Sven Hauth

Parallels


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Ähnliches.

      Die Angebote waren nach ihren Verkaufspreis in Spalten geordnet. Unglücklicherweise bewegte sich der überwiegende Teil der Anzeigen in preislich inakzeptablen Regionen. Für Angebote bis 1000 $ war die Auswahl bereits wesentlich begrenzter. Shane zählte zwölf Anzeigen, die preislich in Frage kamen. Doch bei genauerem Hinschauen musste er ernüchtert feststellen, dass die meisten Beschreibungen Aussagen wie „als Teilespender“, „nicht fahrbereit“ oder gar „ohne Motor“ enthielten. Dies traf auch auf den einzigen Van zu, der sich zudem in einem „restaurationsbedürftigen Zustand“ befand. Übrig blieben immerhin noch vier Angebote. Shane verpasste den Anzeigen einen Kugelschreiberkringel. Er griff zum Telefon und wählte die erste Nummer. Klackernd baute sich die Verbindung auf und nach dem dritten Klingeln sagte eine Männerstimme einen unverständlichen Namen.

      „Hi.“ Shane räusperte sich. „Ich rufe wegen der Anzeige an.“

      „Welche Anzeige?“ Der Mann klang ehrlich erstaunt.

      „Das Auto. Der Kombi“

      Stille am anderen Ende. Dann „Der ist schon vor drei Wochen verkauft worden.“

      Shane schielte auf das Datum in der oberen Ecke der Zeitungsseite, während ihm einfiel, dass er keine Ahnung hatte, welcher Tag gerade war. Sich für die Störung entschuldigend legte er auf.

      Der nächste Versuch. Seine zweite Wahl, ein Buick Apollo, Baujahr 1973, hatte laut Anzeige zwar bereits mehr als 150.000 Meilen zurückgelegt, aber mit 800 $ auf jeden Fall bezahlbar. Diesmal wurde sofort abgenommen.

      „Ja?“

      Wieder eine Männerstimme, und für einen kurzen Moment dachte Shane, dass er dieselbe Nummer versehentlich noch einmal gewählt hatte.

      „Äh, ja, ich rufe an wegen – er schielte auf die Anzeige – dem Apollo?“

      „Ja?“

      Zwei Sekunden peinliches Schweigen, während Shane nach den richtigen Worten kramte. Wie lange war es her, dass er mit einem Menschen geredet hatte?

      „Ist der noch zu haben?“

      „Jap.“

      Zumindest würde dieser Verkäufer ihm nichts aufschwatzen.

      „In welchem Zustand ist der denn so?“, fragte Shane, und hoffte, so etwas wie ein Gespräch in Gang zu bringen.

      Dumme Frage. Er würde am Telefon wohl kaum etwas Schlechtes über sein Auto sagen.

      „Läuft gut.“

      „Aha. Ähm, kann ich mal für eine Probefahrt vorbeikommen?“

      „Jap.“

      Der Mann nannte seine Adresse und Shane legte auf. Geschafft. Zwei von vier. Und weiter. Zwei Anrufe später hatte er insgesamt drei Termine vereinbart. Zuversichtlich blickte er auf die Liste. Drei Probefahrten. Eine gute Trefferchance. Der Plan nahm Gestalt an.

      A, B, C, ... Alphabetisch bewegte sich Shane auf sein Ziel zu, unter dem Arm einen durchgeschwitzten Stadtplan, in seiner Jeanstasche das Bündel Geldscheine. Allmählich machte ihm die Hitze merklich zu schaffen. Der Fahrtwind brachte nur wenig Kühlung.

      Obwohl er das klapprige Fahrrad im Höchsttempo durch die Straßen trieb, hatte er das Gefühl, stillzustehen. Die Wege dehnten sich ins Unendliche, ein urbaner Zerrspiegel, späte Nachwirkungen seines kargen Frühstücks.

      Trotzdem fühlte er sich fantastisch. Lange verloren geglaubte Energie war zurückgekehrt und mit ihr neue Perspektiven und der unbezwingbare Drang, sein Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen. Von Euphorie beflügelt trat er noch stärker in die Pedale.

      Das Viertel, durch das er fuhr, war in der Mehrheit von Latinos bewohnt, was man schon daran erkannte, dass die Avenues hier „Avenida“ hießen. Offensichtlich hatten die Stadtplaner dieser Gegend keine große Lust gehabt, sich sinnvollere Straßennamen auszudenken. Auf die Avenida A folgte Avenida B. Der inserierte Apollo wartete neben dem Haus in der Avenida E. Auf Shanes Klingeln öffnete ein schwarzhaariges Mädchen die Tür und blickte mit neugierigen Murmelaugen an ihm hoch.

