Alexandra Lavinia Zepter

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)


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für eine typische Interimshypothese von Deutschlernenden im späten kindlichen oder im erwachsenen L2-Erwerb zu nennen: Aufgrund der Struktur in einfachen deutschen Hauptsätzen (Ich mag Pizza, Wir gehen ins Kino), die im Input sehr häufig enthalten sind, bilden viele Lernende die Interimshypothese, dass im Deutschen immer die Abfolge ‚Subjekt – Prädikat‘ gilt. Entspricht diese angenommene Abfolge zudem der L1-Wortstellung (z. B. Russisch, Englisch, Spanisch) erfährt die Interimshypothese zusätzliche Unterstützung. Diese Hypothese führt allerdings zu zielsprachlichen Abweichungen, wenn beispielsweise ein Temporaladverbial den Satzanfang bildet (*Morgen wir gehen ins Kino) und muss revidiert werden.

      Die Lernenden benötigen einen Input, der hinreichend Evidenz liefert, dass das Deutsche eine Verbzweit-Sprache ist und vor dem finiten Verb nur eine Konstituente stehen darf. Um die Lernenden zur zielsprachlichen Hypothese zu führen, benötigen sie viele Sätze vom Typ: Morgen gehen wir ins Kino.

      Die primäre Zielgruppe der methodischen Ansätze dieses Buches sind Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) – also Deutschlernende, die in einem deutschsprachigen Land leben. Unter ihnen sind Deutschlernende:

      1 deren Erwerb nahezu ohne Steuerung verlief,

      2 deren ungesteuerter ErwerbErwerbungesteuert in der Kita und/oder in der Schule durch verschiedene Angebote zusätzlich unterstützt wurde,

      3 deren Einstieg in die deutsche Sprache (z. B. in einer Vorbereitungsklasse) gesteuert (wie im Fremdsprachenunterricht) verlief – mehr oder weniger flankiert durch Gelegenheiten des natürlichen Sprachkontakts mit L1-Sprecher:innen.

      Der Erstsprachenerwerb gilt im Allgemeinen als sehr robust und sein Erfolg (so keine Sprachstörungen oder besondere Förderbedarfe vorliegen) bezogen auf das Beherrschen der basalen Grammatik als garantiert. Er verläuft unabhängig von Intelligenz und unabhängig von der Modalität (ob nun Laut- oder Gebärdensprache) recht systematisch und mit beeindruckender Geschwindigkeit. Die Kinder durchlaufen unabhängig von der Zielsprache bestimmte Entwicklungsstufen und benötigen keine explizite Instruktion. Das erstsprachliche Wissen ist überwiegend implizit, dem Bewusstsein nicht ohne Weiteres zugänglich. Kerngrammatische Bereiche wie etwa die Wortstellungsregularitäten gelten im Alter von vier Jahren als erworben (u.a. Kauschke 2012: 93).1

      Ein deutlich heterogeneres Bild begegnet uns beim Zweitsprachenerwerb, und zwar in Bezug auf die Dauer, den Verlauf und das Erreichen eines bestimmten Sprachniveaus. Dass es Unterschiede zwischen L1- und L2-Erwerb gibt, ist unstrittig (Meisel 2007: 99), denn ein gleiches Ziel kann von unterschiedlichen Ausgangspunkten nicht auf gleichem Wege erreicht werden (ebd.: 99). Während L1-Lernende bei Null starten, verfügen L2-Lernende bereits über ein zumindest teilweise ausgebildetes Sprachsystem (mit möglicherweise verursachenden Interferenzen); über weiter entwickelte kognitive Fähigkeiten, die andere Sprachverarbeitungsoptionen eröffnen; über konkrete kommunikative Bedürfnisse und Handlungsroutinen sowie über Welterfahrungen. Daher sind Äußerungen zu Beginn des L2-Erwerbs in der Regel länger und komplexer als frühe L1-Äußerungen (ebd.: 99).

      Trotz des vielversprechenden Auftakts, erreichen viele L2-Lernende nicht das Sprachniveau, das sie anstreben.

      Welche Faktoren in welcher Gewichtung welchen Einfluss auf die L2-Entwicklung haben, beschäftigt die Forschung anhaltend. Aufgrund des komplexen Zusammenspiels zahlreicher Faktoren (z. B. Alter zu Erwerbsbeginn, Dauer des Sprachkontakts, Intensität des Kontakts, sozioökonomischer Hintergrund, Sprachlernbegabung, Sprachlernerfahrungen, Motivation, Einstellung zur Zielsprache – um hier nur einige zu nennen) ist jedes MehrsprachigkeitsprofilMehrsprachigkeitsprofil einzigartig (Bryant & Rinker 2021: 22). Die oben skizzierten Erwerbsszenarien geben lediglich eine erste Orientierung und erlauben keine verlässlichen Aussagen über den Erfolg des Zweitsprachenerwerbs (ebd.: 16). Bei allen noch ungeklärten Forschungsfragen zum wechselseitigen Wirken innerer und äußerer Faktoren, herrscht aber doch Einigkeit darüber, dass die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten maßgeblich von der QuantitätInputQuantität und Qualität des InputsInputQualität abhängen (Bryant & Rinker 2021: 19–23).

