jedoch keinen Beobachter unparteiisch lassen. Keiner der Zeitgenossen, die Machiavelli berichteten, vermochte das ganze Geschehen zu überblicken, und am Ende herrschte bei vielen die Perspektive der Sieger vor. Heutige Historiker weisen darauf hin, dass Machiavelli gelegentlich zum Fabulieren neigte. So wurde nachgewiesen, dass sich Florenz nicht, wie in der „Geschichte“ behauptet, unmittelbar nach dem Anschlag gegen die Verschwörer wandte, sondern stundenlang unentschlossen hin und her schwankte. Auch diese Erkenntnis ist wichtig: Den Pazzi ging es nicht nur um Macht oder Geld, sondern auch um eine offenere, demokratischere Verfassung.
Mord in der Badewanne
Es gibt Menschen, die wollen um jeden Preis die Welt verbessern. Jean-Paul Marat gehörte dazu. Im Juli 1790 meinte er: „Fünf- bis sechshundert rollende Köpfe könnten Euch Ruhe, Freiheit und Glück bringen.“ Ein Jahr später phantasierte er von 200000 notwendigen Todesopfern. Doch dann wurde er selbst Opfer der Gewalt.
Jacques-Louis David: Der Tod des Marat; Königl. Belgisches Kunstmuseum
Marat nannte sich „Freund des Volkes“. Der Typus Gutmensch, der im Namen der Humanität den Mord predigte, gehört zum festen Personal revolutionärer Bewegungen. Ein anderer „Jean-Paul“, nämlich Sartre, schrieb: „Ein revolutionäres Regime muss sich einer gewissen Zahl von Individuen entledigen, die es bedrohen, und da sehe ich keinen anderen Weg als den Tod. Aus einem Gefängnis kann man immer wieder herauskommen...“ Das hätte Marat gefallen.
Als Revolutionär mit Haut und Haaren sah er überall Konterrevolutionäre, für die es nur eine Antwort gab: den Tod auf der Guillotine. Selbst Robespierre und Danton war Marat gelegentlich zu radikal, und sie sahen sich genötigt, sich von seinen Extrem-Positionen zu distanzieren.
Der Arzt, Verleger und Agitator war einer der blutgierigsten Anführer der Französischen Revolution und Befürworter politischer Gewalt. Die Schreckensherrschaft der Jakobiner, die ihm zweifellos gefallen hätte, erlebte Marat nicht mehr; Charlotte Corday hatte ihn zuvor erdolcht. Auch ihr Typus gehört zur klassischen Besetzung in politischen Revolutionsspielen: die von der Reinheit ihrer Übererzeugung Durchdrungene, die auszieht, ein Fanal zu setzen.
Insoweit haben wir nun die Rollen im Stück „Charlotte Corday gegen Jean Paul Marat“ verteilt und müssen uns nun um Bühnenbild und Requisiten kümmern. Die Hintergrundausstattung zuerst: Das Attentat ereignete sich am 13. Juli 1793 in Paris. Als im September 1792 der Nationalkonvent zusammentrat, war sein erstes Gesetz die Abschaffung der Monarchie. Am 17. Januar 1793 beschloss der Konvent mehrheitlich - darunter auch mit Marats Stimme - den Tod des Königs. Dieser wurde am 21. Januar geköpft.
Marie Anne Charlotte Corday d'Armont (1768 geboren) entstammte normannischem Kleinadel. In Caen, wo ihre Familie ein Herrenhaus bewohnte, war man gemeinhin Royalist. Sie begrüßte die Revolution, schreckte aber vor den gewaltsamen Ausschreitungen zurück. Und wer war in ihren Augen der Hauptschuldige? Marat! Durch seine Anbiederung manipulierte der „Freund des Volkes“ die einfachen Leute, hetzte sie zu Übeltaten und Morden auf. Am 9. Juli 1793 stieg die Adelige in Caen in die Postkutsche.
Marat wurde 1743 in Boudry geboren. Der Vater war Sarde, die Mutter Schweizerin. Mit 16 Jahren zog er nach Bordeaux, um Medizin zu studieren. Er finanzierte sein Leben als Sprachlehrer. 1762 ging er für drei Jahre nach Paris, dann 10 Jahre nach England. Er schrieb politische Werke; sein „Ketten der Sklaverei“ erschien ursprünglich auf Englisch. Er erhielt an der berühmten schottischen Universität St. Andrews einen Titel in Medizin. 1777 kehrte er nach Frankreich zurück und diente als Arzt bei der Leibgarde des Grafen von Artois. Er interessierte sich für Naturwissenschaften und Politik; als Publizist und Agitator wurde er berühmt.
