Katja Pelzer

Die Putzfrauen meiner Mutter


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      Mein Mann ist sympathisch, er ist freundlich. Aber eigentlich weiß ich manchmal gar nicht so genau, was ihn bewegt. Ich meine, abgesehen von seiner Leidenschaft für das Funkeln da oben. Ich kenne seinen Namen. Ich weiß, wo er herkommt. Er hat mir das Kaff seiner Kindheit mal während des Studiums gezeigt. In England heißt auf dem Land ja noch etwas. Da gibt es auf dem Land wirklich nichts als Land. Die nächste Stadt ist mehrere Stunden entfernt.

      Ich weiß auch, was er gerne isst. Und was er gar nicht mag. Ich denke auch, dass er mir zugetan ist. Wir kommen wunderbar miteinander aus. Streit gibt es zwischen uns nie. Nein, wirklich nicht. Nie! Langweilig? Überhaupt nicht. Ich glaube nicht daran, dass Streit zu einer Beziehung gehört. Es erhöht die Spannung, sagt meine Kollegin Judith. Reibung sei nun mal nötig, damit Funken fliegen. Das mag ja sein, aber was, wenn ich überhaupt keine Spannung will? Spannung kostet doch Energie. Und als Lehrerin brauche ich all meine Energie für die Arbeit. Und mein Mann braucht ohnehin alles, was ihm an Energie nach der Arbeit übrig bleibt, für seine Sternen-Guckerei, von unserer Dachterrasse aus, die er sich eigens dafür zugelegt und mit einem Teleskop ausgestattet hat. Selbst ich finde es im übrigen einigermaßen beeindruckend, dass das erste Teleskop bereits im 16. Jahrhundert entwickelt worden ist und dass es heute sogar im Weltall eines gibt – Hubble, nach seinem Erfinder benannt.

      Weil das Sternengucken mit einem passenden Teleskop natürlich viel mehr Freude macht, so etwas aber teuer ist und ja auch immer wieder nachgerüstet werden muss, hat mir mein Mann noch nie Schmuck geschenkt. Aber was will ich auch mit dem ganzen Tand? Ich will ja schließlich nicht das ganze Jahr behängt wie ein Weihnachtsbaum herumlaufen. In der Schule wäre das ohnehin nicht angebracht.

      Kapitel 3

      Die erste Putzhilfe, an die ich mich erinnere, ist die meiner Oma mütterlicherseits. Wenn meine Geschwister und ich übers Wochenende bei meiner Oma waren, wurden wir montags früh vom ziegenartigen Tremolo der Putzhilfe geweckt. Sie hieß Frau Pfeiffer, war groß und hager und führte, dirigiert von meiner Oma, ein strenges Putzregiment. Ursprünglich stammte sie aus Stuttgart, war aber ihrem Mann zuliebe ins Rheinland emigriert.

      Alles roch mit einem Mal frisch nach Citrus und glänzte und über allem kreischte die Stimme von Frau Pfeiffer. Sie war flink und energisch und ich glaube, sie mochte Kinder sehr, auch wenn sie es nicht so recht zeigen konnte und selbst keine hatte. Auf ruppige Weise freute sie sich immer uns zu sehen. Trotzdem mussten wir drei Kinder immer in den Keller, wenn geputzt wurde. Dort lag die Waschküche. Mein großer Bruder Benedikt wurde mit Töpfen versorgt und hatte so sein improvisiertes Schlagzeug. Meine jüngere Schwester Claudia und ich durften bügeln. Claudia auf dem Minibrett, das zum Hemdsärmel bügeln diente und ich mit einem Bänkchen auf dem großen Bügelbrett. Das machte mir viel Spaß und war vermutlich mein Schlüsselerlebnis in Sachen instant gratification. Bis heute gibt es für mich kaum etwas Entspannenderes als zu bügeln. Ich möchte mich ungern als die Queen unter den Büglerinnen bezeichnen, aber ich bin es wohl!

      Wenn früher bei meiner Oma alles fertig geputzt war, durften wir aus dem Keller nach oben kommen und es gab Mittagessen. Frau Pfeiffer aß mit uns. Und zwar so schnell, dass sie immer schon lange vor uns fertig war mit dem Essen. Ich habe sie dann einmal gefragt, warum sie so schnell essen würde und sie antwortete: „Wie ma esset, so schaffet ma“. Sie arbeitete tatsächlich rasend schnell.

      Gleichzeitig nahm sie alles sehr genau. Wenn der Teppich unter dem schwarzen Flügel meiner Großeltern eine Welle schlug, schob sie die Schulter unter das wuchtige Instrument, stemmte es mal eben nach oben und zog den Teppich mit einem Fuß gerade. Wann immer ich das zu Gesicht bekam, war ich fast ohnmächtig vor Bewunderung. Sie war dermaßen hager und trotzdem hatte sie so viel Kraft.

      Die brauchte sie auch, denn ihr Leben ging nicht gerade zart mit ihr um. Sie war kaum fünfzig gewesen, da kam ihr Mann bei einem Motorradunfall ums Leben.

      Mein Opa hat uns immer wieder die Geschichte erzählt, wie Oma ihn zum Kondolieren zu Frau Pfeiffer geschickt hat. Frau Pfeiffer bewohnte eine Ein-Zimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Sie hatte einen grüngelben Wellensittich, der frei herumfliegen durfte.

