Julia Meier

Inselromane


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sich an, als Eberhard einen Nebenbuhler erhält, der ebenfalls Cordula heiraten will und von ihrem Vater favorisiert wird. Der Rivale entführt Cordula nach Europa, und Eberhard reist ihnen nach. Er findet nach verschiedenen Wirren und märchenhaft anmutenden Begebenheiten Cordula, die Shakespeare-Shakespeare, WilliamNachfahrin, in Stratford wieder und kehrt mit ihr zurück; statt der Insel Felsenburg erreichen sie Klein-Felsenburg, wohin ihre engsten Freunde, samt Hanna Hellkraft, sich zurückgezogen haben, und wo verschiedene Spuren von Wikingern entdeckt werden, welche einst Klein-Felsenburg bewohnt und im Untergrund einer Felsengrotte einen Tempel mit nordischen Götterstatuen errichtet hatten; ausserdem werden Silberplatten gefunden, auf denen die Wikinger ihre eigene Geschichte in isländischen Versen eingraviert hatten. Die verschiedenen Zeitebenen des Textes werden so um eine in Raum und Zeit tiefer liegende Dimension erweitert, was dazu führt, dass das ganze Romangeschehen auf einem nordischen Fundament fusst. Mit einem im Wortsinn vielschichtigen Schlussbild endet der Roman.

      Wie aus der Inhaltsangabe hervorgeht, ist die augenfälligste Neuerung in Oehlenschlägers Roman die Ausrichtung des gesamten Textes auf eine zentrale Positionierung der Kunst hin. Diese Fokussierung wird in erster Linie dadurch erreicht, dass der Autor die im Prätext angelegte Polyphonie zu einem Geflecht von Stimmen aus verschiedenen Literatur- und Kunstepochen umgeschaffen hat, die mit den Hauptfiguren in einen vielfältigen, alle Kunstgattungen einbeziehenden Dialog treten. Mit dieser von Schnabel gänzlich unabhängigen Thematik überschreitet Oehlenschlägers Roman trotz Einbezug von Strukturen und Figuren des Prätextes den Rahmen einer blossen Bearbeitung. Bedeutungsvolle Neuerungen sind ausserdem bestimmte geographische Verschiebungen, die, wie in der Inhaltszusammenfassung erwähnt, das Geschehen an prominenten Stellen nach Norden verlegen oder Elemente aus der nordischen Geschichte auf eine der Felsenburger Inseln bringen. Den verschiedenen Aspekten von Oehlenschlägers Neuausrichtung widmen sich die Einzelanalysen dieser Arbeit, die zudem, wie gerade im folgenden Kapitel, auch die bilinguale Sprachgestalt des Textes in den Blick nimmt.

      3 Polyphone Textgestalt

      3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“1

      Die beiden Sprachversionen von Oehlenschlägers Roman bilden gewissermassen zwei gleichwertige „Stimmen“. Der Hinweis des Verfassers am Ende seiner Vorrede zur dänischen Ausgabe lässt offen, welche Version das Original und welche die Übersetzung ist: „Til Efterretning for Oversættere tiener, at jeg selv har besørget en tydsk Udgave af min Roman, som alerede er unter Pressen“ (ØS I: X).2 Diese verschleiernde Ausdrucksweise ist kein Zufall, denn die beiden Fassungen sollen nicht etwa auf Original und Übersetzung festgelegt werden, sondern vielmehr als zwei eigenständige Dichtungen gelten. Dies ergibt sich auch aus Oehlenschlägers vielzitierter Weigerung, die deutschen Ausgaben seiner Werke als Übersetzungen zu bezeichnen:

      Man kann sie keine Uebertragungen nennen […]; es sind freie Bearbeitungen und oft verbesserte Umarbeitungen von des Dichters eigener Hand. […] Es ist also gewissermassen eine verbesserte Ausgabe, und diese deutschen Umdichtungen sind eben so original wie die dänischen Dichtungen. (Selbstbiographie 1829, 2: 177; gesperrt im Original)3

      Ebenso insistiert er in der „Vorrede“ zu seiner zweiten deutschen Werkausgabe auf dem Charakter der deutschen Fassungen als Originalschöpfungen:

      Allein man beurteilt sie ganz schief, wenn man sie als blosse Uebersetzungen betrachtet. Es sind freie Umdichtungen, die bei dieser Wiedergeburt nichts verloren, vielleicht sogar gewonnen haben. (Selbstbiographie 1839, 1: XVII–XVIII)

      Auch in diesem Zusammenhang vollzieht der Dichter wieder den Gattungswechsel zur Malkunst, um auf andere Weise nochmals seinen Schaffensprozess zu illustrieren und das Faktum der Originaldichtungen zu betonen:

      Wie oft hat nicht ein Maler auch ein Bild zwei Mal gemalt – das zweite ist keine Kopie: hier und da hat er Veränderungen gemacht, hier etwas ausgelassen, dort etwas Neues hinzugefügt; er hat die Aehnlichkeit des ersten Bildes nicht ängstlich in kleinen Zügen nachgepinselt; die Idee hat ihn neu durchdrungen und sich neu gestaltet. So bitte ich diese Schriften zu betrachten. (Selbstbiographie 1839, 1: XVIII)

