Susanne Riha

Baldwin Wunderhund


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Tag, wie gesagt, brachte Alfredo kein Wort heraus.

      Am nächsten Morgen kam Teresa, unser „liebes Mädchen für alles“, wie Alfredo sie nennt. Teresa ist zwar kein Mädchen mehr, aber sie ist doch jünger als Alfredo. Dafür ist sie doppelt so dick wie er. Sie hat ein freundliches Gesicht mit großen Augen. Darüber trägt sie eine lockige Frisur.

      Teresa ist in einem anderen Land aufgewachsen und spricht eigentlich eine andere Sprache. Sie ist erst vor Kurzem in unser Land gekommen und musste unsere Sprache dazulernen. Sie spricht sie bereits so gut, dass Alfredo und ich sie verstehen können. Aber ein bisschen verkürzt und verdreht Teresa noch die Sätze. Das hört sich dann so an:

      „Baldwin, was bist du guter Hund!“ Oder:

      „Ist Schmutz überall in Haus!“

      Auch an diesem Tag brachte Teresa Säcke mit Futter mit für Alfredo und für mich. Nachdem sie die Säcke in der Küche abgestellt hatte, begrüßte sie Alfredo in seinem Lehnsessel.

      Aber Alfredo krächzte nur etwas Unverständliches zurück.

      „Herrjemine!“, rief Teresa. „Das ist Hals, ganz schlecht!“

      Alfredo nickte und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht.

      Wie jedes Mal, wenn Teresa zu uns kam, putzte sie. Sie wusch und bügelte Alfredos Wäsche. Schließlich band sie sich eine Schürze um und begann für uns zu kochen. Es dauerte nicht lange und sie rief nach mir. Ich lief zu ihr und wartete.

      „Hier, Baldwin-Schätzchen, für dich!“

      Teresa beugte sich zu mir herunter, um das frisch gekochte Futter zu mir auf den Boden zu stellen.

      In diesem Moment konnte ich tief in ihre Augen sehen.

      Ich entdeckte darin etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte:

      In Teresas Augen blitzte es!

      Es war ein Leuchten, das tief aus dem Grund ihrer großen Augen zu kommen schien. Es strahlte von ganz hinten heraus, also vom Augenboden her, wenn ihr wisst, was ich meine.

       2

      WIFF, WUFF, WAFF – ZAUBERSAFT

      Zwei Tage später kam Teresa wieder.

      Alfredo war noch erkältet, er hatte immer noch einen „schlechten Hals“.

      Ganz so, als ob Teresa es gewusst hätte, holte sie ein Fläschchen aus ihrer Tasche und sagte:

      „Habe Hustensaft gemacht, aus Tannenwipfeln, mit noch was drin! Macht Stimme!“

      Sie füllte den Hustensaft in ein Glas und stellte es auf das Tischchen neben Alfredos Lehnsessel. Der Saft in dem Glas war grün wie die Wiese in unserem Garten.

      Alfredo schaute kurz zu dem Glas hin. Er verzog das Gesicht.

      „Bitte trinken, Alfredo! Saft macht Stumme wieder reden!“, bat Teresa. „Trinken und an Wirkung glauben! Ganz fest glauben!“, verlangte sie.

      Aber Alfredo schüttelte den Kopf.

      Er machte eine ungeschickte Bewegung, um Brille und Zeitung vom Tischchen zu holen. Dabei fegte er mit dem Arm das Glas mit dem Hustensaft hinunter.

      Das Glas zerbrach. Der Hustensaft rann zwischen den Scherben auf den Boden und bildete einen kleinen, grünen See.

      „Herrjemine!“, rief Teresa und schlug die Hände zusammen. Alfredo versteckte sich rasch hinter seiner Zeitung. Teresa aber eilte hinaus, um Besen, Schaufel und Wischtuch zu holen.

      Vorsichtig kostete ich von dem Saft.

      Er schmeckte süß.