      Shane rang sich ein Lächeln ab. „Hi, ist dein Papa da?“

      Statt zu antworten, lief die Kleine zurück ins Haus und rief etwas auf Spanisch. Kurz darauf erschien aus der Dunkelheit ein muskulöser Mann, lediglich mit schwarzer Trainingshose und Goldkette bekleidet.

      „Wegen dem Buick hier?“, nuschelte er.

      „Ja, wir hatten heute Morgen telefoniert. Kann ich den mal ansehen?“

      „Da“, nickte er in Richtung des Wagens. „Ist offen.“

      So gesprächig wie am Telefon, dachte Shane. Er ging um den Buick herum und versuchte dabei auszusehen, als ob er etwas von Autos verstand.

      Leider war der Wagen deutlich kleiner, als Shane gehofft hatte. Auf den ersten Blick sah das Fahrzeug so normal aus, wie man es sich nur vorstellen konnte. Mittelgroß, mittelbraun, ein paar Dellen und Rostflecken, ansonsten nichts Auffälliges. Shane stieg in einen spartanischen Innenraum.

      Der halbnackte Mann tauchte an der Wagentür auf, kramte ein vergoldetes Zippo aus der Hosentasche und zündete sich auf komplizierte Art eine Zigarette an. „Läuft gut. 800 $“, zitierte er die Anzeige und brachte die Zigarette in seinem Mundwinkel zum Wippen.

      „Kann ich eine Probefahrt machen?“

      „Meinetwegen. Schlüssel ist im Handschuhfach.“

      Der Wagen sprang sofort an und lief scheinbar so, wie er es sollte.

      „Ich fahr nur einmal um den Block, okay?“

      „OK“ sagte das Plappermaul und nestelte an seiner Goldkette herum.

      Shane lenkte den Buick auf die Straße und reihte sich in den dünnen Mittagsverkehr ein. Die Probefahrt ergab keine Auffälligkeiten. Alles fühlte sich normal an. Trotzdem störte etwas. Nicht nur, dass der Wagen ein paar Nummern zu klein war, um darin eine komfortable Nacht zu verbringen. Er war auch eigenartig eigenschaftslos. Die Fahrt hinterließ nichts außer dem irrationalen Gefühl, dass dieses Fahrzeug nicht das richtige war. Wäre es ein Mensch gewesen, hätte in seinem Pass „Besondere Kennzeichen: keine“ gestanden.

      Zurück in der Avenida E stand der Verkäufer noch immer in derselben Haltung in der Auffahrt und beendete seine Zigarette. Shane gab ihm die Schlüssel.

      „Ich denke darüber nach“, log er.

      Mit einem gleichgültigen Achselzucken verschwand der Mann in seinem Haus.

      Der nächste Versuch befand sich günstigerweise nur einige Blocks entfernt. Laut Anzeige handelte es sich um einen 79er Cadillac Eldorado. An der beschriebenen Adresse fand Shane ein Gebäude, das aussah, als sei es in besseren Jahren einmal eine Tankstelle gewesen. Dem Banner über der Einfahrt nach war er bei „Honest Hank – Ehrliche Gebrauchtwagen“ angekommen. Der Hof war mit einer ganzen Sammlung alter Cadillac–Modelle zugeparkt. Bevor Shane abgestiegen war, tauchte unter einer der geöffneten Motorhauben ein schwergewichtiger Mann auf. Er streckte Shane eine ölverschmierte Hand hin und entblößte zwei perfekte Reihen perlweißer Zähne zu einem freundlichen Grinsen.

      „Hi, ich bin Hank. Du kommst wegen dem Eldorado?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, angelte er aus seiner Overalltasche ein Schlüsselbund und klingelte damit vor Shanes Gesicht. Mit der anderen Hand deutete er in Richtung der aufgereihten Caddys.

      „Der Gelbe da, Zweiter von links.“

      Shanes Blick folgte dem Zeigefinger und fand den Eldorado. Von Gelb konnte keine Rede mehr sein, der Lack war von der Sonne so ausgebleicht, dass er an die Finger eines langjährigen Kettenrauchers erinnerte. Nicht dass die Farbe irgendeinen Einfluss auf seine Kaufentscheidung gehabt hätte. Der Verkäufer verschränkte seine breiten Arme und betrachtete den Cadillac mit einem Blick, als würde er ihn selber gerne kaufen.

      „Auspuff und Bremsen sind gerade gemacht. Caddys sind das Beste, Mann. Die halten ewig.