Rosemarie Ruppen

Schweigen, wenn alles in dir schreit


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Sie war froh, nach den Essen die ganze Belegschaft zu verlassen. Es waren ihr zu viele Fragen auf einmal. Mit einem „Gute Nacht“ verabschiedete sie sich und ging zurück in ihr Zimmer. Wenig später kam ihre Madam und fragte nach ihrem Befinden. „Ich habe deinen Eltern mitgeteilt, dass du gut angekommen bist.“ Sarah setzte sich an das kleine Tischlein. Sie schrieb ihren Eltern, wie sie es versprochen hatte, einen Brief.

      Liebe Eltern, liebe Geschwister,

      ich bin gut angekommen, und bin gerade von dem Nachtessen zurück. Jetzt bin ich in meinem kleinen Zimmer, meinem neue Zuhause! Die Leute haben mich freundlich empfangen, es geht mir gut, aber ich vermisse euch alle sehr. Mir wurde der neue Arbeitsplatz gezeigt, es ist ein großer Laden mit allerlei Angeboten. Kleider, Wolle, Kosmetikartikel und vieles mehr. Morgen ist mein erster Arbeitstag, und ich freue mich darauf. Ich versuche, mich hier einzuleben. Hoffe, dass es euch allen gut geht, der Abschied von euch fiel mir schwer. Am liebsten hätte ich im Zug losgeheult. Ich habe eine nette ältere Frau kenne gelernt, vielleicht gehe ich sie einmal besuchen. So, ich mache jetzt Schluss für heute, bis zum nächsten Mal.

      Liebe herzliche Grüße an euch alle

      Eure Tochter und Schwester Sarah

      Sarah faltete den Brief zusammen und stecke ihn in den Umschlag. Das Briefpapier hatte sie von einer Schulkollegin zum Abschied geschenkt bekommen. Die Briefmarken hatten ihr die Eltern zugesteckt. Sarah eilte aus dem Haus. Ihr war beim Herkommen unweit vom Haus ein Briekasten aufgefallen. Sie warf den Brief ein. Als sie sich umdrehte, sah sie am Straßenrand gegenüber einen hübschen jungen Mann.

      Er grüßte sie freundlich: „Dich habe ich hier noch nie gesehen.“ „Ich bin erst heute angekommen. Und was machst du hier, hat man dich versetzt?“ „Ich warte auf meine Freundin. Komm doch rüber, ich bin Elias.“ Sie ging kurz zu ihm. Als sie seine Freundin kommen sah, verabschiedete sie sich mit einem „Tschüss“. Der junge Mann mit den schönen blauen Augen ging Sarah nicht so richtig aus dem Kopf. „Blödsinn, er wartet auf seine Freundin“, dachte sie.

      3

      Sofia kam auf Elias zu, gab ihm einen Kuss und hängte sich bei ihm ein. „Wer war dieses Mädchen?“ „Sie ist neu hier. Ich habe mich kurz mit ihr unterhalten.“ „Ich freue mich so sehr, mit dir ein paar Tage in die Berge zu fahren. Unsere Hütte ist klein, aber gemütlich.“

      Es war das erste Mal, dass die Eltern Sofia erlaubten, mit Elias zu verreisen. Gut gelaunt gingen die beiden in ihr Stammlokal, wo sie ihre Kollegen trafen. Während Elias sich unterhielt, saß Sofia still da. „Können wir nach Hause gehen, mir ist nicht so ganz wohl?“, fragte sie plötzlich. „Ja klar, kein Problem, gehen wir.“ Sie verabschiedeten sich von ihren Freunden. „Wir fahren für ein paar Tage in die Berge, bis bald wieder.“ Elias war besorgt. „Sofia, du wirst hoffentlich nicht krank?“ „Nein, morgen ist bestimmt wieder alles gut. Ich bin in den letzten Tagen oft müde, Zeit für Ferien.“

      Sofia arbeitete im Hotel ihrer Eltern am Empfang. Sie war für das Wohlergehen der Gäste verantwortlich. Die Tage waren anstrengend, sie arbeitete oft bis spät in den Abend. Vor der Haustüre verabschiedeten sie sich. „Ja dann, bis Morgen, ich freue mich sehr, meine liebe Sofia.“ Nachdenklich lief Elias nach Hause. Was ist in letzter Zeit mit Sofia los …?

      Anderntags liefen sie mit gepackten Rucksäcken zur Seilbahnstation. Sie fuhren nach oben und mussten dann noch gute zwanzig Minuten laufen. Ziemlich erschöpft angekommen, stieß Sofia einen „Jauchzer“ aus: „Hier oben ist meine Welt. Ich habe diese Hütte schon als Kind geliebt. Jedes Mal, wenn ich mit meinen Eltern hier hochkommen durfte, war ich voller Freude.“ Nach einem gemütlichen Nachmittag kochten sie zusammen und genossen den ersten Tag ihrer gemeinsamen Ferien. „Möchtest du mit mir schlafen?“, fragte Elias vorsichtig. „Bitte sei mir nicht böse, ich möchte in meinem Bett schlafen.“ Sie ging ins Bett und schlief sofort ein.