      Input gehört zu den äußeren erwerbsbeeinflussenden Faktoren, die von Seiten der Lehrkraft entscheidend mitbestimmt werden – im Fremdsprachenerwerb noch mehr als im Zweitsprachenerwerb, da bei Letzterem auch außerhalb des Unterrichts sprachanregende Begegnungen (u.a.) mit Gleichaltrigen im schulischen und außerschulischen Bereich stattfinden. Die Chance eines DaZ-Unterrichts besteht neben der Unterstützung des Sprachauf- und -ausbaus auch in der Korrektur von im ungesteuerten Erwerbsprozess eingeschliffenen nicht-zielsprachlichen Konstruktionen. Ein strukturfokussiertes Vorgehen ist hierbei unerlässlich (siehe Kap. 3.6).

      3.2 Gebrauchsbasierte (usage-based) Spracherwerbskonzeption

      Eine der entscheidenden Fragen in der Spracherwerbstheorie betrifft die Rolle des Inputs. Diesbezüglich gibt es zwei grundlegend verschiedene Auffassungen: Der nativistischen Annahme zufolge ist der Mensch für den Erwerb der Sprache prädisponiert, d. h. ein erheb­licher Teil des impliziten Sprachstrukturwissens ist über das genetische Erbgut vermittelt und somit angeboren (u.a. Chomsky 1981; erinnere Kap. 1.2, zur Sprachkompetenz). Dem Input kommt in diesem Fall lediglich eine Trigger­funktion zu, um das bei Geburt bereits vorhandene grammatische Regel-/Strukturwissen sprachspezifisch auszudifferenzieren. Mit der nativistischen Position verknüpft ist zudem die Auffassung, dass Sprache mental separat repräsentiert und (weitgehend) unabhängig von Wahrnehmung (und Motorik) verarbeitet wird (siehe Kap. 2.2).

      Während Befürworter:innen der nativistischen Theorienativistische Theorie der Interaktion mit der Umwelt und dem konkreten Sprachangebot der Umgebung eine geringe Bedeutung beimessen, rücken gerade diese Aspekte in der gebrauchsbasierten (usage-based) Spracherwerbskonzeption in den Vordergrund (u.a. Tomasello 2003, 2006; Behrens 2009, 2011). Gebrauchsbasierte Spracherwerbstheoriengebrauchsbasierte Spracherwerbstheorien wie die des Anthropologen und Verhaltensforschers Michael Tomasello modellieren Spracherwerb grundsätzlich nicht als isolierten kognitiven Prozess; stattdessen sind übergreifende Kompetenzen von Einfluss. Das bedeutet, als angeboren gelten nicht das grammatische Wissen, sondern Fähigkeiten der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, des Denkens, des Lernens, des sozialen Verhaltens ‒ Fähigkeiten, die im komplexen Zusammenspiel und bei entsprechendem Umweltangebot den Erwerb von Sprache (inklusive grammatischen Wissens) ermöglichen.1

      Wie die Bezeichnung ‚gebrauchsbasiert‘ bereits andeutet, sind der Gebrauch von Sprache (die Performanz, siehe Kap. 1.2) und damit die situationsbezogene sprachliche Verständigung zwischen Kommunikationspartner:innen bzw. die intendierten (nicht zufälligen) sprachlichen Handlungen in Kommunikationssituationen für den Erwerb zentral. Sie bieten dem Kind die Basis, bei Wiederholung gleicher Sprachhandlungen/Äußerungen in ähnlichen Situationen sprachliche Verwendungsmuster zu erschließen. Ausschlaggebend ist dabei der Versuch, die Intentionen für die Äußerungen zu ergründen und diese auch nachzuahmen. Durch wiederholtes Hören und Verwenden von Äußerungen mit leichter Variation (z. B. ich will Eis, ich will Pommes, ich will Cola, …) wird ein Prozess der Schematisierung und AnalogiebildungAnalogiebildung bzw. MusterfindungMusterfindung eingeleitet, der langsam zum Erwerb des L1-spezifischen grammatischen Wissens führt.

      Ein Muster oder Schema ist in diesem Fall eine bestimmte (regelmäßige) Ordnung des Strukturaufbaus: Beim Beispiel ‚ich will Eis, ich will Pommes, …‘ ist der jeweils erste Teil der Äußerungen gleichgestaltet, am Schluss kommt ein variables Element, das mit unterschiedlichen Ausdrücken (Zielobjekten des Haben-Wollens) gefüllt werden kann (‚ich will X‘). Kontrastiert man ‚ich will Eis‘ mit ‚du willst Eis‘, ‚wir wollen Eis‘, ließe sich die Schematisierung auf eine noch abstraktere Ordnungsebene heben, wobei der Bedeutungszusammenhang ‚Person möchte X in ihren Besitz bringen‘ mit der grammatischen Struktur ‚NPSubjekt/Nominativ – VerbModal/wollen – NPObjekt/Akkusativ‘ korreliert.

      Grundsätzlich geht der gebrauchsbasierte Ansatz davon aus, dass der langsame Auf- und Ausbau grammatischen Strukturwissens und die Musterfindung stets in den Kommunikationssituationen und bei den intendierten Bedeutungszusammenhängen ansetzt und dass in der Folge auch mental keine isolierte Grammatik repräsentiert ist, sondern dass die