      Mein Großvater stand in diesem Zimmer und wollte Frau Pfeiffer sein Beileid aussprechen, da landete der Wellensittich auf seinem Kopf. Es schien meinem Opa unmöglich, dem Ernst der Lage gerecht zu werden, während auf seinem Kopf ein Vogel saß. An dieser Stelle prustete ich als kleines Mädchen immer heraus. Das Bild in meinem Kopf war wirklich zu absurd. Es schien mir beinahe zu albern um wahr zu sein. Scheint es mir heute noch. Wäre die Geschichte nicht so ernst, hätte ich meinem Großvater unterstellt, er hätte sie erfunden.

      Mein Opa fand das Ganze erst einmal gar nicht lustig und dachte krampfhaft darüber nach, was er tun könnte, um die Situation zu retten. Also machte er eine formvollendete Verbeugung vor Frau Pfeiffer, in der Hoffnung, der Vogel würde dann auffliegen. Aber der Wellensittich ergriff die Gunst des Augenblicks, lief den Hinterkopf meines Großvaters hinunter bis in den Nacken, so dass mein Opa sich nun nicht mehr traute, sich wieder aufzurichten. Da kam ihm Frau Pfeiffer zur Hilfe. Sie scheuchte den Vogel mit der Hand und einem vorwurfsvollen „Piet, was soll der Unsinn?“, fort. Mein Opa streckte sich, nun wieder ganz Herr der Lage. Er schaute Frau Pfeiffer fest und ernst in die Augen und konnte ihr nun angemessen versichern, wie leid ihm der Verlust ihres Ehemanns tat. Frau Pfeiffer vergaß daraufhin einmal für kurze Zeit ihre sonst recht ruppige Art und dankte ihm mit feuchten Augen und von Herzen für sein Kommen. Damals wurde dann ein Schnaps zusammen gekippt. In diesem Fall kippte jeder zwei. Was der Geschichte möglicherweise im Nachhinein noch ein wenig mehr Farbe verliehen hat, als sie nüchtern betrachtet gehabt hätte.

      Kapitel 4

      „Sonnenhurrikans“, sagt mein Mann, als er am sonntäglichen Frühstückstisch von seiner Zeitung aufblickt. Er lässt das Wort ein wenig wirken, bevor er weiterspricht. Dabei schaut er mich gleichzeitig abwesend und suchend an, als wollte er in meinem Gesicht lesen. Ich denke, dass gleich wieder ein Monolog kommt. Ich denke, jetzt hebt er wieder ab. Richtung Weltall. Und da will ich nicht mit. Kann nicht und will nicht. Dabei war ich ein Star Wars Fan der ersten Stunde. Ich war sechsmal im allerersten Film, der ja mittlerweile nicht mehr der erste Teil ist, aber egal. Ich habe ihn damals im Kino gesehen. Sechsmal. Da war ich Zehn. Luke Skywalker war der Grund. Ich war verliebt in ihn. Ich habe mit ihm gelitten und hätte ihn so gerne gerettet. Damals hatte ich noch jede Menge Kapazität für Schwärmerei und große Gefühle. Das ist jetzt vorbei. Total vorbei. Deswegen schaue ich George nur fragend an, ohne dass sich in meinem Inneren auch nur der leiseste Hauch von Neugierde regt. Was soll mich das tangieren, wenn es auf der Sonne einen Hurrikan gibt? Die Sonne ist ein Stern, so viel weiß ich. Das hat mein Mann mir mal erklärt. Und damals hat es mich zugegebenermaßen zumindest überrascht. Aber Sterne haben mit meinem Alltag nichts zu tun. Das erwähnte ich ja bereits. George holt Luft. Das bedeutet, dass er geistig Anlauf nimmt, für umfangreichere Ausführungen. „Alle Zweitausend Jahre bekommen wir hier auf der Erde so einen Sonnenhurrikan zu spüren“, beginnt er seinen Exkurs. „Aha“, sage ich. Alle Zweitausend Jahre also. Mannomann. Das betrifft mich ja nun vermutlich eher nicht. Oder?

      „Das hat dann dramatische Ausmaße“, sagt George. „Aha“, sage ich noch mal, betrachte erst kritisch meine Fingernägel und dann ein wenig sehnsüchtig das Buch, das ich gerade lese.

      „Wegen der Strahlung und der vielen geladenen Teilchen, die in Lichtgeschwindigkeit auf die Erde treffen.“ Ich schaue auf. Lichtgeschwindigkeit, die kenne ich noch aus Star Wars. Der Millenium Falcon mit Han Solo am Steuerknüppel hat sie immer nur mühsam und auf den letzten Drücker erreicht. Rückblickend würde ich wahrscheinlich Han Solo Luke Skywalker vorziehen. Dabei ist der Darsteller von Luke, Mark Hamill, ein echt netter Typ. Er hat nicht mal das ganze Drehbuch lesen dürfen, bevor er zum Casting ging. Als er es dann lesen durfte, war er komplett verwirrt. Da soll auf der ersten Seite gestanden haben „Dies sind die Abenteuer des Luke Starkiller, so wie sie im Tagebuch der Whills geschrieben stehen.“ Das hat Mark Hamill in einem Interview erzählt. Natürlich alles auf Englisch. Er hätte lieber Darth Vader gespielt, sagte er außerdem. Das wäre allerdings