      Elias setzte sich vor die Hütte, schaute nachdenklich ins Tal hinunter. ‚Wo ist meine fröhliche, lebenslustige Sofia geblieben? Etwas stimmt nicht mit ihr!‘ Er stand am Morgen auf und sah, dass Sofia auch wach war. „Wie geht es dir heute? Bleib ruhig noch im Bett. Es ist kalt, ich mache im Ofen das Feuer an.“ „Elias … bitte verzeih mir wegen gestern Abend.“ Er setzte sich aufs Bett und nahm sie in die Arme. „Alles ist gut, geht es dir heute wieder besser?“ „Ja, wir können den neuen Tag in Angriff nehmen.“ „Da bin ich aber sehr froh“, sagte Elias erleichtert.

      Beim Frühstück meinte er plötzlich: „Du würdest mir schon sagen, wenn etwas bei dir nicht stimmt?“ „Ja klar, würde ich …“ Hörte Elias da ein Zögern in ihrer Stimme? Gut gelaunt liefen sie los. Ihr Ziel war ein kleiner Bergsee. Dort hatte Sofia viele Stunden mit ihren Eltern verbracht.

      Angekommen, liess sie sich nieder, Tränen rannen über ihr Gesicht. Elias setzte sich neben sie, schlang den Arm um sie und sagte: „Bitte sage mir endlich, was los ist? Hast du einen anderen Mann kennengelernt?“ „Nein, habe ich nicht“, rief sie entsetzt. Das Reden fiel ihr schwer. „Ich glaube, ich bin krank. Schon seit längerer Zeit bin ich ständig müde und würde am Morgen am liebsten im Bett bleiben. Ich werde nächste Woche zum Arzt gehen.“ Besorgt sagte Elias: „Wäre es nicht das Beste, wenn wir heute nach Hause gehen würden?“ „Nein, lass uns noch den heutigen Abend zusammen verbringen, wer weiß …“

      Zurück in der Hütte, öffnete Sofia eine Flasche Wein. Ihre Mutter hatte sie ihr in den Rucksack gesteckt. Sie prosteten einander zu. Die restlichen Tage blieben sie gemütlich in und vor der Hütte, obwohl Elias am liebsten zurück ins Tal gegangen wäre. Wieder zuhause, verabschiedeten sie sich voneinander. „Ich muss morgen arbeiten. Am Abend schaue ich bei dir vorbei. Ich mache mir große Sorgen.“

      Elias ging noch kurz seine Großmutter Helene besuchen. Er berichtete ihr von seinen Sorgen um Sofia. Dann machte er sich auf den Heimweg, schaute nach oben und sah den wunderschönen Sternenhimmel … Sofia suchte am nächsten Morgen ihren Arzt auf. Er begrüßte sie freudig. „Wie kann ich dir helfen?“ Sie erzählte ihm, wie es ihr in der letzten Zeit ergangen war. „Das muss nichts Ernstes sein, ich nehme dir jetzt Blut ab. Zudem mache ich ein Röntgen von deiner Lunge. Bald wissen wir mehr, sorge dich nicht zu sehr. Ich rufe dich morgen an. Lasse deine Eltern von mir grüßen.“ Mit einem „Danke“ verabschiedete sich Sarah vom Arzt. Er war befreundet mit ihren Eltern. Sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit.

      In Gedanken versunken, sah sie nicht, dass ihr eine Kollegin entgegenkam. „Sofia … sieht man dich auch wieder einmal, wo steckst du die ganze Zeit?“ „Du, ich arbeite im Moment sehr viel, ich melde mich bei dir. Ich muss weiter. Meine Mutter wartet auf mich.“ Sie ließ ihre Kollegin stehen und lief weiter. „Was habe ich dir denn getan?“ „Gar nichts, alles ist gut, du hörst von mir.“

      Sofia wollte zuerst Gewissheit haben. Sie fühlte sich elend. Nach bangem Warten läutete endlich das Telefon. „Sofia, kannst du vorbeikommen?“, hörte sie eine besorgte Stimme. „Es wäre gut, wenn dich jemand begleiten würde. Was ich dir zu sagen habe, ist leider nichts Gutes.“ „Was ist mit mir?“, rief Sofia verzweifelt. Die Mutter nahm ihre weinende Tochter in die Arme.

      4

      Der erste Arbeitstag war anstrengend. Sarah versuchte, so gut es eben ging, die Kunden zu bedienen. Sie staunte, wie locker die Frauen mit Geld umgingen. Nach dem Preis wurde selten gefragt. Das kannte Sarah nicht. Am Abend war sie sehr müde. Die Arbeit hatte ihr gefallen und sie freute sich auf den nächsten Tag. Sarah hatte sich gut eingelebt. Die Abende verbrachte sie mit Lesen und Musik hören. Anna hatte ihr ein kleines Radio und Bücher ausgeliehen.

      Manchmal gesellte sie sich zu ihren Mitbewohnern. Es war für sie als junges Mädchen nicht immer einfach in dieser Gesellschaft. Es fielen oft raue und zwiespältige Worte. Sarah musste lernen, damit umzugehen und versuchte, sich so gut es ging durchzusetzen.

      Gut waren da noch drei Frauen, älter als Sarah, mit denen sie es sehr gut hatte. Mit Katrin verstand sie sich besonders gut. Sie wirkte oft traurig, in Gedanken versunken … Für Sarah war sie wie eine große Schwester. Die Arbeit erledigte sie inzwischen fast alleine.