegengesetzter Richtung

      Eine der bekanntesten Reaktionszeitstudien im beschriebenen Setting stammt von Glenberg & Kaschak (2002). Das Experiment funktionierte wie folgt (vgl. ebd.: 559f.): Den erwachsenen Proband:innen wurden in ihrer Erstsprache Englisch nicht-sinnhafte Sätzenicht-sinnhafte Sätze (z. B. „Boil the air“) und sinnhafte Sätzesinnhafte Sätze vorgelegt, deren Sinnhaftigkeit es jeweils zu beurteilen galt. Die sinnhaften Sätze thematisierten entweder eine Aktion, bei der eine Armbewegung in Richtung zum eigenen Körper ausgeführt wird (z. B. “Open the drawer!“ ‚Öffne die Schublade!‘); oder eine Aktion, bei der das Gegenteil der Fall ist und die Armbewegung vom Körper wegführt (z. B. “Close the drawer!“ ‚Schließe die Schublade!‘).

      Abb. 2.10:

      Experimentdesign bei Glenberg & Kaschak (2002) (eigene Nachbildung)

      Bei der Beurteilung der Sätze mussten die Testpersonen entweder eine Ja-Taste (für das Urteil ‚Ja, der Satz macht Sinn.‘) oder eine Nein-Taste (für das Urteil ‚Nein, der Satz macht keinen Sinn.‘) drücken. Da als Ausgangsposition eine Taste zu drücken war, die sich auf einer horizontal ausgerichteten Konsole mittig zwischen der Ja- und Nein-Taste befand, involvierte das Antworttastendrücken jeweils eine Armbewegung hin zum eigenen Körper oder weg vom eigenen Körper (vgl. Abb. 2.10). Es gab zwei Testbedingungen. In der einen Testbedingung entsprach die Ja-Taste der (ausgehend von der Mitteltaste) dem Körper ‚nahen Taste‘ und die Nein-Taste der ‚fernen Taste‘ (Abb. 2.10, linke Spalte). In diesem Fall ist bei dem Satz „Öffne die Schublade!“ die ‚BeurteilungsbewegungBeurteilungsbewegung‘, die mit dem Arm zum Drücken der Ja-Taste auszuführen ist, kompatibel mit der Satzbedeutung – denn beide Male wird eine Armbewegung hin zum eigenen Körper ausgeführt. Bei dem komplementären Satz „Schließe die Schublade!“ ist sie es dagegen nicht. Kehrt man die Versuchsbedingung um und vertauscht die Ja- und Nein-Taste (Abb. 2.10, rechte Spalte), dann ist die korrekte Urteilsbewegung kompatibel mit dem Satz „Schließe die Schublade!“ und inkompatibel mit „Öffne die Schublade!“. Unter beiden Testbedingungen mussten die Proband:innen bei einem Teil der sinnhaften Sätze, um die Ja-Taste zu erreichen, eine mit der Satzbedeutung inkompatible Bewegung ausführen, während bei dem anderen Teil der sinnhaften Sätze die Beurteilungsbewegung kompatibel war.

      Zu den Ergebnissen der experimentellen Studie von Glenberg & Kaschak (2002): Die Reaktionszeiten waren bei der mit der Satzbedeutung kompatiblen Beurteilungsbewegung deutlich kürzer als bei der inkompatiblen Beurteilungsbewegung. Die Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass beim Lesen der Sätze Erfahrungsspuren der beschriebenen Aktivität reaktiviert wurden.

      Sprachliche Verarbeitung auf Satzebene – ZeitverstehenZeitverstehen

      Eine ähnliche Reaktionszeitstudie führten Ulrich et al. (2012) zur Verarbeitung von temporalen Bezügen in Sätzen durch. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass in embodiment-theoretischer Auffassung ein möglicher kognitiver Zeitbegriff die Zukunft räumlich vor dem eigenen Körper, die Vergangenheit hinter dem eigenen Körper figuriert – auf einer Vorne-hinten-Achse, die durch den eigenen Körper verläuft (siehe Kap. 2.2). Ulrich et al. konnten mit ihrer Studie empirische Evidenz dafür generieren, dass – ganz ähnlich wie bei Sätzen, die motorische Aktionen beschreiben – auch bei der sprachlichen Verarbeitung von temporalen Bezügen die gleichen kognitiven Bereiche wie bei originärer Bewegung beansprucht werden.

      Das Experiment funktionierte wie folgt: Ulrich et al. präsentierten ihren Proband:innen, in diesem Fall mit Erstsprache Deutsch, auf einem Computerbildschirm Sätze, die entweder auf ein Ereignis in der Zukunft oder in der Vergangenheit verweisen und sinnhaft sind oder nicht: z. B. sinnhaft, Zukunft „Morgen früh unterschreibt der Chef den Antrag.“; nicht-sinnhaft, Zukunft „Nächsten Sonntag wird das Rathaus die Erbse heiraten.“ (ebd.: 486). In diesem Setting (vgl. ebd.: Experiment 1, 486ff.) sollten die Proband:innen nur dann mit einer Beurteilungsbewegung reagieren, wenn es sich um einen sinnhaften