      Die zitierte Vorstellung der Umdichtungen als Wiedergeburt lässt den seine eigenen Schöpfungen in einer anderen Sprache neu „gebärenden“ Dichter geradezu als Verkörperung der intertextuellen Produktionsweise von Texten erscheinen. Oehlenschlägers Schaffen in zwei Sprachen soll deshalb im Folgenden unter Beiziehung von Zeugnissen zur Selbsteinschätzung und Rezeption kurz beleuchtet werden, bevor im Vergleich einiger Textstellen und -elemente auf die Intertextualität zwischen der deutschen und der dänischen Fassung seines Inselromans eingegangen wird. Zu Beginn der erwähnten Vorrede stellt Oehlenschläger fest:

      Zwei und dreissig Sommer sind verschwunden, seit Göthe, Jean Paul, Steffens, SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich, Voss mich aufmunterten, ein deutscher Dichter zu werden. Zwei und dreissig Jahre hindurch habe ich deutsch gedichtet. Wenige der jetzt lebenden namhaften Autoren Deutschlands können sich eines längern Schriftstellerlebens rühmen; und so kann ich mich wohl auch einen deutschen Dichter nennen, obschon ich als geborner Däne bis zu meinem vier und zwanzigsten Jahr keine Sylbe deutsch schrieb, und die meisten meiner Werke erst in dänischer Sprache gedichtet wurden. (Selbstbiographie 1839, 1: XVII; gesperrt im Original)

      Dass er auch ein deutscher Dichter werden konnte, scheint ihm durch seine deutsch-dänische Abstammung schicksalshaft vorausbestimmt: „So stamme ich von Deutschen wie von Dänen, und es scheint als ob das Schicksal bestimmt hätte, dass ich beiden Nationen angehören sollte“ (Selbstbiographie 1829, 1: 4).

      Gleichzeitig betont er aber auch immer wieder – wie in der zitierten Passage der Vorrede –, dass er erst spät angefangen habe, deutsch zu lesen oder gar zu schreiben, obwohl beide Eltern väterlicherseits deutscher Herkunft waren; auf diese Weise gelingt es ihm, neben der Fügung des Schicksals auch seine eigene Leistung darzustellen: offensichtlich soll nicht der Eindruck entstehen, er verdanke seine Ausdrucksfähigkeit im Deutschen weniger der eigenen Arbeit und Begabung, als vielmehr einem zweisprachigen Elternhaus. Zudem kann er so auch mehr Verständnis für Fehler oder Danismen in der deutschen Fassung seiner Werke erwarten. Noch wichtiger sind allerdings die berühmten Namen im erwähnten Zitat: den Anspruch, auch ein deutscher Dichter zu sein, mit der Ermutigung solcher Persönlichkeiten, angeführt vom Dichterfürsten GoetheGoethe, Johann Wolfgang von selbst, begründen zu können – dies kommt einer Legitimation gleich, die wohl nicht einmal von der Dichterkrönung durch Tegnér im Dom zu Lund übertroffen wurde.

      Mehrmals berichtet Oehlenschläger, wie GoetheGoethe, Johann Wolfgang von sich zu den Danismen in seinem Deutsch äusserte: Dieser habe ihn oft davon abgehalten, sie zu streichen, weil sie hübsch seien (Selbstbiographie 1829, 2: 24).4Holberg, Ludvig „[…] er meinte, die beiden verwandten Sprachen, aus einer Wurzel entsprungen, könnten einander mitunter mit guten Worten schwesterliche Geschenke machen“ (Selbstbiographie 1829, 2: 24). Auch habe es Goethe Vergnügen bereitet, „die deutsche Sprache […] in einem poetischen Gemüthe entstehen [zu] sehen“ (Selbstbiographie 1829, 2: 25).

      Die Vorstellung eines schwesterlichen Austausches zwischen den beiden Sprachen birgt den Gedanken einer Gleichwertigkeit der beiden in ihren Dimensionen so ungleichen Kulturkreise – eine Idee, die Oehlenschläger sehr anziehend erscheinen musste, obwohl er natürlich nicht zu jenen dänischen Schichten gehörte, die sich im Zuge des wachsenden Nationalismus gegen den Einfluss Deutschlands, der auch in der Sprache seine Spuren hinterliess, zu wehren begannen und sich für eine „Reinigung“ des Dänischen von den zahlreichen deutschen Ausdrücken, Redewendungen und Lehnwörtern einsetzten (Winge, V. 2000: 143–153). Von Oehlenschlägers dichterischem Standpunkt aus existierte Deutschland – jedenfalls vor 1848 – vor allem als Stätte bewunderter Dichtkunst, ein Parnass, auf dem auch er sich einen würdigen Platz zu erringen hoffte.5 Zu diesem Zweck übertrug er, wie in Kap.1.2.2 erwähnt, die meisten seiner Dichtungen ins Deutsche (oder, wie er selbst sagen würde, schaffte sie in dieser Sprache neu) und verfasste überdies mehrere Werke zuerst auf Deutsch, darunter – neben den IS auch das Künstlerdrama Correggio,6Cotta, Johann Friedrich das im deutschen Sprachgebiet immerhin so berühmt wurde, dass es nach der Premiere im Jahr 1815 am Wiener Burgtheater in der Zeit bis