      Leise, um Alfredo nicht beim Lesen zu stören, schleckte ich weiter.

      Dabei achtete ich darauf, die Glassplitter neben dem See nicht mit der Zunge zu berühren.

      Als Teresa zurückkam, war der Saft verschwunden.

      Teresa seufzte: „Ach, Baldwin!“

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      Sie begann, die Scherben zusammenzukehren und den Boden zu wischen.

      Ich rollte mich auf meinem Lager zusammen und schleckte mir das Maul sauber.

      „Der Saft lässt Stumme reden“, ging es mir durch den Kopf.

      „Man muss nur ganz fest daran glauben. ICH MUSS FEST DARAN GLAUBEN! Für mich! Für meinen geliebten Alfredo!“

      Dann fielen mir die Augen zu.

      Als ich sie wieder öffnete, war es dunkel um mich herum. Ich lauschte. Alfredo lag in seinem Bett und schnarchte. Ich hatte also den ganzen restlichen Tag verschlafen. Jetzt musste ich dringend hinaus. Ich stand auf und tapste zur Türe zum Garten. Als ich zurückkam, fühlte ich mich immer noch müde.

      Trotzdem wälzte ich mich lange hin und her. Denn ich hatte das Gefühl, als hätte ich etwas in meinem Hals stecken. Immer wieder musste ich mich räuspern, aber es half nichts.

      Schließlich hatte ich Schluckbeschwerden. Das tat weh. Ich versuchte, das Schlucken zu vermeiden, solange es ging.

      Irgendwann muss ich doch eingenickt sein.

      Als ich erwachte, dämmerte es draußen. Die Schluckbeschwerden waren verschwunden. Dafür schnarchte Alfredo jetzt laut.

      „Schnarchkopf!“, dachte ich – und – ich sagte es auch.

      Wie bitte?? Sagte es auch?!

      Ich versuchte es nochmals:

      „Schnarchkopf!“

      Ich hatte …! Ich hatte gesprochen!!

      Zuerst fuhr mir der Schreck in alle Glieder. Ich sprang auf und lief hinaus in den Garten. Hier musste ich erst einmal tief durchatmen. Dann aber machte ich einen Luftsprung:

      ICH HATTE GESPROCHEN!

      Teresas Saft hatte gewirkt!

      Ich lief durch den Garten.

      Ich sprach aus, was ich sah: „Baum, Wiese, Weg, Blatt – Hauz!“

      Beim Wort „Haus“ gelang mir das Ende nicht.

      Ich dachte „Haus“, sagte aber „Hauz“.

      Denn die Zungenspitze schlüpfte bei dem „S“ zwischen die Vorderzähne.

      Immer wieder probierte ich es: „Hauz, Hauz, Hauz …“

      Auch „Maus“ und „Fuß“ endeten in einem „Z“.

      Als die Zungenspitze zu brennen anfing, hörte ich zu üben auf.

      Aber ich beschloss, mit Alfredo dieses Problem so bald wie möglich zu BESPRECHEN!

      Ich lauerte vor Alfredos Bett. Er schnarchte noch immer vor sich hin.

      Ich überlegte, wie ich ihn ansprechen könnte, ohne ihn dabei zu sehr zu erschrecken.

      Aber als er sich bei einem Schnarcher verschluckte und davon aufwachte, sagte ich einfach nur:

      „Hallo, Alfredo!“

      Alfredo setzte sich auf, schaute um sich und krächzte:

      „Wer ist da?“

      Ich wiederholte es:

      „Hallo, Alfredo!“

      Alfredo riss die Augen auf, schloss sie und riss sie abermals auf.

      „Hallo, Alfredo!“

      Jetzt hättet ihr Alfredo sehen sollen. Er sprang aus dem Bett, schlüpfte in seine Hausschuhe und ließ sich in seinen Lehnsessel plumpsen. Hier blieb er sitzen und starrte mich an. Nach einiger Zeit flüsterte er:

      „Baldwin,