„Verbrecher haben das Gemeinwohl ihrem Ehrgeiz geopfert, um auf den Ruinen des verwüsteten Frankreichs das Gebäude ihrer Tyrannei zu errichten...“ (Charlotte Corday in ihrer Rechtfertigung des Mordes) |
Am 12. September 1789 erschien erstmals die Zeitschrift „Publiciste Parsien“, die später umbenannt und als einflussreiche, radikalste Zeitung Frankreichs bekannt wurde: „L'Ami Peuple“ („Freund des Volkes“). Sie erschien unregelmäßig; gar nicht, wenn Marat untertauchen musste; zweimal täglich, wenn er Oberwasser hatte. Sie verstand sich als Stimme des revolutionären Volkes.
Marals „Volksfreund“ begann als Sprachrohr der gemäßigten Kräfte, die die Monarchie demokratisieren, aber nicht abschaffen wollten. Dann aber wurde das Programm gewalttätiger, schließlich brutal und blutig: Königlichen Beamten sei das rechte Ohr, königlichen Offizieren seien beide Daumen abzuschneiden. Hofhörige Parlamentarier seien zu pfählen und ihre blutigen Gliedmaßen an den Zinnen des Königspalastes auszustellen. Das reichte, selbst für ein revolutionäres Parlament. Siebenmal ergingen Haftbefehle gegen Marat. Er musste sich in Kellern verstecken. Zweimal floh er nach England.
Erst nach der „zweiten Revolution“ kehrte er ungefährdet auf die öffentliche Bühne zurück. Im April 1793 setzten die gemäßigten Abgeordneten die Aufhebung seiner Immunität auf die Tagesordnung - wegen seiner Aufrufe zu Umsturz, Mord und Plünderungen. Marat wurde nicht nur frei gesprochen, sondern als Volksheld gefeiert. Und es folgte ein Gegenschlag: Am 2. Juni umzingelte ein mit Kanonen bewaffneter Mob, die Klientel des Volksfreunds, die Tuilerien und forderte die Ausstoßung der „Volksfeinde“. 22 Girondisten starben auf der Guillotine.
Diese Verhaftungen waren Marats letzter Triumph. Seine Hautkrankheit hatte ihm die Sitzungen in den Tuilerien zur Qual gemacht. Vom 3. Juni an verließ er seine Wohnung in der Rue des Cordeliers nicht mehr.
Nach dem Attentat ließ sich Charlotte Corday ohne Widerstand festnehmen; sie hatte mit dem Leben abgeschlossen
Kommen wir zum Bühnenbild des Dramas Corday/Marat. Hierfür benötigen wir vor allem eine schuhförmige, blecherne Badewanne.
Charlotte traf am 11. Juli in der Poststation Place-Notre-Dame-des-Victoires ein. Sie ließ sich Feder, Papier und Tinte bringen und entwarf ihre „Botschaft an die Franzosen, die die Gesetze und den Frieden lieben“. Da steht: „Oh, mein Vaterland! Dein Unglück zerreißt mein Herz!“ Sie war fest entschlossen, Marat in aller Öffentlichkeit zu erdolchen. Am Morgen des 13. Juli erwarb Charlotte ein Küchenmesser. Kosten: 40 Sous, Klingenlänge: 20 Zentimeter. Sie erfuhr: Marat nimmt seit Tagen nicht mehr an den Sitzungen des Konvents teil. Sie rief eine Kutsche und erfuhr eine zweite Enttäuschung: Der Kutscher wusste nicht, wo Marat wohnte. Als sie schließlich in der Rue des Cordeliers anlangte, verwehrten ihr erst die Haushälterin, dann Marats Geliebte den Zutritt. Charlotte zog sich zurück. Sie schrieb ein Billet, ließ es per Schnellpost zustellen: Angeblich war sie bereit, Verschwörer aus Caen zu verraten. Eine Antwort blieb aus. Um 7 Uhr abends klopfte sie dreimal an Marats Tür. Das Dienstmädchen öffnete. Sie forderte, vorgelassen zu werden. Marat in seiner Wanne sitzend und schreibend, hörte den Disput und rief, die junge Bürgerin möge eintreten.
Mademoiselle Corday stand vor Marat im Bade. Das Gespräch dauerte zehn Minuten. Man fragt sich, wieso? Was zum Teufel ging in der jungen Frau vor? Sie wollte den Blutsäufer doch töten! Charlotte berichtete von Konterrevolutionären in Caen. Das hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit; Caen war eine Hochburg der Royalisten. Marat schrieb mit und verkündete: „Ich werde sie alle guillotinieren lassen!“ Nach dieser Bemerkung zückte Charlotte das Messer und stach es ihm in den Hals. Die Frauen kreischten. Aus der Nebenwohnung eilte ein Zahnarzt herbei, um die Wunde zu schließen. Vergeblich, Marat war verblutet. Die Täterin wurde niedergeschlagen, obwohl sie keinen Fluchtversuch unternommen hatte. Noch in der Wohnung fand das erste Verhör statt. Sie leugnete nichts.
Nächster Akt: das Revolutionstribunal erkannte ihr den Tod zu. Auf der Place de la Revolution (heute: Place de la Concorde) wurde Charlotte am Abend des 17. Juli guillotiniert.